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„Die Ausgrenzung findet überall statt“

■ Behinderte Studenten aus Ost und West trafen sich am Wochenende zum Erfahrungsaustausch / Interessengemeinschaft für behinderte und nichtbehinderte Studenten hatte Treffen organisiert / Mehr Integration und Hilfsmittel gefordert

Charlottenburg. Erfahrungsaustausch behinderter Studenten aus Ost und West - unter diesem Motto stand die 7. Tagung der Interessengemeinschaft behinderter und nichtbehinderter Studenten am vergangenen Wochenende. Betroffene aus Ost und West trafen sich im Pädagogikinstitut der TU in der Franklinstraße, um in Workshopatmosphäre Unterschiede in der Alltagsbewältigung darzustellen. Neben der ernüchternden Feststellung, daß das Leben mit Behinderung unabhängig vom Gesellschaftssystem zumeist Ausgrenzung bedeutet, waren die meisten Tagungsteilnehmer aus der DDR erstaunt über die materielle Ausstattung der West-Universitäten mit Hilfsmitteln für Behinderte. Ihre Kommilitonen aus dem Westen hingegen empfinden, daß längst noch nicht genug getan wird, um Behinderten ein Studium an der Universität zu ermöglichen. Die taz hat sich mit fünf StudentInnen unterhalten, um einen Einblick in ihre Alltagserfahrungen zu erhalten.

taz: Behindert studieren - was heißt das für euch?

Dieter K. (blind, aus West-Berlin): Du stößt permanent auf Barrieren. Hilfsmittel müssen von der Sozialhilfe bezahlt werden. Darüber hinaus gibt es kaum Hilfe.

Ute Fröhlich (23, gehörlos, aus Dresden): Ich bin die erste gehörlose Studentin in der DDR. Das ist nicht einfach, weil es nicht viel Hilfe an der Uni gibt. Ich kann ja weder die Vorlesungen verstehen noch die Unterrichtsgespräche. Das muß alles Ilka für mich nacherzählen.

Ilka Gündel (21, Betreuerin von Ute): Ja, der Staat hat sich um Behinderte wenig gekümmert. Behindertsein ist ein persönliches Problem. Als Ute mit uns zusammen anfing zu studieren, wurde nur eine Betreuerin gesucht, die ihr behilflich sein sollte. Ich habe das gemacht, weil ich sie ganz gut verstehen konnte und wir uns gerne mochten.

Ute: Um studieren zu können, mußt du in der DDR sehr viel Eigeninitiative zeigen. Bevor ich in Dresden einen Studienplatz bekommen habe, wurde ich fünfmal abgelehnt, wegen meiner Behinderung.

Was hat für euch die Tagung bedeutet? Gab es schon früher einmal Kontakte zwischen Behinderten aus Ost und West?

Karl-Heinz Rank (31, gehörbehindert, West-Berlin): Persönliche vielleicht. Generell kann man sagen, daß uns so gut wie gar nicht bekannt war, was die Situation der Behinderten in der DDR war.

Ute: Das stimmt. Ich bin froh, daß ich hier andere gehörlose Studenten treffen konnte. So ein Erfahrungsaustausch ist wichtig. Ich wußte nicht, wie Behinderte hier leben.

Empfindet ihr die Unterschiede als gravierend?

Karl-Heinz: Nein. Auch bei dieser Tagung hat sich gezeigt, daß die Probleme Behinderter international sind, egal, ob im Osten oder im Westen. Die Ausgrenzung findet überall statt. Die meisten Menschen können mit Behinderten bis heute nicht zwanglos umgehen. Wenn die Leute erfahren, daß ich schwerhörig bin, fangen die Leute sofort an zu schreinen. Dabei gibt es doch Hörgeräte.

Gabi Kroll (28, sehbehindert, aus Ost-Berlin): Unterschiede gibt es aber viele. Bei uns gibt es für Behinderte nur Sonderschulen, überhaupt keine Integrationsschulen. Andererseits sind die Betriebe verpflichtet, zehn Prozent ihrer Arbeitsplätze für Behinderte zur Verfügung zu stellen. Das ist das widersprüchliche und positive zugleich bei uns. 20 Jahre lang wirst du gesondert ausgebildet, und dann sollst du dich plötzlich in einem normalen Betrieb zurechtfinden. Andererseits hattest du in der DDR auch als Behinderte einen Arbeitsplatz. Das wird sich in Zukunft wohl ändern. Kommt das neue Behindertengesetz in der Volkskammer durch, werden die Berufsaussichten für Behinderte wohl so düster sein wie in der BRD.

Was fordert ihr?

Karl-Heinz: Vor allem mehr Integration. Das ist auch in der Interessengemeinschaft eines der wesentlichen Ziele. Als Behinderte wollen wir uns soweit wie möglich selbstständig bewegen. Es ist doch Quatsch, wenn zum Beispiel in der TU -Bibliothek drei Räume für Behinderte zur Verfügung gestellt werden. Drei Tutoren sind dann nur dafür da, uns die Bücher aus den Regalen zu holen. Wieso wird stattdessen nicht die Bibliohthek so ausgebaut, daß wir uns die Bücher selber holen können?

Interview: Christine Berger

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