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Beckmann is back!

 ■ Max Beckmann im Leipziger Museum der bildenden Künste

Von Rolf R.Lautenschläger

Mit einer barocken Perspektive, so, als solle große Kunst durch die scheinbare Allgegenwärtigkeit des Künstlers gesteigert werden, ist die Leipziger Ausstellung: „Max Beckmann - Gemälde 1905 bis 1950“ eingerichtet. An zentraler Stelle, jeweils am Anfang und Ende der Raumfolgen unter der weiten Kuppelhalle des Museums der bildenden Künste, hängen in der Blickachse die Selbstbildnisse des Malers und drängen förmlich nach ästhetischer Repräsentanz durch ihre Gegenwart. Dieses künstlerische „Selbst“ Max Beckmanns dominiert so stark, daß die Beobachtermimikry sogar durchbrochen scheint, wenn etwa der Maler im „Selbstbildnis im Smoking“ (1927) - im krassen Umschlag zur sonst üblich selbstkritischen Innenschau seiner Kollegen - förmlich als schwarze Ikone vor einem steht. Max Beckmann, auf dem Höhepunkt seiner Frankfurter Jahre, tritt im Bild aus der Anonymität des im gesellschaftlichen Abseits Lebenden heraus und zieht, überlebensgroß, den Betrachter auf sich.

Auch die anderen Selbstporträts in Leipzig bilden Fluchtpunkte eines „Selbst„-Bewußtseins, das seinesgleichen sucht: Vom gespielt eigenwilligen „Selbstporträt Florenz“ (1907) wird man ebenso fixiert wie vom expressiv verzerrten Gesicht im „Selbstbildnis mit rotem Schal“ (1917), das den Künstler in seelischer Unruhe zeigt. Trotzig mustert Beckmann 1923 sein Gegenüber im „Selbstbildnis auf gelbem Grund mit Zigarette“, in dem der Blick direkt und unter senkrechten Stirnfalten aus dem Schwerpunkt des Gemäldes kommt. Endlich, ab 1930, erscheint der Künstler fraglos selbstbehautet, auch wenn er sich als Akrobat und Seiltänzer, als Clown oder Schauspieler maskiert, um zwischen den Kulissenwelten des Scheins und der Kunst als deren Produzent, Inszenator und Mitspieler zu balancieren. Beispielsweise übernimmt Beckmann im „Selbstbildnis mit Horn“ (1938) die Rolle eines Rufers. Oder er schwebt als Luftakrobat verkleidet in gefährlicher Höhe, wie im „Akrobat auf der Schaukel“ (1940). Ohne Netz und doppelten Boden wird die risikoreiche Existenz des Künstlers im Exil zu einer Frage des Gleichgewichts. Schließlich, im „Doppelbildnis, Max Beckmann und Quappi“ (1941), das im Museum Beckmanns letztem „Selbstbildnis mit blauer Jacke“ (1950) gegenüberhängt, wirkt der Künstler gar in Bewegung auf sich selbst zu. Seine Identität zu verlieren, wie man annehmen könnte, droht Beckmann nicht. Eher gewinnt er hinzu, denn dieses „Selbst“ ist, wie es Beckmann sagte, „mit äußerster Klarheit“ in „feste Linien“ gebannt. Die vielen Rollen des Künstlers, die in Leipzig zu sehen sind, wirken wie Selbstentlarvung. Verhüllung und Enthüllung des Subjekts könnte man die Bilder überschreiben.

Eingefangen von dem komplexen Dialog zwischen den Selbstporträts und den Perspektiven auf sie zu, wirkt Max Beckmann in Leipzig übermächtig präsentiert, als gelte es, ihn gewollt übermächtig zu zeigen. Schade ist, daß dabei die Stilleben und erotischen Akte, seine Allegorien und wunderschönen Landschafts- und Städtebilder dahinter zurücktreten. Sie haben es schwer, kommen doch auf die überwiegend chronologisch gehängten Exponate die Gruppe der frühen Familienbildnisse und monumentalen Schlachtengemälde und zwei Triptychen hinzu, „Die Schauspieler“ (1942) und Max Beckmanns erstmals in Europa gezeigte „Argonauten“ (1950); sein letztes Bild. So erscheint die von Klaus Gallwitz, Direktor am Frankfurter Städel, inszenierte Suggestion der Selbstbildnisse weniger als der Versuch den „ganzen Beckmann“ zu zeigen, wie Gallwitz im Katalog meint - so berühmte Bilder wie „Die Nacht“ (1919), „Traum“ (1921), die „Galleria Umberto“ (1925) oder ein Triptychon der 30er Jahre, wie die „Abfahrt“ (1933) vermißt man - als die Absicht mit lauter gönnerhafter Geste den „unbekannten Gott“ (Gallwitz) endlich dort zu seinem Recht kommen zu lassen, von wo er seinen Ausgangspunkt nahm. Eine posthume Enthüllung war geplant.

