: Neunzehnhundertsechsundachtzig
■ WM-Moritat von Ror Wolf
Ein Herr mit etwa zweiundzwanzig Beinen
ein Phänomen, ein Schatten, ein famoser,
ein allenfalls einssechsundsechzig großer
geschätzter netter Herr wird nun erscheinen.
In großer Höhe und in großer Hitze,
da schwirrt er wie der Traum, der wundervolle
Herr Maradona, in der Heldenrolle:
er tanzt furios auf seiner Stiefelspitze.
Herr Oh, Herr Cho, Herr Choi, Herr Chang, Herr Cha,
sie kamen aus Korea - und Herr Huh
tritt M ans Kinn mit seinem harten Schuh.
Da liegt er - mitten in Amerika.
Dann steht er auf, er steht ganz still, er steigt,
er fliegt davon, er stößt wie ein Gedanke
in eine flache butterweiche Flanke.
Herr Maradona sagt kein Wort, er schweigt.
Herr M, man sieht ihn in die Lüfte wehen;
er schwingt und dreht sich und er fließt gelassen
ins Überirdische hinein - nicht mehr zu fassen.
Und das ist, hört man, außerdem geschehen:
Herr Butcher legt Herrn Boniek an die Kette.
Herr Sanchez nagelt Sadkov an die Wand.
Camacho spielt mit Kopfverband
und Lineker mit einer Gipsmanschette.
Zubizarreta springt aus seinem Kasten.
Herr Raz nimmt Maß, er läßt sich sehr viel Zeit.
Herr Bats liegt machtlos vor dem Tor, er schreit.
Herr Olsen beugt sich über den erblaßten
Herrn Rolff. Man sieht Herrn Altobelli gähnen.
Vom Jubel wird verschluckt Herr Platini.
Am Rand behandelt wird Herrn Försters Knie.
Und jetzt beginnt der Augenblick der Tränen.
Die Herren Völler und Matthäus saßen
am Ende ganz verloren auf dem Rasen.
(aus: „Das nächste Spiel ist immer
das schwerste“, Haffmans Verlag)
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