Alles außer Männer

■ Berliner Frauen / Lesben-Sportverein Seitenwechsel: 60 Berliner Frauen feiern ihr internationales Coming Out bei den Gay Games in Vancouver

West-Berlin (taz) - Das schwerste war die Namensfindung. Ein Sportverein für Frauen sollte es sein. Frauensportverein also? Das ist irgendwie zu wenig, angesichts der Tatsache, daß viele der Gründungsfrauen lesbisch sind, und ebendies nicht länger verschweigen wollen. Lesbensportverein? Auch nicht das richtige, denn der Klub soll auch heterosexuellen Frauen offenstehen. Frauen- und Lesbensportverein? Ja, sind denn Lesben keine Frauen? Wieder nichts. Schließlich, Ende 1988, einigten sich 15 Gründungsfrauen auf „Frauen/Lesbensportverein e. V. Seitenwechsel“.

Ein BRD-Novum: Ein Frauen/Lesben-Klub mit dem Ziel, Sport zu treiben abseits der wettkampforientierten Normen des Heterosports. Was nicht automatisch das Verteufeln jeglicher Leistung bedeutet, viel eher eine Absage an das Konkurrenzprinzip. „Bei uns in der Volleyballfrauschaft wird frau nicht automatisch ausgewechselt, wenn sie ein paar Bälle in Folge verschlagen hat. