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„Eine Partei braucht festen Boden unter den Füßen“

Am 26.Juni 1945 wurde die CDU gegründet: Vom „Wellenbrecher des Marxismus“ zur „Blockflöte“ und von der „Blockflöte“ zur Regierungspartei / Unterschiedliche Geschichtsschreibungen über die CDU in Ost und West / Auch die CDU trägt an ihrer Vergangenheit schwer  ■  Von Michael Wendt

Als Lothar de Maiziere noch nicht DDR-Ministerpräsident und frischgebackener CDU-Parteivorsitzender war, sprach er davon, daß dem Vordenken ein Nachdenken vorausgehen müsse. Nachzudenken gelte es vor allem über die eigene Geschichte. De Maiziere auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989: „Es ist eine unabweisbare Notwendigkeit, daß wir uns unserer Geschichte stellen und unsere Lehren ziehen.“ Im Programmentwurf der Ost-CDU vom März 1990 bekennen die Verfasser die Schuld der Partei: Sie hat 40 Jahre Diktatur mitgetragen.

Gerald Götting, von 1966 bis 1989 CDU-Parteivorsitzender, nutzte dereinst jede Gelegenheit, um immer wieder darauf hinzuweisen, daß die CDU nicht Akklamationspartner, sondern Mitgestalter einer Politik gewesen ist.

Der Zusammenbruch der DDR ist untrennbar mit der Politik Erich Honeckers verknüpft. Als Honecker 1971 an die Macht kam, hatte die CDU gerade ihr 25jähriges Bestehen gefeiert. Was Anlaß war, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Das dort vermittelte Bild über die Geschichte der CDU - das auch in den folgenden Jahrzehnten bindend blieb - wie die Entwicklung der Partei in den 70er und 80er Jahren zeigen, daß nur verbale Schuldbekenntnisse nicht ausreichen werden, will man als Partei wieder „festen Boden unter den Füßen“ bekommen.

In den 1970 herausgegebenen „Thesen zur Geschichte der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands“ wird die Gründung der Partei am 26.Juni 1945 als „etwas von Grund auf Neues für die gesellschaftliche Orientierung der Christen in Deutschland“ bezeichnet. Denn damit sei eine politische Partei geschaffen worden, die „von vornherein die Beteiligung am Kampf um den Frieden, um eine neue Demokratie und den sozialen Fortschritt an der Seite der Arbeiterklasse zu ihrem Programm erhob“.

Die Entwicklung der CDU wird in den „Thesen“ in Übereinstimmung mit dem Gründungsaufruf gesehen, deren Geist „von den Grundsätzen des Antimilitarismus, dem tatbereiten Aufbauwillen, vom Streben nach einer neuen Demokratie und nach der Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte, von tiefer Friedensliebe im Sinne der Prinzipien der Humanität und der Lehren aus der Geschichte unseres Volkes“ beherrscht gewesen sei.

Im Gegensatz dazu betrachte man die Entwicklung der CDU/CSU in der BRD als verhängnisvoll. Wolfgang Heyl - bis zum Herbst vergangenen Jahres Mitglied des Parteivorstandes der CDU, schrieb dazu im Jahre 1970 folgendes: „Der parteipolitische Hauptexponent des westdeutschen Imperialismus ist die CDU/CSU-Führung, obwohl diese Partei unter ganz anderen Vorzeichen angetreten war. Deshalb haben wir die Pflicht zur Auseinandersetzung mit ihr. Weil wir den Gründungsprinzipien treu geblieben sind, haben wir das Recht dazu.“

Ein Gegenstand der Auseinandersetzung war dabei stets die Interpretation der geschichtlichen Entwicklung der Ost-CDU von 1945 bis 1952. Während von der bundesdeutschen Geschichtsschreibung die CDU als potentieller „Hauptfeind“ der SED herausgestellt, die volle Zustimmung der Partei mit der Politik Jakob Kaisers, die Absetzung Kaisers und Lemmers als Willkürakt der SMAD dargestellt und die Entwicklung der CDU in den 50er Jahren als Prozeß erzwungener Anpassung bewertet wurden, stellte die CDU diese Entwicklungen vollkommen anders dar.

