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BUNSENBRENNER BUNSENBRENNER Sex und Fossilien

■ Was macht der Wal mit seinem Hinterbein?

Sex oder nicht Sex? Das ist die Frage, die sich den Evolutionsforschern angesichts neuer fossiler Knochenfunde stellt. Es geht um die Hinterbeine der Wale. Walfischbeine? Etwas biologischer Nachhilfeunterricht: Walfische sind keine Fische, sondern Säuger. Ihre Vorfahren entwickelten sich aus mittlerweile ausgestorbenen wolfsgroßen vierbeinigen Landsäugern, den Mesonychiden. Zunächst gingen sie zu einer amphibischen Lebensweise über, dann zog es sie gänzlich zurück ins wässrige Milieu, das ihre Urahnen erstmals vor 375 Millionen Jahren verlassen hatten. Aus den Vorderbeinen der terrestrischen Vorfahren sind bei den heutigen Walen die Vorderflossen geworden. Von den Hinterbeinen sind nur zurückgebildete Knochen im Inneren des Walfischleibs geblieben.

Der evolutionäre Weg der Mesonychiden zurück ins Wasser ist mit Fossilien gepflastert; zum Beispiel den versteinerten Skeletten von Basilosaurus Isis, einer primitiven Walform, die sich vor 40 Millionen Jahren im damaligen Mittelmeer tummelte. Basilosaurus erreichte eine Länge von 15 Metern, hatte kleine Vorderflossen und ein Maul voller spitzer Zähne. Außerdem, dies stellte der amerikanische Paläontologe Philip Gingerich jetzt fest, besaß Basilosaurus kräftige Hinterbeine. Gingerich und Kollegen wunderten sich. Was sollte ein Wal mit diesen Anhängseln? Die Beine, die laut Fossilien obendrein relativ unbeweglich gewesen sein müssen, waren weder zum Schwimmen noch zum Laufen geeignet. Doch zurückgebildete Organe, die keine Funktion mehr ausüben, können es auch nicht gewesen sein. Die fossilen Knochen lassen nämlich schließen, daß die Beine mit beachtlichen Muskelpaketen ausgerüstet waren. Bleibt als Erklärung - der Sex. Ist ja immerhin eine stramme Leistung, der Sexualakt eines Walfischpaars!

Gingerich meint, daß Basilosaurus sich beim Liebesleben seiner Hinterbeine bediente, um die Leiber in der korrekten Stellung zu halten: „Ein großer Wal mit dem Körper einer Schlange, dessen Fortpflanzungsorgane 15 Meter hinter seinem Gehirn lagen, brauchte vielleicht etwas Hilfe“. Die Antwort auf das Rätsel will er in weiteren Basilosaurus-Überresten suchen. Womöglich findet er Artgenossen, bei denen die Hinterbeine weniger ausgebildet sind. Das würde die Sex -These erhärten, denn Fortpflanzungsorgane sind bei männlichen Säugern meist stärker entwickelt als bei den Weibchen. Einstweilen hat Lawrence Barnes, Kurator am Museum für Naturgeschichte in Los Angeles, eine weniger sexy Erklärung. Er meint, die Wale benutzten ihre Beine, um sich zurück ins Wasser zu schleppen, wenn sie auf einer Schlammbank gestrandet waren. Oder sie hievten sich aufs Land, um ihre Kinder zu gebären.

Zum Glück mangelt es nicht an Fossilien, die Licht in die Angelegenheit bringen können. Im Zeuglodontal, 150 Kilometer südwestlich von Kairo, entdeckten die Forscher einen „Walfriedhof“ mit 243 Basilosaurus-Skeletten.

Silvia Sanides

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