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Radio fürs Fernsehen

■ DEFA-Dokumentarfilmer beantragen eigenen Fernsehkanal / 24-Stunden-Programm für Berlin-Brandenburg geplant / Kommerz und anspruchsvolle DEFA-Filme auf einer Welle

Von Ute Thon

Die DEFA ist bankrott, es lebe die DEFA. So ähnlich könnte das Motto der DEFA-Dok-Filmer in der Ostberliner Otto -Nuschke-Straße lauten, die jetzt die Flucht nach vorn antreten. Die Abteilung Dokumentarfilm der DEFA, einst Markenzeichen für solide, handwerklich gekonnte Produktionen und behagliche Heimstatt für so manchen aufmüpfigen Filmemacher im alten SED-Staat, kämpft mittlerweile ums Überleben in der vereinten deutschen Medienlandschaft. Gegenwärtig werden die letzten vom DDR-Fernsehen in Auftrag gegebenen Produktionen in den DEFA-Studios in Babelsberg und Berlin fertiggestellt. Aufträge in einer Gesamthöhe von 2,5 Millionen D-Mark hat der DFF aus Geldmangel kurzfristig storniert, denn auch dort kreist der Pleitegeier. Der Gang zum Arbeitsamt scheint für die meisten der rund 800 Regisseure, Dramaturgen, Kameraleute und Techniker unausweichlich.

Es sei denn, man hätte ein eigenes Fernsehprogramm für das man produzieren könnte. „DEFA-TV“ heißt darum auch Klaus -Dieter Hendriks Zauberwort. Der junge DEFA-Dramaturg, gelernter Krankenpfleger und ehemaliger Musikredakteur der Jazzbühne im alten DDR-Fernsehen, stellte jetzt der Öffentlichkeit das Projekt für einen 24-Stunden-TV-Kanal vor. Privates Fernsehen für Berliner und Brandenburger soll es sein. Das rund sechzigseitige Konzept, das der Dok-Filmer zusammen mit dem Westberliner Dipl. Medienberater Thomas Thiessen und dem Journalisten Hans R. Boecking entwickelt hat und vorletzte Woche dem Medienkontrollrat vorlegte, geht aufs Ganze. Schon im Mai habe man einen Antrag auf die dritte terrestrische Fernsehfrequenz gestellt, die in der DDR bislang noch frei ist, um dort ein 24stündiges Regionalprogramm für den Raum Berlin-Brandenburg zu produzieren. Berlin als „zukünftiges multikulturelles Zentrum Europas“ sei als Medienstandort ausgesprochen attraktiv, betonte Hendrik und finanzkräftige Partner aus West-Berlin, der Schweiz und aus Amerika seien bereits gefunden, deren Namen man zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht nennen wolle.

Weckdienst von fünf bis acht, dann bis um zwölf Uhr das Morgenmagazin Heute Morgen, Lunchtime; Pinnwand und am späten Nachmittag dann Kultur - das Programmkonzept liest sich nicht zufällig wie eine Vorschau fürs Radio. Den DEFA-Aktivisten schwebt ein „Fernsehen im Hörfunkstil“ vor, mit viel Musik, permanenter Moderation aus einem Studio, aus dem „der große Kommunikator“ die gesamte Sendung ähnlich wie beim Hörfunk fährt. Nur daß man bei DEFA-TV dem Hörfunkmoderator dabei auf die Finger sehen kann. Geplant sind Nachrichten und aktuelle Berichte aus der Region, Servicedienste, Musikvideos und andere „Realfilmbeiträge“. Modernes Clip-TV a la Super-Channel oder MTV also? Nein, auf keinen Fall, wehrt Hendrik ab. Aber: „wir wollen auch keine 24 Stunden Abendschau machen“. DEFA-TV wolle sich am Alltag der Zuschauer orientieren und ihn „gezielt und nebenbei“ ansprechen. Und das alles eine Spur peppiger, wie man es von RTL oder SAT gewohnt sei: der Horoskop-Service mit frechen, selbstironischen Kommentaren und als Betthupfer vielleicht ein erotisches Quiz. Für inhaltliche Tiefe sollen alte und neue DEFA-Produktionen sowie andere hochwertige Produktionen sorgen, die selbst produziert oder angekauft würden.

100 Millionen D-Mark seien als Jahresetat anvisiert, nicht eben viel, um ein Vollprogramm zu produzieren, gibt Hendrik zu, noch dazu, wenn man möglichst viele Arbeitsplätze für die DEFA-Dok-Filmer erhalten will. Man sei bereits dabei, die Personalstrukturen umzubauen, doch mehr als etwa 150 bis 200 Leute könne man bei DEFA-TV nicht beschäftigen. Und auch das scheint angesichts der schmalen Haushaltskalkulation noch hoch gegriffen. Als wichtigste Einnahmequelle ist Werbung vorgesehen, in klassischer Form als Spots oder auch als Sponsering bestimmter Sendungen. Zwar sollen Spielfilme grundsätzlich nicht durch Werbung unterbrochen werden, andererseits preist das Konzept die Kommerzspots jedoch als wesentliche Programmelemente an („auch eine Realfilmdomäne im DEFA-TV“).

Ende August will die DEFA-TV-Crew der Volkskammer ein detailliertes Finazierungskonzept für ihr Projekt vorlegen. Der Medienausschuß der Volkskammer hätte schon sein Wohlwollen signalisiert und auch die Medienexperten der anderen Fraktionen sympathisierten mit seiner TV-Idee, offenbart Hendrik. Darum sei man auch guter Hoffnung, vielleicht schon vor der Verabschiedung eines endgültigen Mediengesetzes im Land Brandenburg eine Option auf die dritte terrestrische Frequenz zu erwirken. Gegenüber RTL oder SAT.1, die neben vielen anderen privaten TV-Anbietern schon lange nach eben dieser Frequenz gieren, hätte man einen klaren Standortvorteil. Denn DEFA-TV wolle nicht nur Filme abspulen, sondern auch in Berlin produzieren. Außerdem sei zu bedenken, „daß es die Tradition des DEFA -Dokumentarfilms zu bewahren gilt“.

Ob sich die Verantwortlichen allerdings von solchen Argumenten zu einer schnellen Entscheidung bewegen lassen, ist fraglich. Noch existiert in der DDR kein Frequenzvergabegremium, das vergleichbar mit bundesdeutschen Landesmedienanstalten die Zuweisungsmodalitäten regeln könnte, und der Medienkontrollrat hat schon vor Monaten vor überstürzten Entscheidungen in Sachen Zulassung privaten Rundfunks gewarnt, bevor nicht grundsätzliche gesetzliche Regelungen geschaffen seien. Der vom DDR-Medienministerium unlängst geplante Vorstoß in diese Richtung, die Vorlage eines Rundfunküberleitungsgesetz, fand in der Volkskammer wenig Anklang und jetzt ist erst mal Sommerpause - auch für die Spieler im Medienpoker.

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