: Retourkutsche
■ betr.: "Eine längere Beschimpfung" von Ralf Schuler, taz vom 21.7.90
LESERiNNENBRIEFE
Betr.: „Eine längere Beschimpfung“ von Ralf
Schuler, taz vom 21.7.90
(...) Ja, die armen DDRler haben es wieder einmal furchtbar schwer, aber nichtsdestoweniger hat frau/man WessiIn auch ihre/seine liebe Not im Umgang mit den neu hinzugekommenen Demnächst-Landsleuten. Wer fragt denn den geplagten West -Menschen, wie er/sie mit der veränderten Situation klarkommt, die in vielen Belangen einem Rückschritt für unsere Gesellschaft gleichkommt? Hatte sich doch nach jahrelanger, mühsamer, geduldiger politischer Aufklärungsarbeit bei der Entwicklung in Bereichen wie zum Beispiel der Toleranz Ausländern gegenüber oder einfach in einer gewissen Liberalität im gesellschaftlichen Denken und Umgang ein Silberstreif am Horizont gezeigt, da wurden jäh die Hoffnungen von einer gigantischen Stone-washed-Woge niedergetrampelt; ungefragt wurden wir von Umgangstönen und
-formen überschwemmt, die hier in den fünziger Jahren Usus waren. Penetrantes Händeschütteln zu Beginn und Abschluß auch noch so kurzer Kommunikation; die endlich auch in härteste Schädel eingedrungene feminine Endung bei der Bezeichnung von Frauenberufen: vorbei. Sich (aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen) für emanzipiert haltende Ostlerinnen sind grammatikalisch durchweg maskulin.
Wer wie ich mit Freunden unterwegs ist, die schwarze Hautfarbe haben, weiß die (nicht eben zahlreichen) Ostler zu schätzen, die den Freund nicht in der U-Bahn anspucken oder, wenn der Zug gerade anfährt, aus dem Wagen zu drängen versuchen und mit Kommentaren bedenken, die selbst einem FAP -Mitglied peinlich sein dürften.
Wenn ich richtig informiert bin, hatte sich die marxistisch -leninistische Ideologie unter anderem zum Ziel gesetzt, den neuen Menschen zu schaffen, und dies ist ihr zumindest in einer Hinsicht gelungen: Nicht auch auf das allerderbste Anrempeln folgt ein „Entschuldigung“ o.ä.; wenn man beim Reißverschlußverfahren auf dem Stadtringzubringer penetrant nicht reingelassen wird: ein Ostler; wer einem beim Eingang in ein Kaufhaus die Türe auf die Nase knallen läßt: ein Ostler. Verbissene, schmallippige Gesichter, kein Lächeln, keine Verbindlichkeit, Verkniffenheit: Ostler. Sieht man die jungen Ost-Eltern im Umgang mit ihren Kindern, so drängt sich die Frage auf, weshalb sich diese Leute Nachwuchs angeschafft haben: Die Kinder werden aus den allernichtigsten Anlässen angeschrieen und geschlagen. Immerhin sind bislang noch in keinem Lande, aus dem Eltern nach noch so schweren Foltern und lebensgefährlichen Verfolgungen geflohen sind, Fälle aufgetreten, bei denen Kinder in den Wohnungen zusammen mit dem restlichen Plunder schlicht zurückgelassen worden sind. Aber ach, natürlich, die armen Leute hatten ja jahrelang keinen Golf und Farbfernseher zur Verfügung, muß man doch ver stehen ...
Wie soll frau/man sich als Wessi gegenüber dem Ostler verhalten? Sie/er hat eine Person vor sich, die aus einem Lande kommt, in dem, wie die mir ansonsten beileibe nicht nahestehende Monika Maron schon sagte, nichts weiter erhaltenswert ist als die Fristenregelung und der grüne Rechtsabbiegerpfeil bei roten Ampeln. Wie soll man/frau mit Leuten reden, an denen die letzten 40 Jahre weltweite Entwicklung spurlos vorübergegangen sind und die bei so gut wie allen Dingen schlichtweg nicht mitreden können. Mir ist bisher jedenfalls noch kein Gespräch mit Ostlern gelungen, nach dem mir nicht spätestens nach einer Stunde kotzübel war: Ignorant, intolerant und dabei in einer Weise von sich selbst (und von dem überlegenen Wert ihres Deutschtums) überzeugt, die uns im Hinblick auf die weitere Entwicklung der bundesdeutschen Gesellschaft das Fürchten lehrt.
Versucht man/frau diesen Leuten freundlich nahezulegen, daß sie vielleicht doch manchmal lieber den Mund halten und erst einmal versuchen sollten, bestimmte Dinge zu verstehen, und, falls ihnen die hiesige Gesellschaft mit ihren Menschen dann immer noch nicht zusagt, am besten dort bleiben sollten, wo sie herkommen, da sie hier sicherlich keiner vermissen wird, dann wird man als besserwisserischer Wessi beschimpft.
Louise Mayer, eine widerwärtige Westlerin
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