Greifswalder Königsopfer

■ Zur plötzlichen Beurlaubung der Oberatomiker in der DDR

Die übliche Form der Skandalbewältigung ist das nicht, was uns DDR-Umweltminister Karl-Hermann Steinberg da anbietet: Mit achtmonatiger Verzögerung hat er mit Reiner Lehmann den obersten Atomiker der DDR in die Dauerferien geschickt und den Betriebsleiter der Pannenzentrale Greifswald, Wolfgang Brune gleich hinterher. Beide hatten nach der Wende in der DDR wendig westliche AKW-Experten und Journalisten jeglicher Couleur durch ihren zuvor vollkommen abgeschotteten Betrieb geführt. Die neue Offenheit gegenüber ihren Kritikern war indes so schnell zu Ende wie sie gekommen war. Das Datum der erneuten Kehrtwende ist benennbar: der 18. März. Seit der Volkskammerwahl regieren in Bonn und Berlin jene, die sich in punkto Atomenergie von den realsozialistischen Machthabern noch nie erkennbar abhoben. Lehmann und Brune schienen wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und nun dies: Königsopfer statt Bauernopfer.

Die unsäglichen Schlampereien beim Betrieb der maroden Anlage, die nach dem Machtwechsel weitergingen, als sei nichts geschehen, erklären den plötzlichen Rausschmiß nicht. Für solche Fälle haben sich noch stets Schuldige in den unteren und mittleren Rängen gefunden. Tatsächlich geht es um mehr, nämlich um eine Überlebenstrategie für den AKW -Standort Greifswald unter bundesdeutschem Atomrecht. Danach ist die besondere „Zuverlässigkeit der Verantwortlichen“ Bedingung für jede Betriebsgenehmigung. Deshalb mußten Lehmann und Brune gehen. Und es wäre ein Wunder, wenn Steinberg die Entlassung ohne Rücksprache mit seinem Bonner Kollegen Töpfer veranlaßt hätte.

Ob das Manöver von Erfolg gekrönt sein wird, scheint zweifelhaft. Die „amtierenden“ Ersatzleute Drews und Meyer saßen schließlich seit Jahren in der zweiten Reihe. Sind sie deshalb zuverlässiger als ihre Vorgänger? Und schließlich: Das Atomgesetz verlangt neben der Zuverlässigkeit der Leitung auch die besondere „Fachkunde“ der Gesamtbelegschaft eines Atomkraftwerks. Die jedoch wurde den Betriebsmannschaften erst jüngst von Töpfers Experten höchstamtlich abgesprochen. Das wird ein Fest, wenn die künftigen Kläger gegen die (Wieder-) inbetriebnahme in Greifswald die Zuverlässigkeit und Fachkunde der Greifswalder Reaktorfahrer zum Gegenstand der Auseinandersetzung machen - und Klaus Töpfer jene reinwäscht, die seine Experten heute belasten.

Gerd Rosenkranz