: 2. Staatsvertrag für den öffentlichen Dienst
Der Entwurf des zweiten Staatsvertrags bemüht sich vor allem um die Loyalität der Staatsbediensteten / Der Beitritt von „Groß-Berlin“ zur Bundesrepublik ist noch ungeregelt / Innenminister Schäuble sieht geringen „Regelungsbedarf“ für die Wiedervereinigung ■ Von Götz Aly
Berlin (taz) - Merkwürdig schon die Proportionen: Der Entwurf des Bonner Innenministeriums für den zweiten und letzten Staatsvertrag mit der DDR umfaßt 16 Seiten - eine davon ist, unterbrochen von Auslassungspunkten und Leerräumen, den notwendigsten Änderungen des Grundgesetzes gewidmet, aber volle neun Seiten beschäftigen sich mit der „Überleitung“ des öffentlichen Dienstes der DDR in bundesdeutsche Beamtenverhältnisse.
Schlug der erste Staatsvertrag die Schneisen für D-Mark, Bundesbank und freie Wirtschaft, so verspricht der zweite für Lehrer, Volkspolizisten, staatliche Sachbearbeiter oder Postboten zum Geschenk des Himmels zu werden. Neben einigen anderen - im Kontext des Entwurfs als lächerliche Nebensächlichkeit erscheinenden Details - geht es schlicht um die Frage, die sich die Bonner Exekutive etwa so gestellt haben dürfte: „Wie macht man aus biederen, loyalen Genossen und staatlich angestellten Werktätigen möglichst rasch, und nach bundesdeutschem Vorbild privilegiert, ebenso biedere, ebenso loyale Staatsbeamte?“
Doch zuerst zu den Nebensachen: Der Artikel 146 des Grundgesetzes soll ersatzlos fallen. Damit ist jede weitere Diskussion erledigt, die schöne Vorstellung der „Verfassungsväter“ als naiver historischer Irrtum zu den Akten gelegt: „Dieses Grundgesetz“, hatten sie festzulegen versucht, „verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Geändert werden soll selbstverständlich die Präambel, allerdings auch - und zwar auf speziellen Wunsch Schäubles - der Artikel 29. Der legt die Ländergliederung der Bundesrepublik fest und macht sie schwer änderbar. Seit den frühen fünfziger Jahren bestehen in bundesdeutschen Raumordnungsbehörden Träume, diese Strukturen nach ökonomischen Kriterien neu zu ordnen. Der Beitritt der DDR-Länder bringt neue Chancen, auch in der Bundesrepublik - jedenfalls an diesem einen Punkt - etwas aufzuräumen. Und Schäubles Argument ist nicht von der Hand zu weisen: Die innerdeutsche Grenze dürfe nicht in Form neuer Landesgrenzen auf unabsehbare Zeit verewigt werden. Überraschend vor allem, daß der Artikel 23, also der Beitrittsartikel nicht einfach fallen, sondern eine neue Fassung erhalten soll. Niemand hat der Bundesregierung in diesem Zusammenhang vorgeworfen, daß sie sich nun doch den Beitritt Ostpreußens offenhalten wolle.
AL: Kommt die Bundeswehr nach Berlin?
Allerdings wittert die Berliner AL darin einen Versuch, Gesamtberlin auf kaltem Weg zur Garnison der Bundeswehr zu machen: Der AL-Abgeordnete Benedikt Hopmann schloß daraus gestern: „Für 'Großberlin‘ soll damit die Wehrverfassung der Bundesrepublik gelten... Es ist deshalb zu fordern...“ etc. pp. Richtig ist daran so viel: Es geht bei der wohl vorläufigen Konservierung des Artikels 23 um Berlin. Der fordernde und doch aufgeklärte Pragmatismus des Gespanns Kohl/Genscher hat sich hier durchgesetzt. Gesamtberlin ist aus dem Vertragswerk ausgeklammert: Mit einiger Sicherheit doch deshalb, um die internationalen Verhandlungen nicht über Gebühr zu belasten, um keine unnötigen Junktims zwischen Wiedervereinigungs- und Zwei-plus-vier -Verhandlungen zu erzeugen. So dürfte gerade dieser Passus der Vertragstext enthält am Ende sogar noch die alte Berlin -Klausel - auf außenpolitische Moderierung und eben nicht auf besondere Bonner Hinterhältigkeit hindeuten. Für die DDR gilt die Wehrverfassung selbstverständlich nicht.
Interessant allerdings ein anderes Detail: In den auf dem Boden der DDR zu bildenden Bundesländer soll der Artikel 120 nicht gelten, für den Westen aber beibehalten werden. Der Artikel regelt die Übernahme der Besatzungskosten für die alliierten Truppen - es könnte demnach für die Westalliierten noch Übergangszeiten geben, während für die sowjetischen Truppen vergleichbare Regelungen ausgeschlossen werden.
In solchen Punkten und auch für die konkreten Wochen des Übergangs bleiben die Formulierungen schwammig. (z.B.: „Bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung nehmen ... (wieviele? d.Red.) Mitglieder der bisherigen Regierung der DDR an den Beratungen der Bundesregierung teil.“) Konkret wird der Entwurf eben für die Staatsangestellten der DDR, die nun zu Hunderttausenden Beamte werden. Ihre Gehälter werden „schrittweise angepaßt“, falls ihre bisherige Beschäftigungsstelle aufgelöst wird, erhalten sie Wartegeld bis zu einer prinzipiell in Aussicht stehenden Widerverwendung. Stellenausschreibungen sind „dann nicht erforderlich, wenn die Stelle mit dem bisherigen Stelleninhaber besetzt werden soll“. Dem Staatsvertrag der harten Währung folgt nun der Staatsvertrag für die Verewigung des deutschen Beamtenrechts. Die wenigen, die dabei berufsverbotsähnlichen Bestimmungen unterliegen könnten, werden dieses Opfer für die übergroße Mehrheit der Pensionsberechtigten gerne bringen.
DDR-Regierung will Tempo verringern
Berlin (ap) Der DDR-Regierung wird das Tempo des deutschen Einigungsprozesses zu schnell: Das Kabinett hat am Mittwoch den 23. September als Termin für die Landtagswahlen in der DDR fallengelassen. „Wir stehen so unter Zeitdruck, daß die Länderparlamente frühestens im Oktober bestimmt werden können“, sagte Regierungssprecher Matthias Gehler in Berlin. Gleichzeitig warnte Finanzminister Walter Romberg vor einer übereilten Vereinigung: „Das von Bonn vorgelegte Tempo könnte katastrophale Folgen für ganz Deutschland haben.“
Für die DDR-Regierung nehme der Zeitdruck von Tag zu Tag zu, sagte der SPD-Minister. Das Kabinett sehe sich nicht mehr in der Lage „vorauszudenken“, da Bonn die Entwicklung selbständig im Eilzugstempo forciere. Romberg erklärte, vor einem Zusammenschluß müsse erst das „Angstpotential“ der Deutschen in Ost und West voreinander beseitigt werden. Er räumte jedoch ein, daß die Regierung angesichts des stürmischen Vereinigungsprozesses davon ausgehe, daß noch im Dezember gesamtdeutsche Wahlen stattfänden. Nach Gehlers Angaben hat sich die Koalition bisher nicht auf einen Wahltermin geeinigt. Er widersprach damit Äußerungen des DSU -Fraktionsvorsitzenden Hansjoachim Walther, der erklärt hatte, die Regierungsparteien hätten sich auf den 16. Dezember festgelegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen