Radikale unterwandern europäische Grüne

■ Machtpolitik um jeden Preis / Partido Radicale hievt Mitarbeiter in strategische Positionen anderer Parteien / Die Italiener setzen auf die politische Union der Europäischen Gemeinschaft / Ein offener Kampf zwischen den verschiedenen Parteien in der grünen Fraktion / Eklat beim Mandela-Besuch im Europaparlament

INTERVIEW

Wird sich die grüne Fraktion im Europaparlament (EP) spalten? Der grüne Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Wilfried Telkämper, zieht ein herbes Fazit nach einem Jahr grüner Parlamentsarbeit. Ein Gespräch über die Strukturen in der grünen Fraktion.

taz: Europa ist im Aufbruch, die politischen Strukturen verändern sich. Statt sich in diese Diskussion ernsthaft einzumischen, beschäftigt sich die grüne Fraktion im Europaparlament in erster Linie mit sich selbst. Wie erklärst Du Dir das?

Wilfried Telkämper: Seit vor einem Jahr die Europawahlen stattfanden, hat es diese Fraktion nicht geschafft, gemeinsam Politik zu machen. Es sind nicht nur die Deutschen unzufrieden. Auch die Belgier und die Niederländer suchen eine politische Debatte, um eine gemeinsame Plattform zu finden, von der aus man dann konkrete Politik machen kann.

Diese Herangehensweise unterscheidet sich aber von der Machtpolitik einiger Südeuropäer, die inhaltlich jede Auseinandersetzung verhindern, um so die Themen der Fraktion und die personelle Zusammensetzung des Mitarbeiterstabes zu bestimmen.

Einige Südeuropäer? Wer ist das?

Ich habe den Eindruck, daß aus der Partido Radicale heraus ein bewußter Versuch zur Strukturierung unserer Fraktion sowohl hinsichtlich der politischen Inhalte als auch der personellen Struktur unternommen wird. (Die Partido Radicale ist trotz ihrer Auflösung im letzten Jahr in Italien recht einflußreich, weil sie ihre Mitarbeiter in strategische Positionen anderer Parteien gehievt hat und so deren Politik mitbestimmt. Mehrere der sieben grünen EuropaparlamentarierInnen aus Italien sind direkt oder indirekt mit der Partido Radicale verbunden, d.Red.)

Sie versuchen ganz gezielt, ihren Einfluß zu erweitern, und bedienen sich dazu der restlichen italienischen und der französischen Abgeordneten. Entsprechend fand ein Jahr lang ein nicht-offener Machtkampf statt, um bestimmte Posten mit bestimmten Leuten zu besetzen. Dabei sind sie auch nicht davor zurückgeschreckt, Mitarbeiter öffentlich zu verleumden. Hinzu kommt, daß die ganze Einstellungspolitik den MitarbeiterInnen gegenüber unfair war. Die MitarbeiterInnen wußten vielfach gar nicht, ob sie eingestellt waren oder nicht. Und es hat teilweise monatelang gedauert, bis sie richtige Verträge bekamen.

Das hat sogar dazu geführt, daß sich die Gewerkschaft im EP ernsthaft überlegt hat, ob sie nicht gegen unsere Fraktion vorgeht. So etwas in einer grünen Partei halte ich für einen Skandal. Das haben wir als Deutsche mehrfach moniert. Es wurde jedoch von der Mehrheit der Mitglieder in der Fraktion oder im Vorstand ebensowenig ernst genommen, wie unser Hinweis, daß wir nicht länger bereit sind, nur über Formalitäten zu diskutieren.

Was sind denn die politischen Streitpunkte?

Die Italiener setzen ganz klar auf die politische Union der EG. Sie sagen, durch eine Reform der EG kommen wir zu einem neuen, friedlichen Europa. Die Position der Deutschen dagegen ist: Hier ist ohne Bürgerbeteiligung eine starke Wirtschaftsmacht in Westeuropa im Werden begriffen. Wir gehen nicht davon aus, daß man diesen Apparat kurzfristig so reformieren kann, daß er ein Modell werden kann, in das sich auch osteuropäische Länder integrieren können.

Es gab einen Eklat während des Besuchs von Mandela im EP...

Ja, es war uns zusammen mit den Sozialisten und Kommunisten gelungen, Nelson Mandela nicht nur ins Europaparlament einzuladen, sondern auch, daß er im Plenarsaal, wo eigentlich nur Präsidenten sprechen dürfen, reden konnte. Dabei gab es auch eine Resolution über Südafrika, in der das EP betonte, daß die Sanktionspolitik erst einmal fortgeführt werden soll.

Der Chef der Radikalen Partei, Marco Pannella (Pannella ist fraktionsloser Europaabgeordneter, d.Red.) nutzte die Gelegenheit, um die Politik des ANC und Mandelas zu verurteilen, weil es die Schwarzen in Südafrika seien, die die Gewalt anwenden. Er forderte die Aufhebung der Sanktionen. Diesen Gegenentwurf haben einige in unserer Fraktion mitunterschrieben.

Nach der Mandela-Affäre schrieb Jürgen Maier vom Bundesvorstand der Grünen, es wäre jetzt an der Zeit, entweder die Vertreter der Partido Radicale in der Grünen -Fraktion hörten auf, als U-Boote des neoliberalen Pannellas grüne Politik kaputtzumachen, oder die grünen Parteien müßten einen klaren Trennungsstrich ziehen. Wie siehst Du das?

Wir hoffen, daß sich die Fraktion noch wandeln wird. Wenn nicht, dann wird es schwierig sein, in dieser Fraktion noch weiter zu arbeiten.

Obwohl es jetzt zumindest denkbar ist, daß die Grünen in einem gesamtdeutschen Parlament nicht vertreten sein werden. Was hätte dies denn für Auswirkungen auf die Grünen Europas?

Erst einmal gehe ich davon aus, daß die Grünen im nächsten deutschen Parlament vertreten sein werden. Es gibt aber natürlich von den Grünen der Nachbarländer die Befürchtung, daß mit einer Wahlniederlage der deutschen Grünen auch ihre grüne Bewegung nicht mehr an Stärke gewinnt. Ich halte diese Befürchtung für unbegründet, weil durch die anhaltende Zerstörung der Natur in der Bevölkerung ein Interesse besteht, daß die grüne Bewegung weitervorankommt.

Das Interview führte Michael Bullard