Kurzmeldung aus dem Untergrund

■ Mit dem gestrigen Anschlag dokumentiert die RAF ihre Existenz und ihren ideologischen Niedergang

Als die RAF sich das letzte mal authentisch zu Wort meldete, „entlarvte“ sie einen angeblich von ihr vorbereiteten, dann aber abgebrochenen Anschlag auf Landwirtschaftsminister Kiechle als Erfindung des Verfassungsschutzes. Zuvor hatte die grandiose Denkleistung des RAF-Kollektivs, die sich in der Auswahl dieses Opfers ausdrückte, in der Szene und unter den RAF-Gefangenen für anhaltendes Kopfschütteln gesorgt. So blöd konnte die aktuelle RAF-Führungsriege, von Staatsschützern nach wie vor hochtrabend „Kommandogruppe“ tituliert, nicht sein. Das Dementi sollte das Kopfschütteln beenden.

Das Opfer Hans Neusel mag „besser gewählt“ sein. Immerhin ist er im Bonner Schäubleministerium zuständig für Innere Sicherheit, sozusagen ein Direktgegenüber der kämpfenden Truppe. Doch wer nach den Meldungen über den logistisch offenbar rafgemäß vorbereiteten Anschlag befürchtet oder gehofft hatte, eine irgendwie politisch nachvollziehbare Begründung oder gar Strategie verberge sich hinter dem dumpfen Ritual individueller Gewalt, wurde schnell eines besseren belehrt. Das kürzeste Bekennerschreiben aller Zeiten liegt ganz auf dem Niveau jener Strategen, die Kiechle für ein gutes Ziel hielten. Die „faschistische Bestie Westeuropa“ hat nicht etwa, wie eine linke Guerilla immerhin bedauernd hätte analysieren können, den realen Sozialismus und mit ihm die ehemals sozialistischen Utopien der RAF-Altvorderen verspeist. Sie hat sich mit der Einverleibung Ostmitteleuropas auch nicht als Zentrum des Imperialismus gegen die „Dritte Welt“ durchgesetzt. Nein, sie hat das spanische „Gefangenenkollektiv von PCE(R) und GRAPO“ angegriffen und die revolutionären Häftlinge in den Knästen isoliert. Neusel hat das „mitorganisiert“.

Der Verdacht liegt nahe, daß es den Urhebern des gestrigen Attentatversuchs weder um Neusel ging, noch um die spanischen Gefangenen - und auch nicht um den tragischen Tod Jose Manuel Sevillanos, der im Verlauf des unendlichen Hungerstreiks gestorben ist. Eine Guerilla, die zu politischer Analyse nicht mehr im Ansatz in der Lage ist, schafft sich ihre Anlässe selbst. Das einzige Signal, das ihr wirklich am Herzen liegt, lautet: „RAF lebt. Wir sind noch da, auch wenn es nur noch wenige glauben und beinahe niemand mehr zur Kenntnis nehmen will.“

Dieses Signal ist den Versprengten Desparados offenbar wichtig wie nie. Denn das Aufstöbern der zehn RAF-Pensionäre in der DDR schrie in den vergangenen Wochen förmlich nach Bilanz und Schlußstrich. Mit der Serienfestnahme dreizehn Jahre nach dem Höhepunkt der militärischen Auseinandersetzung zwischen RAF und Staat ist dieses Kapitel bundesrepublikanischer Geschichte - das Trauma des Deutschen Herbstes 1977 - zwar nicht letztgültig geklärt, aber doch abgeschlossen. Und zwar mit einem Ergebnis, das niederschmetternder kaum sein könnte - für beide „kriegführenden“ Parteien.

Hoffnung auf Erfolg

in der DDR?

Dreizehn Jahre nach Mogadishu gibt es Anhänger der RAF aus jener Zeit praktisch nur noch als Gefangene mit der Perspektive „lebenslänglich“. Alle anderen haben sich vor zehn oder mehr Jahren vom bewaffneten Kampf verabschiedet. Oder sie sind tot. Die antiimperialistische Linke, ob abgetaucht oder nicht, muß festellen, daß das Projekt RAF gescheitert ist. Man kann davon ausgehen, daß auch jene, die heute auf Grundlage welchen Weltbildes auch immer weitermachen, das wissen. Vielleicht leben sie in der vagen Hoffnung auf Rekrutierungserfolge im Osten, wenn sich die wirtschaftliche Situation in der DDR dramatisch zuspitzt.

Es ist zu befürchten, daß die Zeche für den Anschlag von Bonn die Gefangenen in bundesdeutschen Knästen zu zahlen haben. Die Forderung nach erneuter Verschärfung der Haftbedingungen kommt so sicher wie der nächste Anschlag. Und auch die Signale, die in den letzten Tagen auf einen moderaten Umgang mit den RAF-Aussteigern in der DDR hoffen ließen, könnten jäh verstummen.

Anlaß dazu gibt es nicht. Denn auch die bundesdeutsche Sicherheitspolitik steht vor einem Scherbenhaufen. Sie hat mit ihrer Verweigerung jeder politischen Lösung für einen gewalttätigen, politischen Konflikt bisher dafür gesorgt, daß die ideologische Starrheit der Mehrzahl der Gefangenen die ihrer den Fahndern entkommenen Genossen um inzwischen ein Jahrzehnt überlebt hat. Und sie hat mit Sonderfahndern, Sonderprozessen, Sondergesetzen und Sonderhaftbedingungen erreicht, daß die Rekrutierung für die RAF ohne Ende weitergeht. Die blutigen Anschläge der letzten Jahre wurden ausnahmslos begründet mit den Haftbedingungen der Genossen in den Knästen. Das war auch gestern so.

Das Attentat von Bonn wird den spanischen Gefangenen nicht helfen. Er wird die Situation der RAF-Häftlinge hierzulande

-ob Aussteiger oder nicht - verschärfen. In ihrem Kiechle -Dementi hat die RAF ein Grundsatzpapier avisiert: Die Kurzmeldung des Kommandos „Jose Manuel Sevillano“ kann es nicht gewesen sein. Das Kopfschütteln geht weiter.

Gerd Rosenkranz