Kein Schadenersatz für Präventivfestnahme

Oberlandesgericht Nürnberg lehnte Klage von elf WAA-GegnerInnen ab / Sie waren zusammen mit 62 anderen bei den Herbstaktionen 1987 für 36 Stunden in Unterbindungsgewahrsam genommen worden / Popularklage gegen neues Polizeiaufgabengesetz  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Der Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg hat eine Schadenersatzklage von elf WAA-GegnerInnen gegen den Freistaat Bayern in zweiter und letzter Instanz abgelehnt. Damit ging ein zweieinhalb Jahre dauernder Rechtsstreit zu Ende, der am 9.10.87 mit der Einkesselung von 73 WAA -GegnerInnen in Kronstetten bei Schwandorf und deren 36stündiger präventiver Ingewahrsamnahme begonnen hatte. Obwohl das Landgericht Amberg den Unterbindungsgewahrsam schon einen Tag später für rechtswidrig erklärt und aufgehoben hatte, folgte das OLG der Amtshaftungsklage der WAA-GegnerInnen nicht, denn die Polizei habe „zumindest nicht schuldhaft ungerechtfertigt“ gehandelt. Damit bleibt das Urteil des Hamburger Verwaltungsgerichts zum sogenannten „Hamburger Kessel“ ein Einzelfall. Das Gericht hatte den Klägern nach Feststellung der Rechtswidrigkeit des Polizeivorgehens ein Schmerzensgeld von 200 Mark zugesprochen.

Vom 8. bis 10. 0ktober 1987 fanden im Raum Schwandorf sogenannte „Herbstaktionen gegen die WAA“ statt. Im Vorfeld der Aktionen hatte Polizeipräsident Fenzl verkündet, daß „Personen des terroristischen Umfelds“ in der Oberpfalz anwesend seien. Die Polizei werde „die Dinge im Vorfeld abschöpfen“ und präventiv sowie flexibel vorgehen. Bei der Prävention sollte es nicht bleiben. So kam es bei der Großdemonstration zum Baugelände, an der sich trotz Verbots 30.000 WAA-GegnerInnen beteiligt hatten, zu wahren Knüppelorgien. Eine besonders unrühmliche Rolle spielte dabei die inzwischen aufgelöste Berliner Spezialeinheit „für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training“ (EbLT).

Beamte dieser Einheit waren es auch, die am 9.10.87 um 5.45 Uhr einen Bauernhof in Kronstetten umstellt hatten, in dem 73 WAA-GegnerInnen übernachtet hatten. Erst nach Abtransport der WAA-GegnerInnen wurde das Anwesen durchsucht. Am Abend des 9. Oktobers schließlich ordneten Amtsrichter in Amberg, Regensburg und Schwandorf die Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams bis zum nächsten Tag 18 Uhr, dem Ende der Großdemonstration, an. Die Polizei hatte entsprechende Anträge mit der Begründung gestellt, bei der Durchsuchung habe man „fertige Molotowcocktails“ gefunden. Da die tatsächlich gefundenen Gegenstände (Sturmhauben, Halstücher, Messer sowie „zur Fertigung von Molotowcocktails geeignete Gegenstände“) jedoch keinen bestimmten Personen zugeordnet werden konnten, konnte das Landgericht nicht feststellen, daß von den WAA-GegnerInnen eine Gefahr ausgegangen sei. Da Maßnahmen nach Artikel 16 des PAG jedoch nur dann möglich sind, wenn strafbare Handlungen mit einem „erheblichen Wahrscheinlichkeitsgrad unmittelbar bevorstehen“, hob das Landgericht noch am nächsten Vormittag die Haftanordnung auf. Freigelassen wurden die Inhaftierten aber erst um 18 Uhr.

Dieser Gerichtsentscheid ließ der Staatsregierung keine Ruhe. Der „Fall Kronstetten“ wurde zum Anlaß für eine Verschärfung des PAGs. Ab 1.4.89 ist Unterbindungsgewahrsam im Freistaat schon zulässig, wenn jemand in einem Bus fährt oder in einer Scheune übernachtet, in der „gefährliche Gegenstände“ wie Bezinkanister oder Fahrradketten gefunden werden. „Die bloße Behauptung, seine Begleitpersonen nicht zu kennen oder von der Mitführung von Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen nichts zu wissen“ ist nun kein Grund mehr, der auf 14 Tage ausgedehnten Inhaftierung zu entgehen.

Die Popularklage gegen diese Neufassung des PAG, die am 2. August entschieden wird, hat für den Münchener Rechtsanwalt Wächtler große Bedeutung. Er bezeichnet den Fall Kronstetten als „typisches Beispiel für das Zusammenwirken von Polizei und Justiz in Bayern“. So konnte im Verlauf des Verfahrens mit Hilfe der Polizeiaussagen und der Funkprotokolle nicht nur nachgewiesen werden, daß die Anordnung der Inhaftierung der WAA-GegnerInnen auf falschen Tatsachen („fertige Molotowcocktails“) beruht, sondern auch, daß die Festnahme von Anfang an beschlossene Sache war, unabhängig von den später aufgefundenen Gegenständen und ohne Anordnung von höheren Dienststellen. Trotzdem urteilte das OLG, der Unterbindungsgewahrsam sei „zumindest nicht schuldhaft ungerechtfertigt“ gewesen, und lehnte einen Schadenersatzanspruch der Betroffenen ab.