Das Sexualstrafrecht in der DDR: Für Frauen ein paar Lichtblicke

■ Das Sexualstrafrecht in der DDR ist im Vergleich mit der BRD-Gesetzgebung in einigen Punkten fortschrittlicher / Die Auseinandersetzung um die Abtreibung sollte dazu ermutigen, auch die anderen frauenfreundlicheren Ansätze im DDR-Gesetz in die deutsche Rechtseinheit hinüberzuretten

Von Christine Olderdissen

In Bonn und Ost-Berlin sitzen die Experten zusammen und basteln an der deutschen Rechtseinheit. Nachdem der Staatsvertrag unter Dach und Fach ist, wird nun über die Übernahme des sonstigen Rechts verhandelt. Das Tauziehen um den Paragraphen 218 ist für eine Übergangszeit eingestellt, besser: verschoben worden. Solange, bis ein zukünftiges gesamtdeutsches Parlament über die Abtreibungsfrage befindet, wird das DDR-Gesetz neben dem in der BRD wohl bestehen bleiben dürfen. Ein Sieg zwar für die Paragraph-218 -GegnerInnen, doch nur ein kleiner. Denn eine Übergangszeit ist nur ein geringer Zeitgewinn, und die LebensschützerInnen schlafen nicht.

Dennoch könnte die Sache mit der Abtreibung Schule machen. Wir könnten nach weiteren frauenfreundlicheren Regelungen des DDR-Rechts suchen und - so es sie denn gibt - für ihre Übernahme streiten.

Da wäre, um einen Anfang zu machen, das Sexualstrafrecht: Für die BRD wissen wir bereits, daß das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau unzureichend geschützt ist. Das Strafrecht schützt eher den Ehemann oder Vater vor dem Übergriff eines anderen Mannes auf die „eigene“ Frau oder Tochter, drängt Frauen in die passive Opferrolle und gibt ihnen die Mitschuld. Feministinnen in der BRD fordern deshalb schon lange die Reform des Sexualstrafrechts.

Und wie sieht es in der DDR aus? Am 12.Januar 1968 trat das Strafgesetzbuch der DDR in Kraft und löste das noch bis dahin geltende Strafgesetz des Deutschen Reiches von 1871 ab. Erst im vierten Anlauf war es der Deutschen Demokratischen Republik gelungen, preußische Rechtstraditionen so mit sozialistischen Vorstellungen von Strafe zu verquicken, daß Moskau nicht wieder „Njet“ sagte.

Wie die Geier stürzten sich damals westdeutsche Juristen auf das Werk und zerfledderten es als unheilvolles Konglomerat marxistisch-leninistischer Grundhaltung. Unter den Kritikern waren aber auch solche wie der damalige Bundesrichter Horst Woesner, der lobend hervorhob, daß das Sexualstrafrecht auf „engherziges Moralisieren und falsches Pathos“ verzichte.

Sieben Jahre lang - bis zur großen Strafrechtsreform in der Bundesrepublik Deutschland - hatte die DDR im Sexualstrafrecht die Nase vorn. Anstelle von „Unzucht“ sprach sie von „sexuellen Handlungen“, und aus den „Sittlichkeitsdelikten“ machte sie „Straftaten gegen die Freiheit und Würde des Menschen“. Schon damals wagte sich die DDR so weit vor, erwachsene Schwule - wenn sie es miteinander und nicht mit Minderjährigen hatten - nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen.

Im DDR-Sozialismus wurde die Losung ausgegeben, die Kriminalität sei ein Resultat der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und daher mit der Ausbeutung abschaffbar. Offensichtlich hat das nicht so ganz geklappt. Immerhin wurden Statistiken zum Beweis angeführt, daß die DDR -BürgerInnen bei weitem nicht so kriminell waren wie die im Westen. Das galt auch im Hinblick auf Vergewaltigungen. Über Jahrzehnte gab es weit weniger Strafverfahren als in der BRD. Noch 1987 kamen auf 100.000 Einwohner drei bekanntgewordene Vergewaltigungsfälle, in der BRD dagegen neun.

Sexuelle Nötigung

in der Ehe strafbar

Ob diese Zahlen aus der DDR zutreffen, ist mehr als zweifelhaft. Untersuchungen über Dunkelziffern, Anzeigeverhalten der Frauen oder die Behandlung von Vergewaltigungsanzeigen durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht existieren nicht. Das einzige Strafrechtslehrbuch der DDR beschreibt die Vergewaltigung als „eine besonders schwere Mißachtung der Persönlichkeit des Menschen und der Prinzipien und Beziehungen des sozialistischen Gemeinschaftslebens“. Doch für die „ernsthaften Störungen im sozialistischen Gemeinschaftsleben“ war allein der unbekannte Vergewaltiger hinterm Busch verantwortlich.

Denn: Vergewaltigung in der Ehe existiert auch in der DDR nicht, steht auch dort nicht unter Strafe. Der Geschlechtsverkehr gehörte eben auch im Sozialismus zur ehelichen Pflicht. Doch immerhin versteht das DDR-Strafrecht zu unterscheiden. Der Ehemann mag zwar unbegrenzten Zugang zur Vagina haben. Zwingt der seiner Ehefrau aber anale oder orale Penetration auf oder sonstiges aus dem Repertoire gewalttätiger Männer, so ist das sexuelle Nötigung und steht unter Strafe. In der Bundesrepublik gehen Ehemänner bisher für solche Übergriffe straffrei aus. „Trotz der eindeutigen Rechtslage haben Staatsanwalt und Gericht aber oft nichts gegen den Ehemann unternommen“, weiß Anke Grosser, eine der ersten Juristinnen, die in Ost-Berlin ihre Zulassung als freie Rechtsanwältin bekam. „Was in der Ehe vor sich ging, sollte wohl allein Sache der Eheleute sein.“

Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung sind sich Ost und West einig, daß die Perspektive des Täters zählt und nicht die des Opfers. Der Täter muß der Frau die sexuelle Handlung „mit Gewalt“ aufgezwungen haben. Und „Gewalt“ ist immer das, was den Widerstand der Frau - aus seiner Sicht - brechen soll. In der Bundesrepublik muß die Frau allerdings erkennbar Widerstand leisten. In der DDR hingegen genügt es, wenn der Täter Widerstand erwartet. „Die DDR hat einen engeren Gewaltbegriff als die BRD“, betont Christine Weiß, Kriminologin in der Sektion Rechtswissenschaft der Ostberliner Humboldt-Universität. „Mit dem Einzug der bundesdeutschen Rechtsprechung und ihrem problematischen Gewaltbegriff wird der sich aber verlieren“, warnt Monika Frommel, Hochschullehrerin für Strafrecht in Frankfurt.

Bundesdeutsche Feministinnen fordern deshalb, das Merkmal der Gewalt aus dem Gesetz zu streichen und statt dessen „jede Handlung, die gegen den Willen“ der Frau erfolgt, unter Strafe zu stellen. Denn: Wenn eine Frau Nein sagt, meint sie auch Nein.

Härtere Strafen

für Vergewaltiger

Und noch ein Lichtblick findet sich im DDR-Strafgesetzbuch: Es kennt, anders als das bundesdeutsche, weder bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung noch beim Kindesmißbrauch einen „minderschweren Fall“. Dieser ist vor bundesdeutschen Gerichten immer das Einfallstor für „Opferbeschuldigungen“, wie Monika Frommel sagt. Weil in einem „minderschweren Fall“ die Strafe niedriger ist, tut der Verteidiger alles, um dem Opfer eine Mitschuld an der Gewalttat zuzuschieben: Wechselnde Männerbekanntschaften, der Minirock... Beliebt ist auch, im Intimleben der Frau herumzurühren. „Das kommt in der DDR nicht vor“, kommentiert Anke Grosser.

Statt des minderschweren Falls hat die DDR den besonders schweren Fall geregelt. Bei einer Gruppenvergewaltigung, oder wenn die Vergewaltigte noch keine sechzehn Jahre alt war oder schwere körperliche Schäden erlitten hat, droht eine Strafe bis zu zehn Jahren. Das stellt die Sache klar. In der Frage des sexuellen Mißbrauchs geht die DDR sogar ganz andere Wege. Wo die Bundesrepublik vier komplizierte Paragraphen braucht, um die sexuelle Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen zu bestrafen, reicht der DDR einer: In §211 StGB-DDR droht demjenigen Strafe, der einen anderen durch Gewalt, Drohung, Ausnutzen einer Notlage oder „Mißbrauch seiner gesellschaftlichen oder beruflichen Funktion oder Tätigkeit“ zu sexuellen Handlungen zwingt.

Brauchbare Ansätze - mehr aber auch nicht

BRD-Juristen finden diese Formulierung „zu schwammig“. Feministische Rechtsanwältinnen wie Malin Bode aus Bochum und Marianne Grahl aus Berlin entdecken darin einen durchaus „brauchbaren Ansatz“. Die sexuelle Nötigung, wie sie im DDR -Gesetz definiert wird, erfasse auch die Abhängigkeiten, die Frauen dazu bringen, sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz hinzunehmen. „Bisher“, sagt Marianne Grahl, „bleiben der Arbeitskollege oder der Chef, die die Angst der Frau um ihren Arbeitsplatz oder ihre Sorge um das Arbeitsklima ausnutzen, straflos.“ Für die sexuelle Belästigung gibt es in der BRD keine Strafnorm.

Der sexuelle Kindesmißbrauch ist auch in der DDR das häufigste Sexualdelikt. Schon laut offizieller Zahlen wurden 1987 sieben Täter je 100.000 Einwohner bekannt, in der BRD waren es 16. Das ganze Ausmaß wird aber erst allmählich sichtbar. Knapp und eindeutig formuliert die DDR im §148 StGB, daß bestraft wird, „wer ein Kind zu sexuellen Handlungen mißbraucht“. Die BRD macht an gleicher Stelle zahllose Verrenkungen, um jeder Variante des Mißbrauchs gerecht zu werden. Auf diese Art schlüpft ihr dann der eine oder andere Täter durch die Maschen.

Aus dem DDR-Strafgesetz wurde schließlich ganz vorbildlich

-aber viel zu spät - 1989 der Homosexuellen-Paragraph 151 gestrichen, der jedem Schwulen, aber auch jeder Lesbe, Strafe androhte, falls die Geliebten noch keine 18 Jahre alt waren. Statt dessen schützt die DDR Mädchen und Jungen gleichermaßen vor den sexuellen Übegriffen einer jeden erwachsenen Person.

Die BRD meint übrigens auch immer noch, die Jungfräulichkeit schützen zu müssen. Bei nachfolgender Eheschließung bleibt Sex mit Mädchen unter 16 Jahren straflos. Ähnlichen Wert haben die Bevormundungsrechte von Eltern & Ko: Eine „Entführung mit Willen der Entführten“ wird ihnen zuliebe bestraft. „Das kann man nur noch streichen“, sagt Monika Frommel. Die DDR hat zumindest diesen patriarchalen Geist von 1871 längst vertrieben.

Unterm Strich gibt es also im DDR-Sexualstrafrecht ein paar positivere Ansätze als in der BRD-Gesetzgebung - mehr aber auch nicht. Im Bonner Justizministerium wartet man indessen gelassen auf den Protest aus der DDR gegen das BRD-Recht. „Je mehr Widerstand, um so besser“, sagt Sprecher Jürgen Schmidt, „wir wollen der DDR unser Recht nicht überstülpen.“ Mit Übergangsregelungen kann ja erst mal für Ruhe und Rechtsfrieden im Land gesorgt werden.

Siegfried Wittenbeck, Leiter der Abteilung Strafrecht im Justizministerium der DDR, will auf jeden Fall die Fristenlösung und die Streichung des §151 beibehalten. Wie weit er sich auch für die sonstigen Errungenschaften einsetzen will, weiß er noch nicht. Am 1. Juli trat das 6. Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft.

Prostitution und Pornographie erlaubt

Unter anderem wurde darin das absolute Prostitutionsverbot aufgehoben. Bisher hatte das DDR-Recht Prostitution genauso wie „asoziale Lebensweise“ oder „Arbeitsscheu“ als „Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung“ gewertet und mit bis zu zwei Jahren bestraft - theoretisch zumindest.

Spätestens aber seit dem Fall der Mauer ist das Prostitutionsverbot faktisch außer Kraft. Nun wurde der entsprechende Paragraph einfach gestrichen. Auch das absolute Verbot der Einfuhr und Verbreitung pornographischer Produkte wurde unterlaufen.

Mit der Vergabe entsprechender Gewerbegenehmigungen hat die DDR großzügig Beate Uhse und Konsorten ins Land gelassen. Strafanträge des Unabhängigen Frauenverbands gegen Videoverleiher und andere, gestützt auf das immerhin noch geltende Verbot, liegen bei der Staatsanwaltschaft auf Eis.

Siegfried Wittenbeck sieht voraus, daß sich die DDR in der Frage der Prostitution und der Pornographie den BRD -Regelungen anschließen wird, da das Strafgesetzbuch der DDR an dieser Stelle nichts hergebe, was erhaltenswert sei. Und alternative Vorschläge aus frauenbewegten Kreisen, die Pornographie aus dem Strafrecht herauszunehmen, dafür aber allen, die sich durch sie geschädigt und diskriminiert fühlen, eine zivilrechtliche Klagemöglichkeit zu geben, kennt Wittenbeck nicht.

Es gilt also, sich gründlich einzumischen in das, was da hinter den Vorhängen der deutsch-deutschen Bühne verhandelt wird. Noch hat sich der Unabhängige Frauenverband in der DDR nicht zu Wort gemeldet. Auch die Familienministerin der DDR, Christa Schmidt, scheint noch konzeptionslos.

Allein der Feministische Juristinnentag warnte Ende Mai vor der einfachen Übernahme des BRD-Rechts durch die DDR. Auf der Grundlage der von der Frauenbewegung erarbeiteten Mindestanforderungen an ein Sexualstrafrecht, wie Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und Aufhebung der Diskriminierung von Prostituierten, forderten die versammelten Juristinnen die längst überfällige Reform des Sexualstrafrechts.