Die Geldgier im Lichte neuerer Forschung

■ Letzter Akt im Zwangsumtausch: Der Sparbezirk Hellersdorf verzichtete am Sonntagmorgen auf ein ausgedehntes Frühstück und flutete vor die Geldschleusen / Alle brauchten ganz schnell, ganz viel Geld, aber keiner wollte es sogleich verjuxen

Von Stefan Schwarz

Den Abend vor der Be-Währungsprobe verbrachte ich bei einem guten Freund. Wir tranken drei Flaschen mit dieser erschütternd süßen, leicht alkoholischen Flüssigkeit, auf dem Etikett stand “...vollmundiger Wein“. Da wir auch redeten und ansonsten - des vollen Mundes wegen - nur wenig Wein herunterbrachten, war es schließlich schon fast vier Uhr, als ich aufbrach.

Die trunkene Neugier trieb mich zum Hort des Geldes. Von meiner Filiale im Sparbezirk Berlin-Hellersdorf klang das Stampfen jugendgemäßer Unterhaltungsmusik herüber. Und tatsächlich: Da schlängelten sie sich schon, die Blendwerktätigen und Mammonjäger. Fast hundert Meter lang hatten sie sich bereits hintereinandergereiht, hatten Tische und Stühle wie bei einem Sommernachtsball zusammengeschoben und feierten der D-Mark entgegen.

Ganz vorn an der Tür hockte lächelnd zusammengesunken ein Mann mit Goldrandbrille. Er spielte mit einer schon ungültigen DDR-Münze und machte auch sonst einen noch nicht vollständig umgestellten Eindruck. Vielleicht saß er ja auch noch vom letzten Schalterschluß hier.

Es blieben noch fünf Stunden, bis hinter der Glastür die frischen Scheine mit feuchten Fingern abgezählt würden. Weiter hinten grölten ein paar Wartende herüber, ich solle mich einreihen in die Einheitsfront. Da ging ich erstmal und lächelte betont weise. Land im Glück, sei nur recht vorsichtig.

Zu Hause warf ich mich ins Bett und schlief die paar Stunden, die noch blieben. Ich träumte schwer und Kolonnen von Mähdreschern, auf denen lauter Thomas Müntzers hockten, fraßen sich durch meinen Kopf, Clara Zetkin saß im weißen Kittel vor einem Kraftwerkssteuerpult, Goethe sprang mit seinesgleichen erlöst eine Schultreppe hinunter, Friedrich Engels studierte lustwandelnd die Lage der arbeitenden Klasse in den Leuna-Werken und Marx gar wartete „Unter den Linden“ auf den Bus und blickte versonnen auf den „Palast der Republik“.

Erschöpft wachte ich auf. Draußen zogen festliche gekleidete Menschen in die Zweigstellen. Pastellfarben allerorten verkündeten erste Anzeichen einer Geschmacksunion. Ich mischte mich mit meinem Wechsel unter die Begehrlichen. Die D-Markationslinie vor dem Geldinstitut war ins Endlose gewachsen und umkreiste den Neubaublock. Kein Entrinnen für die West-Währung.

Ich wunderte mich erneut, daß ein bloßer Staatsakt in der Lage war, ein so wesentliches Ding wie Geld einfach auszutauschen. Irgendwie mußte ich an die Zwangsumbenennung der bulgarischen Türken denken. Die Menge wirkte wohltemperiert. Frohe Gespanntheit, Sicherheit und doch der feste Entschluß, sich gerade jetzt das Geld zu holen. Man weiß ja nie, was kommt. Plötzliche Entdeckung eines Haushaltsdefizits durch Finanzminister Waigel am Sonntagmittag, administrativer Abbruch der Auszahlungen, „liebe Mitbürger in der DDR, haben Sie Verständnis...“ usw. Man berichtete mir, daß der Formierungskampf am vorderen Teil der Schlange bereits abgeschlossen sei, und nicht wenige unflätige Worte gewechselt worden waren. Blaue Flecke für blaue Scheine. Grüne Flecken für grüne Scheine. Schließlich, als ich im Besitz des echten Geldes war, warf ich einigen Nachfolgenden die einfältige Medienfrage nach dem Verwendungszweck der neuen Mittel zu, als handele es sich sämtlich um Gewinner des „Großen Preises“.

Mediengerecht antwortete der größte Teil, daß er die Warnungen wohl vernommen habe, und sich wie auch die gütige Bundesrepublik nicht gleich in Schuld und Elend stürze wolle. So nach und nach werde man aber dann doch das eine oder andere Auto erwerben. Die wirklich kleinste Anschaffung kündigte ein übernächtigter Mensch in einem gelb-schwar karierten Hemd an: einer größeres Portemonaie, aus dem die Scheine nicht herausschauen.

Hinten in Kaulsdorf hatte der völlig gewandelte TV-Laden schon einmal die Pforten geöffnet, Paare schleppten vereint westliche Buntfernseher aus dem Geschäft. Hatten die nicht eben noch gelobt, zu sparen und sich was aufzubauen? Und was ist, wenn Deutschland nun nicht ins WM-Finale einzieht?