: Ein Stück Waldemarstraße für die Hennessy-Kids
■ Kreuzberger Mauerbrocken erzielten in Monte Carlos exklusivem Hotel Metropol Millionen / Internationales Cote-d'Azur-Publikum kaufte das gesamte Angebot auf / Aus Monte Carlo berichtet taz-Reporter Alexander Smoltczyk
Monte Carlo. Auktions-Objekt Nummer 36 ist laut Katalog „sehr gut erhalten, leichter Kantenabbruch, links Mitte“. Ein in Pink, Rot und Schwarz gehaltenes, sehr expressives OEuvre, dessen verwirrende Intensität vom Künstler durch die Aufschrift „Hände weg von El Salvador“ noch verstärkt wurde. Der Aktionator im lüsterüberladenen Rokoko-saal des Hotel Metropol bekommt vor Aufregung feuchte Hände. Zweifellos ein Meisterwerk, Teil eines Pentypthichons von acht Teilen, die jetzt en bloc einen Käufer finden sollen. 400.000 Francs, 500.000 Francs sind geboten, wer hält mit? 880.000 Francs (280.000 DM)? Zuschlag! Die acht Werke eines anonymen Meisters aus der Waldemar-/Ecke Luckauer Straße gehen an den jungen Mann mit der Hornbrille: Manuel Märni, Kunstfreund und Bauunternehmer aus Zürich. „Es geht mir um den Gesamteindruck. Ein Bild allein reicht dafür nicht aus“, sagt Märni und kauft gleich noch drei dazu. Für den Garten.
Wir befinden uns im Fürstentum Monaco. Der Zwergstaat trauert, so entnehmen wir der Zeitung, um den soeben verblichenen Protokollchef der Grimaldis, und Prinzessin Caroline geht es „wieder schlechter“. Doch trotz der insofern etwas angespannten politischen Lage traf sich am Samstagabend eine exquisite Schar betuchter Monegassen und internationaler Sammler zu einem außergewöhnlichen Ereignis: der „einmaligen Versteigerung der Berliner Mauer“.
70 Mauersegemente zu je 2.600 Kilogramm, elf Fragmente zu 600 Kilogramm, zusammen 100 Meter Mauer, aus 1a-Stahlbeton mit Achatgranulat. Transport ab Berlin-Ost, Kosten zu Lasten des Käufers. Die noble Galerie „Park Palace“ hat sechs Originale gegenüber dem Palmengarten vorm Casino ausgestellt. Scharf bewacht von einer Hundestaffel. Man kann nie wissen...
Schließlich geht es um große Kunst. Den Mauerspechten waren „die Steine“, wie man in Monte Carlo ehrfürchtig zu sagen pflegt, nur dank einer Wagenburg entgangen, die autonome Kunstliebhaber in der Waldemarstraße aufgestellt hatten. So konnten die Ost-Treuhändler von der „Limex-Bau“ 360 gut erhaltene Schutzwall-Teile an eine Westberliner Zwei -Personen-GmbH verscherbeln, die früher mit Bier und Textil gehandelt hatte und sich nun vom Wall-Business „weltweite Kontakte“ verspricht, so Geschäftsführer Christian Herms von „Lele Berlin Wall“. Ein Mittelsmann verschaffte zunächst einmal den Kontakt zum Steuerparadies an der Cote-d'Azur. „wir sind eigentlich spezialisiert auf Kunst des 17.-19. Jahrhunderts“, meint eine offenbar zeitgenössische Tüll -Blondine, Inhaberin der Galerie. Fran?oise Jezequelou, so ihr Name, ist „stolz darauf, die Mauer versteigern zu dürfen. Weil - das ist ein Symbol der Freiheit, all die armen Menschen und jetzt mit Europa... (etc.pp.)“
Etwa hundert Freiheitsfreunde haben sich dem Appell der Madame Jezequelou gestellt. Ein brasilianischer Sammler sicherte sich sogar schon im Voraus ein wertvolles „Ohne Titel“ (aber mit Zertifikat der DDR) aus dem Märkischen Viertel. Eine 66jährige streng gescheitelte Saarländerin, seit Kriegsende („Sie können sich ja nicht vorstellen, wie man damals als Deutsche angefeindet wurde...“) in Monaco ansässig, ist dagegen nur aus Interesse gekommen: „Makaber, so was als Kunst zu verkaufen. Das kaufen doch nur die Japaner.“ Man begrüßt sich mit Handkuß, parliert wendig auf Italienisch, Französisch und Englisch, ist reich und guter Dinge. Die Henckel-Trocken-Generation stellt sich der Geschichte.
Aber auch unter der Brieftasche schlägt ein Herz: ein Teil des Erlöses der Aktion soll dem Gesundheitswesen der DDR und der Denkmalpflege zufließen. „Ach, was hat man die armen Leute dort beraubt“, flüstert ergriffen eine füllige Monegassin in Sonnenblumengelb, als Auktionator Dr. Stephen Christen die Einleitung spricht.
Mit 50.000 Francs pro Stück wurden die Teile angesetzt. Ein anonymer Bieter (eine amerikanische Großbank, heißt es) treibt den Kaufpreis per Telefon auf 85.000. Zuschlag! Da Applaus für eine glückliche Bieterin im schwarzgepunkteten Baby-Doll: die junge Witwe Hennessy (genau: die mit dem Cognac) hat soeben Objekt Nummer 81 für 120.000 Francs erworben, ein sehr dekoratives Fragment mit herzförmigem Gesicht und der Signatur „Noir“. Großartig! Was empfinden Sie, Frau Witwe Hennessy? „Ich war einmal auf der Leipziger Messe, und habe gesehen, wie die Leute dort litten. Es gibt ja nichts dort! Ich bin glücklich, daß mein Geld an ein Kinderkrankenhaus gehen wird“ - und der Stein in den heimatlichen Schloßpark, „für die Kinder“.
Kein einziges Segment bleibt übrig - alle verkauft. Ein Umsatz von etwa sieben Millionen Francs. Bei Einkaufspreisen von ca. 10.000 DM pro Stein (zahlbar an „Limex“) Katalog und Mietkosten wird sich der Gewinn von Galerie und „Lele Berlin Wall“ dennoch in Grenzen halten. Doch Madame Jezequelou ist zufrieden: „Die Steine sind vom Kunstmarkt akzeptiert worden. Wir haben ein Publikum geschaffen. Jetzt werden die Preise hochgehen, wie bei den Klassikern.“ Und was ein rechter Kunstfreund ist, den werden auch Aufschriften nicht irritieren, wie sie sich auf Objekt Nummer 68 („rechts unten starker Kantenabbruch, Beton an rechter Bohrung abgeplatzt“ - erzielter Auktionspreis: 140.000 Francs) finden: „Leckt mich alle am Arsch!“
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