Waren in West-Berlin und in der Bundesrepublik bis 1984, dem 100.Geburtstag des Künstlers, zahlreiche Ausstellungen des graphischen und malerischen Oeuvres zu sehen - die schönste fand 1981 im Städelschen Institut statt, wo acht Triptychen ausgestellt waren - so ging Leipzig, die Geburtsstadt Max Beckmanns, fast leer aus. 1926 zeigte der Kunstverein der Stadt eine kleine Werkschau und nach dem Krieg - die Nazis hatten Beckmann als „entartet“ aus den Museen genommen und seine Bilder ins Ausland verkauft - gab es erst 1984 in Leipzig und Ostberlin eine Auswahl früher Gemälde und graphischer Arbeiten zu besichtigen, obwohl gerade Beckmann in der künstlerischen Rezeption figürlicher Malerei, etwa bei Bernhard Heisig, längst vorbildlich war. Die lange Abwesenheit von Leipzig wird, wie derzeit anders auch, nun mit einem Triumphzug ästhetisch und politisch gefeiert. Beckmanns „Argonauten“, die griechischen Irrfahrer, dienen da für Gallwitz erst recht zum Symbol für die Rückkehr der DDR ins Heimatland. Max Beckmann dagegen hat, nach seiner Flucht 1937 nach Holland und der Übersiedelung 1947 nach New York, „Germany“ - wie er es in seinen Tagebüchern distanziert nennt - nicht mehr betreten. Beckmann is back!

Wer durch die Leipziger Ausstellung geht, sieht, daß Max Beckmann seine Kunst nicht als politisches „Tendenzstück“ verstanden wissen wollte. Kunst beziehe sich, schrieb Max Beckmann einmal an seinen Freund Curt Valentin, „auf die wesentlichen Dinge, die hinter den Erscheinungen stehen“. Zwar sind Beckmanns Bilder kurz nach dem ersten Weltkrieg, die in Leipzig den Auftakt zur Abteilung mit moderner Malerei des Künstlers geben, noch vom Stil beklemmender Zimmerschlachten geprägt. Doch geht es ihm weniger um den Versuch, sich thematisch auf die Brutalität des Alltags einzulassen, als darum, sich ein neues stilistisches Kompositionsmittel anzueignen, das ästhetisch für die Zeit wirksam werden kann, und das jenes bildhafte Doppelspiel von Sein und Schein der späteren Jahre vorbereitet. Ebenso wie die Personnage in den schockartigen Gemälden aus Mord und Tod, wie bei „Die Nacht“, sitzen hier die badenden Frauen in Beckmanns „Frauenbad“ (1919) eingesperrt zwischen engen Ecken und Kanten, die kleinteilig komponiert und in aggressiven Farben gemalt sind. Aber sie vollführen ein groteskes, humorvolles Spiel aus Akrobatik und Clownerie.

Den karnevalesken Sentenzen im Bild wird ab 1922 ein flächiger Stil unterlegt, jene „Rundheit in der Fläche“, die für Beckmann ein simultanes Neben- und Gegeneinander unterschiedlicher Orte, Zeiten und Handlungen möglich machte und die lineare Kontinuität im Bildgeschehen verwarf. So feiern im Gemälde „Tanz in Baden Baden“ (1923) Tangotänzer wie stumm glotzende Puppen in einem fragwürdigen Nebeneinander den trügerischen Aufwärtsoptimismus der Weimarer Republik. Auf verhängnisvolle Weise scheinen sie aneinandergeschnürt. Die Perspektiven sind verzerrt. Beckmann gibt Auf- und Untersichten. Es gibt mehrere Ebenen der Handlung, wobei die hauptsächliche einer Bühne gleicht. Der freudlose Tanz nimmt hier den Stil der 30er und 40er Jahre vorweg, wo Beckmann die Welt der Simultanität und kausalen Zusammenhanglosigkeit in seinen Bildern zusammendrängt. Die Personen wirken isoliert. Man meint, wie im Bild „Mann und Frau“ (1932), sie ausschneiden zu können. Gegensätze tauchen in Gemälden auf, die, wie im „Tod“ (1938), wo die Welt auf dem Kopf steht, sich erst durch ein antithetisches Gegeneinander erklärt.

