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Blonder Deutscher unterliegt dunklem Schweden

■ Im Tennis-Finale von Wimbledon besiegt Stefan Edberg Boris Becker mit 6:2, 6:2, 3:6, 3:6, 6:4

Aus Wimbledon Ralf Sotscheck

Es war kein großes Endspiel, aber dafür war es spannend. Der Schwede Stefan Edberg ist als Spätstarter bekannt. Im vergangenen Jahr gewann Boris Becker den ersten Satz des Wimbledon-Finales mit 6:0. Diesmal lief es anders. Becker spielte von Anfang an, als wolle er das ganze möglichst schnell hinter sich bringen, um rechtzeitig zum Fußballfinale nach Rom fliegen zu können. Seine Aufschläge waren schlapp und endeten im Netz. Wenn der Ball nicht in unmittelbarer Reichweite landete, zuckte Becker resignierend mit den Schultern und unternahm keinen Versuch, hinter der Filzkugel herzulaufen. Der erste Satz ging nach nur 29 Minuten mit 6:2 an Edberg. Becker lag noch im Zeitplan für Rom.

Der zweite Satz verlief nahezu identisch. Wieder 6:2. Noch ging alles nach Plan. Darüber konnten auch einige gespielte Wutanfälle Beckers nicht hinwegtäuschen. Doch dann machte Edberg einen Fehler. Beim Seitenwechsel flüsterte er Becker hämisch zu, daß Beckenbauer nicht ihn, sondern Littbarski aufgestellt habe. Becker sah nun keinen Grund mehr, sich zu beeilen. Plötzlich waren die Rollen vertauscht. Nun war es der Schwede, der haarsträubende Fehler machte, während Becker ein paar hübsche Passierschläge gelangen. Er bequemte sich jetzt sogar, dem Ball entgegenzulaufen. Nachdem Becker den dritten und vierten Satz mit 6:3 gewonnen hatte, war alles wieder offen.

Im entscheidenden Satz hauten beide Spieler das Filzgerät sich - und den Zuschauern - dermaßen stümperhaft um die Ohren, daß die Vermutung aufkam, das Finale werde durch K.o. entschieden, wenn einer der beiden vom Ball unglücklich am Kopf getroffen würde. Als Becker den Aufschlag zum 3:1 durchbrach, wähnte er sich bereits als Sieger. Doch postwendend verbaselte er seinen eigenen Aufschlag mit Hilfe einiger Doppelfehler. Dasselbe Mißgeschick ereilte ihn beim Stand von 4:4 - nach knapp drei Stunden war alles vorbei. Edberg gewann, weil er am Sonntag etwas weniger schlecht in Form war. Nach dem letzten Ballwechsel zeigte der Schwede zum ersten Mal eine Gefühlsregung und warf die Arme in die Luft. Sekunden später hatte er sich jedoch wieder unter Kontrolle.

Bei der Pressekonferenz analysierte Becker das Spiel für Unbedarfte: „Wenn ich im letzten Satz beim Stand von 3:1 meinen Aufschlag durchgebracht hätte, wäre das Spiel anders verlaufen.“ Ach was. Im übrigen sei der Wind sehr widrig gewesen. Auch Edberg vermittelte nach dem Spiel unerwartete Erkenntnisse: „Es ist nie gut, Zweiter zu werden“, sagte er. „Aber es ist gut, hierherzukommen und zu gewinnen.“

Die britische Presse war an etwas anderem interessiert. Becker hatte die Eislauf-Olympiasiegerin Katarina Witt aus der DDR auf die Tribüne der „Angehörigen“ eingeladen. Der 'Daily Express‘ ließ seinen erotischen Phantasien freien Lauf: Der abend in Zweisamkeit habe möglicherweise darin kulminiert, daß sich die beiden das Fußballfinale gemeinsam angesehen haben.

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