: Traditionelle mitteleuropäische Wahnideen
■ Das Festival von Salzburg blickt zurück und nach vorn
Von Frieder Reininghaus
Elender Rummel. Auch jetzt wieder. „Niemand bestreitet, daß der Festspielrummel gräßlich ist“, stöhnte der gewitzte Experte Siegfried Melchinger schon vor einem Vierteljahrhundert. Dann freilich erklärte er dem weltweit bedeutendsten und finanzintensivsten Festival seine spröde Liebe: plädierte gegen die Pauschalierung des Publikums und gegen den von Karajan durchgedrückten Kurs für eine umfassende Erneuerung. Die steht auch jetzt an: Gerard Mortier, bisher Opernchef in Brüssel, soll ihr Vordenker und Garant werden (ab 1992 in diesem Theater). Selbst aus konservativem Milieu wünscht man sich inzwischen angesichts der in Salzburg herrschenden dumpfen Schwüle einen „szenischen und musikalischen Sturm“, etwas heftiger und „allumfassender als der Brüsseler Lufthauch, der die Achtziger zart umwehte“.
Doch man kann das von Anfang an auf die Ankurbelung des Tourismus orientierte Unternehmen auch weit weniger wohlwollend betrachten. Das zeigt der Blick zurück, den die Festspiele mit Ausstellungen, Katalogen und einem Festabend zum 70. Geburtstag gewährten. Die Motive der Gründer waren nicht so ausschließlich edel, wie sie in Gedenkreden sich darstellen. Es sollte, so das Ansuchen der Salzburger Festspielhaus-Gemeinde vom 14. Juni 1918 an Kaiser Karl I., der deutsch-österreichischen Kultur „Geltung und Führung im Kulturleben der Völker sichern“ und wurde als „hervorragend patriotisches Unternehmen“ gepriesen. Mitbegründer Hofmannsthal wollte mit den Festspielen den „Glauben an ein Europa, wie er die Zeit zwischen 1750 und 1850 erfüllt und erhellt hat“, stärken. Man biete „edelsten Genuß“ und sorge für „geistigen Frieden“. Den mögen sich die Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Kurt Waldheim, welch letzterer durch die Anwesenheit des ersteren etwas aus seiner internationalen Isolierung geholt wurde, auch jetzt wieder erhofft haben, als sie den tschechoslowakischen Präsidenten in die Mitte nahmen - aber kaum gefunden haben, wenn sie ihm zugehört haben sollten.
Max Reinhardt, der gewichtigste unter den Gründern der Salzburger Festspiele, versprach in der Startphase, die Bedeutung „der Erblande unseres erhabenen Kaiserhauses“ zu heben, die Mitte Europas zu stärken und vor allem die „internationale Propagandawirkung“ des österreichischen Elements in der gesamtdeutschen Kultur. Seine und Hofmannsthals europäische Idee mutet wie eine Einbahnstraße an. Diese Denkform ist der Grund für das tiefe Unbehagen an dem Salzburger Großunternehmen geblieben.
Salzburg ist, wie uns die Konditorinnung, die Hotelbranche und die Politiker unablässig wissen lassen, der Geburtsort Mozarts - daß er Salzburg und Salzburg ihn geliebt hätte, wäre eine dreiste Lüge. Aber sie wird fortdauernd verzuckert. Ängstigte Mozart, einmal unrühmlich abgegangen, schon der bloße Gedanke, wieder an der Salzach vegetieren zu müssen, so ist das im 20. Jahrhundert sich hier aufbauschende Reklamieren Mozarts doppelt bodenlos.
Aber es funktioniert. Kurt Waldheim reklamierte in seiner Eröffnungsansprache nicht nur das Salzburger Festspielgeschäft als „Symbol für Europas neue Ganzheit und Größe“. Naja, endlich sind auch die Österreicher wieder wer
-und nicht nur Zaungäste am „Eisernen Vorhang“. Sie sind wieder „europäische Mitte“, bei deren „Wiederaufbau“ - so Waldheim - wir uns „auf viele unzerstörte und unzerstörbare Bastionen des Geistes verlassen können“. Der österreichische Bundespräsident verkündete aufs Neue, daß es hier in Salzburg war, „wo sich das Genie Mozarts entfalten konnte“. Mozarts Werk freilich erscheint nurmehr als eine bis auf die Grundmauern umgenutzte Bastion der europäischen Kultur. So mancher wird begrüßen, daß die allgemeinen Abrüstungsbemühungen auch die Waffen des Geistes erfaßt haben.
