Ein neues Lumpenproletariat für die Metropole?

■ Wie man eine Anti-Flüchtlingspolitik durch Nichtstun betreibt / Gegen die Verzerrung ihres Bildes in der Öffentlichkeit können sich die Flüchtlinge nicht wehren / Kafkaeskes Ritual statt pragmatischem Verfahren

West-Berlin. Man kann mit Bildern Politik machen. Entscheidend ist, welche Bilder man zuläßt und welche nicht. Man kann Menschen, in diesem Fall Flüchtlinge, ohne weiteres dazu bringen, Nächte in Müll und Straßendreck zu verbringen, sich apathisch oder aggressiv zwischen Gitterspalieren zu drängen, rücksichtslos gegen Schwächere zu werden. Man sorgt ganz einfach für ein Nadelöhr, in diesem Fall die Asylstelle der Ausländerbehörde, vor dem sich die Menschen zwangsläufig stauen müssen. Wer vier Tage und Nächte, auch im Regen, warten, warten und noch mal warten muß, der wird apathisch oder aggressiv, der verliert langsam die Achtung vor sich selbst und den anderen. Das Bild, das dabei herauskommt, ist altbekannt und propagandistisch beliebt: Plötzlich sehen sie aus wie Eindringlinge, wie eine unkontrollierbare, chaotische Masse, der nur durch Polizeieinsatz beizukommen ist.

Kein Zweifel: Die Zahl der Asylantragsteller ist enorm gestiegen. Und angesichts der restriktiven Anerkennungspraxis ist bei vielen jetzt schon fraglich, ob sie als politische Flüchtlinge anerkannt werden. Das scheint offenbar Grund genug, sie in die Rolle eines neuen Lumpenproletariats der neuen Metropole zu zwingen. Anders läßt sich kaum erklären, daß man es seit Wochen nicht für nötig befindet, dort nachts Zelte aufzustellen. Statt einer warmen Mahlzeit wird die Polizei geschickt. Statt die ganze Prozedur in die Wohnheime zu verlegen, müssen sich die Leute einem kafkaesken Ritual in Wartesälen unterziehen, wenn sie sich nicht schon vorher nach zwei Nächten unter freiem Himmel eine Lungenentzündung geholt haben. Sie können sich nicht wehren, weil sie die Sprache nicht sprechen und weil ihnen ohnehin keiner zuhört. Wer geht nachts um 2 Uhr schon ans Friedrich-Krause-Ufer? Das aber wäre jedem zu empfehlen, der sich ein Bild vom Umgang dieser Stadt mit den Fremden machen will. Die Nacht ist lang, und die Leute haben viel zu erzählen.

Andrea Böhm