Legende besiegt amerikanischen Traum

■ Martina Navratilova gewinnt zum neunten Mal den Wimbledon-Titel und bricht den legendären Rekord von Helen Wills-Moody / Zina Garrison verlor chancenlos mit 4:6 und 1:6

Aus Wimbledon Ralf Sotscheck

Wimbledon ist ein Mekka für Statistiker. Es gibt nichts, was nicht in tabellarischer Form festgehalten wäre: Der blondeste Spieler, der längste Satz, die linkshändigste Spielerin - im Wimbledon-Handbuch findet man Antworten auf alle Fragen. Wer sich bisher gewundert hatte, warum ausgerechnet am 22.Juni 1897 keine Spiele stattfanden, bleibt auch darüber nicht länger im Ungewissen: Es war das Diamantene Thronjubiläum von Queen Victoria.

Beim Finale der Frauen am Samstag stand ein weiteres Relativ auf dem Spiel. Martina Navratilova versuchte zum dritten Mal den 52 Jahre alten Rekord von Helen Wills-Moody zu brechen. Beide hatten den Titel acht Mal gewonnen. Bei den letzten zwei Versuchen hatte Steffi Graf der gebürtigen Tschecheslowakin die Suppe versalzen. „Diesmal war die Spielverderberin jedoch von Zina Garrison nach dem Halbfinale nach Hause geschickt worden. Garrison ist der leibhaftige Beweis für die Erfüllung des amerikanischen Traums: Von der Tellerwäscherin zur Millionärin. Als jüngstes von sieben Kindern einer texanischen Arbeiterfamilie wurde sie als Jugendliche bei einem Tennisturnier in einem öffentlichen Park entdeckt.

So behauptete sie vor dem Endspiel dreist, daß ihr Erfolg allen amerikanischen Kindern Auftrieb geben und sie vom Drogenmißbrauch abhalten soll. Die Statistik verrät, daß Garrison die schwärzeste Endspielteilnehmerin seit 1957 ist. Es war überhaupt ihr erstes Finale in einem Grand-Slam -Turnier. Ihren Talisman trug Garrison um den Hals: Einen diamantbesetzten Mini-Tennisschläger.

Martina Navratilova hatte sich einen anderen Talisman mitgebracht: Cathy McKane, die einzige Frau, die ein Wimbledonfinale gegen Helen Wills-Moody gewonnen hat. Das war 1924. Außerdem saßen sieben weitere Ex-Champions auf der Bühne. Eine davon - Virginia Wade, letzte britische Gewinnerin von 1977 - war vom BBC als Kommentatorin verpflichtet worden. Sie stellte vor dem Spiel eine gewagte Prognose: „Ich glaube, heute ist der große Tag für eine der beiden Spielerinnen. Ich weiß bloß noch nicht, für welche.“ Sie sollte recht behalten.

Zina Garrison legt los wie die Feuerwehr, gewinnt ihr Aufschlagspiel zu Null. Das macht sie jedoch offenbar so nervös, daß sie dannach übervorsichtig agiert. Sie kommt mit Navratilovas Angriffsspiel nicht zurecht. Die US -Tschecheslowakin zieht die Filzkugel wie einen Magnet an sich und durchbricht schon im dritten Spiel Garrisons Aufschlag. Danach ist der Satz gelaufen. Es hilft Garrison auch nichts, daß sie mehrmals einen Aufschlag antäuscht, den Ball jedoch im letzten Augenblick wieder auffängt. Im zweiten Satz wird die Partie noch einseitiger. Navratilova gewinnt nach einer Stunde und fünfzehn Minuten relativ mühelos mit 6:4, 6:1.

Danach the same procedure as every year. Das herzogliche Ehepaar von Kent plauderte wie immer mit den Balljungen und

-mädchen, dann ein Küßchen, Schecks und Pokale für die Spielerinnen. Navratilova erhält 207.000 Pfund. Garrison sagte auf der Pressekonferenz: „Es ist noch aufregender, die Trophäe aus der Nähe zu sehen. Danach will man sie nur noch mehr.“ Navratilova meint gönnerhaft, daß Garrison das Turnier eines Tages gewinnen werde. Jedoch noch nicht in den nächsten Jahren. An ihren Rücktritt denkt Navratilova nämlich noch lange nicht. Zunächst will sie endlich Helen Wills-Moody kennenlernen. „Aber ich kann ja nicht einfach an ihre Tür klopfen.“ Und ihre weiteren Zukunftspläne? „Ich will versuchen, heute abend nüchtern zu bleiben.“

Herren-Doppel, Finale: Rick Leach/Jim Pugh (USA) - Pieter Aldrich/Danie Visser (Südafrika) 7:6, 7:6, 7:6

Damen-Doppel, Finale: Jana Novotna/Helena Sukova (CSFR) Kathy Jordan/Liz Smylie (USA/Australien) 6:3, 6:4