Zu den großen Themen der Leipziger Ausstellung gehören die Bilder und Triptychen Beckmanns, die nach seiner Flucht ins Exil 1937 entstanden sind. Eros und Tod, Mann und Frau, Krieg und Gewalt stehen dabei im Mittelpunkt. Die Figuren versinnbildlichen, als Akrobaten und Schauspieler, als mythologische Wesen und Allegorien getarnt, eine ästhetische Ausdrucksform, in der die Welt eine Bühne und der Mensch zum Rollenspieler wird, um deren schnöde Scheinhaftigkeit zu entlarven. Die Kunst, schrieb Beckmann über seine Malerei aus dieser Zeit, habe „eine Idealität, die sich hinter der Realität befindet“ zu entwerfen. Die Ikonographie des modernen theatrum mundi setzt sich aus künstlichen Requisiten und Kulissen zusammen, die eine Dialektik zwischen Sein und Schein erschaffen, das durch ein simultanes System unterschiedlichster Bezugspunkte offenbar wird. Darum gliedert sich im Triptychon „Die Schaupieler“ (1941/42), das den Ausstellungsbesucher empfängt, der Raum nicht nur in drei Bildtafeln, die Räume selbst sind unterschieden. In allen drei Teilen finden Theaterproben satt. Doch während oben geprobt wird, prügeln sich im Keller die Bühnenarbeiter. Rechts wird gespielt und links daneben. Eine heterogenen Collage wird vorgeführt, die ohne Bezug zu sein scheint. Die Figuren haben keinen Kontakt zueinander. Die Welt gleicht der Simultan-Bühne. Die Polyperspektive läßt den Blick in jeden Winkel zu. Auch die Mechanismen des Theaters sind freigelegt. Die Seitenflügel und Keller sind aufgerissen, der Regisseur liest aus einem Drehbuch, die Souffleuse ist im Kasten zu sehen. Schließlich ist es der Künstler Beckmann selbst, Hauptakteur des Welttheaters, der als König verkleidet einen Selbstmord mitspielt und in der Rolle des Opfers die Ambivalenz eigener Entwürfe thematisiert.

Kurz vor Beckmanns Tod, 1950, erscheinen die Räume freier, wenn nicht gar leergefegt und ausgeräumt, wie in „Back -Stage“ (1950). Die Kulissen stehen herum und werden nicht mehr gebraucht. Das Spiel ist aus. Eine Ruhe zieht wieder in die ruhelose Welt Max Beckmanns ein, die sich sonst nur in seinen Landschaftsbildern findet. Die Ausstellung präsentiert sie fast alle. In „Eisgang“ (1923), „Scheveningen, fünf Uhr früh“ (1928) oder „Strand mit Booten an der Riviera“ (1938) tauchen tiefe klare Räume voller Poesie auf, die den Mythen Beckmanns Ruhe gönnen. In ihnen kann der Blick ausruhen, in ihnen kann man den Tumult und das Chaos des Beckmannschen Welttheaters kurzzeitig vergessen.

Max Beckmann in Leipzig: Viel zu laut und viel zu spät kommt die rund 100 Bilder umfassende Retrospektive zum 40.Todesjahr des Künstlers, sind ihr doch die Zeit und die Menschen davongelaufen. Die Ausstellung, die noch als Teil des jetzt obsolet gewordenen deutsch-deutschen Kulturabkommens geplant und vom Frankfurter Städel für das Leipziger Museum konzipiert wurde, das übrigens im Gegenzug Max Klinger im Städel 1992 vorstellt, wäre vor einem Jahr noch der Superhit im DDR-Ausstellungsjahr gewesen. Jetzt, in Zeiten des politischen Wandels, interessiert der vom Formalismusstreit diskreditierte Maler Beckmann in seiner ehemaligen Heimat wenig. Die Menschen reisen lieber selbst, als daß sie sich auf den kompensatorischen Weg in Traumwelten machen wollen. Und wo sich Geschichte so mittelbar darstellt wie bei Max Beckmann, ist derzeit kein Bedarf, wo alles schnell und direkt erlebt werden will. Nun, so scheint es, relativiert sich „die wichtigste Ausstellung der Stadt seit 1945“, wie Dieter Gleisberg, Direktor des Leipziger Museums, marktschreierisch verkündete, an der politischen Realität. Die Enthüllung ging ins Leere. Nur 470 Menschen kamen in den ersten drei Tagen zu der Ausstellung. Was ein Wahnsinn!

Die Ausstellung ist bis zum 23.9.1990 im Museum der bildenden Künste in Leipzig, Georgi-Dimitroff-Platz 1, zu sehen. Di-So 9-17 Uhr, Mi 13-21.30 Uhr. Der Katalog kostet 38 DM

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