: Die traurigen Augen der rumänischen Kinder
Weil sie zwei ihrer Kinder zum Betteln schickte, wurde jetzt in Bonn eine Roma verurteilt / Von den Pflichten einer guten Mutter ■ Aus Bonn Georg Klein
In der Bundeshauptstadt beteiligt sich nunmehr auch die Justiz an der Assimilierung in Deutschland lebender Ausländer. Ganze fünf Minuten Beratungspause benötigte das Bonner Schöffengericht, um am Dienstag in einer richtungsweisenden Entscheidung eine 28jährige Mutter von fünf Kindern zu einer Bewährungsstrafe von einem Monat zu verurteilen. Weil sie zwei ihrer Kinder mehrfach zum Betteln in die Bonner Innenstadt schickte, habe die aus Rumänien stammende und zur Volksgruppe der Roma gehörende Frau ihre „Fürsorge- und Erziehungspflicht gröblich verletzt“.
Die Frau war im Jahre 1989 insgesamt dreimal von Polizeibeamten beobachtet worden, wie sie ihre beiden in Deutschland lebenden Kinder mit Bittzetteln losschickte. Vor dem Gericht räumte sie dies in rumänischer Sprache auch unumwunden ein: Sie habe kein Geld mehr gehabt und in den Mülltonnen der Stadt auch keine verwertbaren Essensreste mehr gefunden. Ihre finanzielle Notlage habe daran gelegen, daß sie Geldstrafen wegen zweimaligen Diebstahls, wegen Schwarzfahrens und wegen eines Verstoßes gegen das Asyl -Verfahrensgesetz (dessen „Tatumstände“ nicht zu erfahren waren) pünktlich von ihrer Sozialhilfe in Höhe von 1.100 bis 1.300 Mark gezahlt habe.
Das „Geständnis“ der anwaltlich nicht vertretenen Frau erwies sich verfahrensökonomisch als äußerst produktiv, fünf geladene Polizeizeugen konnten wieder nach Hause gehen. Staatsanwalt Wolfgang Knopp brachte in seinem Plädoyer die Dinge, die in Bonn seit langem die Gemüter nicht nur an den Stammtischen bewegen, auf den Punkt: „Jeder kennt den traurigen Gesichtsausdruck in den Augen der Kinder, wie ihn auch jetzt die Angeklagte zeigt, der die Herzen der Erwachsenen dahinschmelzen lassen soll.“
Die Bonner Staatsanwaltschaft bewertete das Verhalten der Mutter als Verstoß gegen den Strafrechts-paragraphen 170 d. Die Vorschrift bedroht denjenigen mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe, der durch „gröbliche Verletzung seiner Fürsorge- oder Erziehungspflicht“ einen „Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung geschädigt zu werden“. Zwar habe man Probleme gesehen, nach der zitierten Vorschrift zu verfahren. Insbesondere habe man sich gefragt, wieso bislang so wenig derartige Fälle verhandelt wurden. Das läge aber einfach daran, daß man bislang mit diesem Problem kaum konfrontiert gewesen sei. Doch wenn die Frau mit ihren Kindern in Deutschland bleiben wolle, müßten diese sich den hiesigen Bedingungen anpassen und sich an einen „ordnungsgemäßen Lebenswandel“ gewöhnen. Im vorliegenden Fall sei eine kurze Freiheitsstrafe zur Bewährung angezeigt: „Es reicht, wenn man mit einer Strafe von einem Monat beginnt.“
Die Kammer, besetzt mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen, benötigte nach diesen Ausführungen noch ganze fünf Minuten, um zum Urteil zu gelangen. Ob sie sich dabei auch mit den Lebensumständen asylbegehrender Flüchtlinge beschäftigte und die Frage prüfte, inwieweit es angemessen ist, mit der Keule des Strafrechts auf Immigranten einzuwirken, ihre Kinder nach bundesrepublikanischen Wertvorstellungen zu erziehen, ist nicht bekannt.
Die extrem kurze Beratungszeit (trotz Anwesenheit der Presse) überrascht dennoch, da vergleichbare Fälle weder dem Gericht noch der Staatsanwaltschaft bekannt waren. Richter Burkhard Wilke gab der Frau einen Merksatz auf den Weg: „Kleine Kinder zum Betteln zu schicken, das verträgt sich nicht mit den Pflichten einer guten Mutter.“
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