: „Ich möchte einfach, daß eine linke Stimme vorhanden ist“
■ Die Theologin und Schriftstellerin Dorothee Sölle tritt für eine Liste mit der PDS ein und möchte die schlimmsten Auswirkungen der „Übernahme“ Osteuropas verhindern helfen
INTERVIEW
taz: Sie haben die Bürgerrechtsbewegung insgesamt als Ihr einziges Hoffnungspotential bezeichnet. Warum unterstützen Sie dann eine gemeinsame Liste mit der PDS und nicht mit der Bürgerrechtsbewegung der DDR?
Dorothee Sölle: Ich glaube, daß die PDS etwas gelernt hat und daß Menschen sich verändern können und nicht simpel als alte Stalinisten abqualifiziert werden dürfen. Ein Beispiel: Herr Gysi hat Bärbel Bohley verteidigt. Da können Sie doch nicht sagen: PDS und Friedensbewegung gehen nicht zusammen.
Bärbel Bohley würde nicht bei der PDS kandidieren.
Das verstehe ich vollkommen. Aber es muß so etwas geben wie die PDS...
...die in der DDR bei Wahlen mit der Bürgerbewegung konkurriert?
Die PDS ist doch nicht mehr die herrschende Staatspartei, sondern muß wie alle anderen um die Gunst der Menschen werben.
Sicher, aber das Bündnis 90 und die DDR-Grünen orientieren sich mehr auf ein grünes Dach hin. Sie hingegen setzen sich als Bürgerrechtlerin mit ihrer Entscheidung in Gegensatz und Konkurrenz zu den Grünen.
Mein Engagement hier habe ich nicht einfach als Parteinahme für die PDS verstanden. Ich wollte hier Nachdenklichkeit in die Diskussion hineinbringen. Das Wort Sozialismus würde ich nicht gern aufgeben.
Setzen Sie mit Ihrer Teilnahme an dieser Veranstaltung nicht ein deutliches Signal gegen die Grünen?
Ich möchte einfach, daß eine linke Stimme vorhanden ist und weiterbesteht und nicht schlicht auf den Abfall der Geschichte geschmissen wird. Persönlich kann ich mich nicht mit allem identifizieren und meine grünen Beziehungen aufgeben. Ich bin eine unabhängige Intellektuelle und will nicht parteigebunden sein. Als Schriftstellerin bin ich mehr an Inhalten als an Parteigründungen interessiert.
Fehlt Ihnen bei den Grünen der sozialistische Bezug?
Ja, ich gehöre zu den „roten Grünen“, die die kapitalistische Industriekultur und die Zerstörung der Natur zusammendenken. Ich wünsche mir langfristig einen Sozialismus, der sich öffnet zur Ökologiefrage und zum Feminismus. Mittelfristig hoffe ich darauf, einige der schlimmsten Brutalitäten, die der Kapitalismus bei der Übernahme Osteuropas produziert, mit verhindern zu können. Um nicht mißverstanden zu werden: Wir leben im demokratischen Kapitalismus. Ich teile nicht den Zynismus vieler Linker, die die Entscheidung der Menschen in der DDR nicht als eine demokratische begreifen, sondern nur von der kapitalistischen Übernahme sprechen. Theologisch gesprochen: Im Oktober sind die Leute aus Ägypten von dem Pharao freigekommen, und im November beteten sie das Goldene Kalb an. Das werden sie nicht ewig tun.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, daß viele Linke die „gute Seite“ des Kapitalismus geringschätzen?
Da wird wohl nicht erkannt, daß historisch die Demokratie sich mit dem Kapitalismus verbunden hat und nicht mit dem Sozailismus. Aber ich muß sagen, die Freude über den demokratischen Sieg in der DDR ist mir ganz schnell vergangen wegen des neu entstehenden Nationalismus, wegen des Rassismus und des Antisemitismus. Von dem, was die Bürgerrechtsbewegungen wollten - ökopazifistischer ging's nicht mehr -, ist nichts übrig geblieben. Sie haben ein bißchen Demokratie bekommen...
...ist das nicht ein bißchen untertrieben? Die DDR war 40 Jahre eingemauert.
Es ging um Menschenrechte, aber auch um eine insgesamt gerechtere Ordnung. Sie geben mir nun den Vorwurf des linken Zynismus zurück. Indes: Die DDR wird eine etwas miesere BRD, das ist zuwenig.
Interview: Petra Bornhöft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen