Schweigen von den Intellektuellen?

 ■ Für Verstand und Moral - zum Streit um die Verantwortung

der Intellektuellen für den Kommunismus

Von Klaus Wolschner

Die Zeiten sind reif für einen befreienden Seufzer: Schweigen wir von den Intellektuellen! So verstrickt in die Irrtümer der Zeit, so viele Hände haben sich besudelt beim herzlich-solidarischen Gruß der Zensoren. Und wo einer noch den Mund aufmacht - lohnt es sich, hinzuhören? Die sich jenseits der Reichweite des gewöhnlichen Lebens wähnten, sind, ach, auch nur Menschen.

Zum Glück, möchte man Elke Schmitter (taz 28.7.90) entgegenhalten. Das macht ihre Irrtümer ja erst streitfähig. Ulrich Greiner, gegen den ('Zeit‘ 27.7.) sich Elke Schmitters Ärger richtet, hat ein sehr menschliches Bild von ihnen, wenn er schreibt: „Der Kommunismus war immer auch das Werk von Intellektuellen. Einige der besten Köpfe dieses Jahrhunderts hatten daran Anteil.“ Der Tatbestand, der die Intellektuellen derzeit so häßlich aussehen läßt, ist kaum knapper zu benennen. Eine große Farce, von Intellektuellen mit Kulissen versorgt, geht zu Ende. Um die Blamage zu ermessen, die für sie der Zerfall des osteurpäischen Realsozialismus bedeutet, muß man daran erinnern, daß das Niveau der Erkenntnis jenes der zwanziger Jahre ist. In einer merkwürdigen Wiederholung wurde es, im Namen des intellektuellen Kampfes gegen den Faschismus, denkbar, die längst enttarnte „sozialistische Vision“ wiederaufleben zu lassen. Aktuelle Berichterstatter vom Elend der sozialistischen Vision wissen kaum mehr als jene, die damals von ihrer zweiten Reise aus dem Land Stalins zurückkehrten.

Die Studentenrevolte hat für die Bundesrepublik diese sozialistischen Visionen kräftig wiederaufleben lassen. Sie hat einen kulturellen Impuls bewirkt, gegen den alle Versuche, eine „geistigen Wende“ im intellektuellen Bereich herbeizureden, nichts gefruchtet haben - bis zu jenem Tag, an dem die Mauer in Deutschland durchlässig wurde.

Der Freudentaumel dieser Nacht hat den kritischen Intellektuellen die Sprache verschlagen. Die auf der großen Demonstration am 4. November noch große Reden halten konnten, wurden ratlos. Die Öffnung der Mauer zu verlangen, galt in der Bundesrepublik als rechte Abweichung, keiner der radikalen Reformer des SED-Regimes hatte es auch nur zu denken gewagt. Die Intellektuellen diesseits und jenseits der Mauer hatten sich dem Barrikaden-Denken, in dem es nur den Feind und den Feind des Feindes gibt, verschrieben.

Wer die Zerstörung dieses Mauerwerks, von den Berlin -Touristen seit Monaten lustvoll betrieben, als Befreiung feiert, setzt sich heute noch Verdächtigungen aus: Was soll denn sein, wenn „sozialistische Visionen“ nicht mehr sind? Ein Mitarbeiter der später gegründeten DDR-Grünen meinte noch jüngst in der taz (27.7.): „Das Volk der DDR hatte halt nach der totalen Grenzschleifung seit dem 9. November 89 keine Kraft für einen eigenen (dritten) Weg, das mag man bedauern, aber es ist so.“ Was wäre eine nicht-totale Grenzschleifung? Welche Assoziationen soll das Wörtchen total hervorkitzeln? Warum das sperrige Sprachungetüm Schleifung? Der grüne Autor hält sich die Freiheit, die der Fall der Mauer bedeutet, mit seinen Worten auf Distanz. Was ist das für eine Kraft, die im Schutze des Eisernen Vorhangs entsteht? Was für ein dritter Weg! „Das Wort Sozialismus würde ich nicht gern aufgeben“, sagt Dorothee Sölle (taz 30.7.) Wo die Substanz verloren gegangen ist, drängt sich der Etikettenschwindel auf. Daß Intellektuelle nicht die „besseren Deutschen“ sind, offensichtlich, ist kein Argument in diesem notwendigen Streit. Gerade jetzt wäre niemand aus seiner Verantwortung zu entlassen.