Vaclav Havel löste seine Zusage aus der Zeit seiner Verfolgung, kam trotz aller Bedenken und diagnostizierte angesichts der ihm allenthalben begegnenden Selbstgefälligkeit eine ziemlich ausgreifende „Angst vor der Geschichte“ - als Angst vor der im mittleren Europa stets ungewissen Zukunft und als „Angst vor der Vergangenheit“. Er spielte auf Geschichtslügen in der Tschechoslowakei an, wurde dann aber wieder allgemein: „Die Annahme, straflos durch die Geschichte lavieren zu können und die eigene Biographie umschreiben zu können, gehört zu den traditionellen mitteleuorpäischen Wahnideen.“ So wird Waldheim durch die gutnachbarschaftliche Stippvisite des Festredners aus Prag nur bedingt wiederaufgewertet. Überhaupt aber will Havel, der schon so manchem mutmaßlichen Mordhelfer in die Augen sehen mußte, endlich dazu beitragen, daß in einem „so schwer geprüften Raum Angst und Lüge schwinden“. Bei diesem Präsidenten kommt zur Brillanz und zum Nonkonformismus ein tiefer Zug der „clemenza“ - jener Güte, von der Mozarts „opera seria“ durchdrungen ist.
„Idomeneo“
ohne höhere Gnade
Mit Idomeneo wurde der musikalische Parcours der Salzburger Festspiele eröffnet. Ganz auf Ebenmaß bedacht war Seiji Ozawa, auf ein Mozart-Spiel ohne Ecken und Kanten. Der Dirigent aus der Karajan-Schule mied auch in der Tempogebung die Extreme, wobei ein gewisser Zug zu ausgestellter Langsamkeit so bedenklich werden kann wie das von Mozart verschmähte Hetzen der Musik.
Sylvia McNair repräsentierte die trojanische Prinzessin Ilia, die Tochter des Priamos, welche nach dem Fall der Stadt als Beute nach Kreta gebracht wurde - dort verliebte sich der Königssohn Idamante in sie (und sie sich in ihn), die Agamemnon-Tochter Elektra hatte das Nachsehen. Wie im Leben, so auch in der Musik: Trotz ihrer heftig wirkungsreichen Abtrittsarie mußte Cheryl Studer der Sylvia McNair den Vortritt lassen - deren beglückend reiner, einfach strömender und quasi natürlich erscheindender Sopran strahlte über den Wiener Philharmonikern.
Ähnlich Erfreuliches läßt sich von der Inszenierung Nikolaus Lehnhoffs nicht berichten. Gewiß, da war mit den Sängern und Statisten so gearbeitet worden, daß sich einige markante lebende Bilder vor dem starren Gestein der Felsenreitschule ergaben: auf das Hereinschleichen der gefangenen Trojanerinnen, die Koffer und kleines Handgepäck mit sich führen und von glatzköpfigen Landsknechten bewacht werden, folgt das Anspülen der schiffbrüchigen Mannen des Königs Idomeneo. Die glattgeschliffenen schwarzen Marmorsteine selbst, so schwer sie sind, erheben sich zwischen dem einsamen Ahornbaum zur Linken und dem ehernen Idomeneo-Standbild zur Rechten, das aussieht wie das Denkmal eines der Salzburger Fürstbischöfe. Die Steinbrocken und -platten erheben sich im Getöse des Theaternebels und erinnern an die Gescheiterte Hoffnung von Caspar David Friedrich - und aus den Klippen wühlt sich der gestrandete Monarch, der auch zu Hause noch scheitern wird, weil er dem Willen der Gottheit, seinen Sohn zu opfern, zu lange widersteht und dann doch noch schwach wird und seinen Idamante zu schlachten bereit ist.
Für diese Phase der Inszenierung zieht sich ein riesiger dunkler Vorhang vor die Steinarkaden der Felsenreitschule und wir ahnen dunkel, daß er zum „lieto fine“, zum Happy-End der dunklen Geschichte fallen wird. Da war vieles im Lauf der fast vier Stunden durchaus akzeptabel gelöst und die Ausstattung von Ezio Toffolutti hielt sich im Rahmen dessen, was Kunst und Mode zwischen 1750 und 1850 bereitstellten. Besonders inspiriert aber wirkte die Bühnenarbeit nicht. Da wurde nicht herausprozessiert, welche Ungeheuerlichkeit in der Auflehnung gegen das Menschenopfer steckt, welches Moment von Aufklärung durch Mozarts Librettisten, den Abbate Giambattista Varesco, Einzug in die Lyrische Tragödie gehalten hat.
Wie die schweren Steine blieb die Produktion zu glatt musikalisch wie szenisch. Noch nicht einmal der Windhauch, der anderswo die Mozart-Inszenierungen durchwehte, war in der stickigen Luft der Felsenreitschule zu bemerken.
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