: Blut, Lauerblicke, Bildstörung
■ Gespräch mit Christian Gorny (Zeichner, London) und Peer Meter (Autor, Bremen) über ihren „Haarmann„-Comic
hierhin bitte den Mann mit
Lederjacke
Christian Gorny
Die Fachwelt ist ganz verzückt, und Peer Meter, Bremer Autor, hält den Comic-Band „Haarmann“, den er zusammen mit dem Zeichner Christian Gorny hergestellt hat, für einen „Meilenstein in der Geschichte des deutschen Comics“. Kann gut sein, daß er kein bißchen übertrieben hat. Die taz sprach mit Peer Meter und Christian Gorny über die Farbe von Menschenknochen, über Kamerafahrten, die Ästhetik der Bildstörung und über Schwarz und Weiß.
hierhin bitte den Mann mit
schütterem Haar und Stift
in der Hand
Peer Meter
taz: Was am massenmörderischen Haarmann hat euch angezogen?
Peer Meter: Ich glaube, es gibt in ganz Deutschland außer Chri hierhin bitte das Foto
von dem karg eingerichteten
Zimmer
stian Gorny keinen, der sowas zeichnen kann, ohne daß es blutrünstig oder so vordergründig fies wird.
Christian Gorny: Der Fall trieft ja so schon genug von Blut.
Meter: Man muß sich vorstellen, das haben alle gewußt. Es gab die Nachbarn, denen auffiel, daß serienweise junge Männer bei Haarmann reingingen und nicht mehr wiederkamen, es gab mehrere Haussuchungen...
Gorny:...einmal lag da sogarein Kopf im Zimmer. Die haben
aber gar nicht richtig nachgesehen. Brauchten den Haarmann ja als Polizeispitzel.
Meter: Das ist dieses Wegkukken. Völlig unglaublich. Die Wände waren dünn, die Matratzen blutdurchtränkt...
Gorny: Das muß gestunken haben!
Meter: Die haben das alle verdrängt. Der Haarmann hat über zwanzig Männer ermordet, zerlegt und ihr Fleisch verkauft.
Ihr habt diesen Comic zu zweit gemacht. Habt ihr euch oft gezankt?
Gorny: Überhaupt nicht.
Meter: Daß wir uns da gefunden haben, das ist etwas ganz Wunderbares.
Wie seid ihr vorgegangen? Hat Peer sowas wie ein Drehbuch geschrieben?
Gorny: Kann man sagen. Peer kam mit der Geschichte an, hatte einzelne Passagen schon ausgearbeitet, und dann haben wir das diskutiert. Peer wollte, daß man sieht, wie nah Haarmann an allem dran war. Ich hab das gelöst mit dieser Kamerafahrt durch das Hannover von 1924, der Leine entlang, wo das Auge beiläufig unter Brücken und an aufgeregten Menschen vorbeihuscht, bis wir dann in Haarmanns Zimmer kommen. Am Ende hab ich die Seitenaufteilung gemacht, und Peer konnte die Sprechblasen fertigstellen.
Meter: Es war nicht ganz einfach. Da muß ja alles sitzen. Beim Comic hat man weder Platz für visuelle Ausschweifung noch Zeit für lange Dialoge. Das muß man ökonomisch kalkulieren, die Bilder für sich müssen schon erzählen, der Text ergänzt dann.
Viele Bilder, glaube ich, ziehen einen in die Perspektive zumindest eines Mit-Täters. Das sind flakkernde, hart geschnittene Blicke nach allen Seiten. Vergewisse rungs- oder Lauerblicke.
Gorny: Ja, das kann gut sein, daß die Perspektiven bedrohlich wirken, daß man sich verfolgt fühlt.
Haarmann lebt ja in einer Bildwelt, die oft an den alten Caligari-Film mit seinen Krümmungen und Verwerfungen der Perspektive erinnert.
Gorny: Nun, mir liegt das auch. Das nimmt dem Leser so 'n bißchen den Halt, und das Auge rutscht leicht ab. Oder auch diese langen, fast unmotivierten Schat
ten, die ziemlich verwirren. Aber dabei geht es auch, das sag ich mal nebenbei, mehr um die Verteilung von Weiß und Schwarz auf der Fläche als darum, wo der Schatten wirklich zu sein hat.
In diesen Schatten ist die Ästhetik der Bildstörung.
Gorny: Hähähä!
Meter: Wunderbar! Genauso isses. Dahinter steckt die Unordnung, die Unordnung in der Zeit. Und das kann, ich sagte es, nur der Christian.
Die Bilder scheinen manchmal richtig an ihren Rahmen zu reißen.
Gorny: Ja. Das liegt vielleicht auch daran, daß ich den Rahmen jetzt zum ersten Mal ganz durchgängig verwende. Früher war ich radikaler und habe, wo's nur ging, darauf verzichtet. Bei dieser Geschichte, fand ich, ist der Tobak für den normalen Leser so schon stark genug.
Sind Menschenknochen wirklich weiß?
Meter: Das kannst du mir glauben. So langsam, wie ich arbeite. Ein halbes Jahr für diese Geschichte. Da ist jedes Detail überprüft.
In der Comic-Szene gibt es doch den Streit zwischen den „Erzählern“ und den „Graphikern“. Die einen machen rasante Storys, die anderen, sagen sie, Kunst.
Gorny: Das interessiert uns nicht. Es gibt Leute, die sagen, daß sich die Szene spalten wird...
Und ihr?
Meter: Wir machen unser Ding.
Gorny: Insgesamt ist die Polarisierung, denke ich, unvermeidlich. Da wird nachgeholt, was im Film schon früher geschehen ist. Die einen experimentieren mit Formen, die anderen produzieren den reinen Gebrauchswert.
Meter: Das Problem in Deutschland ist aber erstmal, den Leuten klarzumachen, daß wir keinen Kinderkram machen...
Gorny:...daß es sich mittlerweile um ein vielschichtiges, ganz breit entwickeltes Massenmediums handelt. Das weiß hierzulande doch kaum wer.
Meter: Was haben wir früher noch für Prügel gekriegt!
Gorny: Und jetzt diese Flut von Comics.
Meter: Ein Boom. Es ist mir unbegreiflich, wer das alles kauft. Allein Carlsen in Hamburg bringt zehn Titel pro Monat raus.
Gorny: Und erst D.C., „Detective Comics“, in Amerika: 170 im Monat.
Euer Haarmann-Band wird einhellig bejubelt. Habt ihr damit gerechnet?
Meter: Nein, das kam völlig überraschend, sowohl für Carlsen als auch für uns.
Gorny: Und jetzt hängt uns wie eine Klette der Name Haarmann an.
Meter: Aber es is‘ schon toll. Man muß auch sagen, daß dieses Album ein Meilenstein ist in der Entwicklung des deutschen Comics, gar keine Frage.
Gorny: So eine Art Eisbrecher für die Schwarz-Weiß-Szene.
Gibt's die?
Gorny: Ja, spaßigerweise sehr stark angeregt in den Siebzigern von Zeichnern in Argentinien, wo sie einfach kein Geld hatten für den Farbdruck.
Meter: Den Haarmann kann ich mir aber auch beim besten Willen nicht in Farbe vorstellen. Es gibt gewisse Sachen, wie Hitchcocks „Psycho“, die sind einfach schwarzweiß.
Letzte Frage: Was habt ihr nun vor?
Gorny: Haarmann, Band 2 und Band 3.
Fragen: scha
Peer Meter, Christian Gorny: Haarmann, Band 1, 46 S.; Carlsen Verlag, Hamburg 1990, DM 14.80
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