Für sie waren die ersten Jahre des Bestehens der Partei verbunden mit einem komplizierten politisch-ideologischen Auseinandersetzungsprozeß zwischen den rückwärtsgewandten Kreisen und den demokratischen, vorwärtsstrebenden Kräften in der Partei. Jakob Kaiser wird zum Beispiel in den „Thesen“ als reaktionärer Politiker gekennzeichnet, der irreführende politische Theorien und weltanschauliche Alternativen verbreitete, zum Beispiel in der von ihm 1947 aufgestellten These, daß es Aufgabe der CDU sei, „Wellenbrecher des Marxismus“ zu sein, der den Parteimitgliedern die Illusion eines „dritten Weges“ vorgaukelte und von nationaler Demagogie getragen war. Letztlich aber hätten in der Enwicklung der CDU niemals die rückwärtsgewandten Kreise die Oberhand gewonnen, setzten sich die fortschrittlichen Kräfte durch.

Begründet wurde die These, daß der Sieg Otto Nuschkes über Jakob Kaiser ein Sieg der fortschrittlichen Kräfte in der Partei gewesen sei, folgendermaßen: Um im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts wirken zu können, müsse das Wissen vorhanden sein, „welchen Weg man gehen muß, um die neue Ordnung planmäßig zu errichten. Dieses Wissen findet sich nirgends anders als in der Kenntnis und Anwendung der objektiven Entwicklungsgesetze der Gesellschaft, also in der Gesellschaftslehre des wissenschaftlichen Sozialismus.“ (W. Heyl)

An der Seite der

Arbeiterklasse

Im Programmentwurf der CDU vom März 1990 ist die Rede davon, daß in den Jahren, da die CDU die SED-Diktatur mitgetragen habe, die Führung der Partei das „wache freiheitliche und demokratische Gewissen der Parteibasis“ nicht beachtet haben. Doch wie weit konnte dieses Gewissen entwickelt sein in einer Partei, deren Selbstverständnis sich daraus entwickelte, daß man an der Seite der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei Mitgestalter des gesellschaftlichen Fortschritts war?

Zumal, wenn man bedenkt, worauf die CDU-Mitglieder speziell in den 70er und 80er Jahren immer wieder eingeschworen wurden. Eine Auswahl von Aussagen aus Beschlüssen des Parteivorstandes dieser Jahre verdeutlicht das: So sah der Parteivorstand am 15.3.1973 die Aufgabe des christlichen Demokraten darin, mitzuhelfen, sozialistische Persönlichkeiten und ihre sozialistische Lebensweise herauszubilden, denn damit „praktizieren wir wesentliche ethische Prinzipien des christlichen Glaubens, dienen wir dem Wohl und der Würde des Menschen.“ Am 25.Juni 1976 erklärte der Parteivorstand, daß sozialistische Politik humanistische Politik sei: „Die entwickelte sozialistische Gesellschaft weiterhin zu gestalten und so grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus zu schaffen - das betrachten wir christliche Demokraten als den grundlegenden Auftrag, als tägliche Aufgabe und perspektivisches Ziel unseres politischen Denkens und Handelns.“

Und der 15.Parteitag 1982 erklärte: „Der Friede wird um so fester, je stärker der Sozialismus ist - nach dieser Erkenntnis handeln wir, aus christlicher Verantwortung und in demokratischer Verpflichtung, heute und künftig.“ Noch am 26.Juni 1989 verkündete der damalige Parteivorsitzende Götting: „Frieden und Stabilität in unserem Land - das ist das Wichtigste. Deshalb streben alle gesellschaftlichen Kräfte danach, den Sozialismus zu vervollkommnen und seine großen Möglichkeiten immer wirksamer zum Wohl des Menschen zu erschließen.“ Alle Versuche, die DDR zu destabilisieren, seien darum zum Scheitern verurteilt. „In unserem Lande führt kein Weg zurück zu bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisssen.“

Wie sagte Lothar de Maiziere auf dem CDU-Sonderparteitag im Dezember vergangenen Jahres: „Eine Partei, die etwas bewegen will, braucht festen Boden unter den Füßen. Deshalb ziehen wir Bilanz. Und deshalb darf diese Bilanz nicht bei der Analyse der letzten Monate stehen bleiben. Wir haben es nicht nur mit einem halben Jahr des Bankrotts, sondern mit vierzig Jahren DDR-Geschichte und CDU-Geschichte zu tun, die diesen Bankrott vorbereiteten.“ Der Sonderparteitag stellte einen Anfang dar bei dem Versuch, eine historische Bilanz zu ziehen, jedoch mußte de Maiziere in seinem Schlußwort feststellen: „Mehr als 40 Jahre Geschichte können ebenso wenig in zwei Tagen aufgearbeitet werden...“

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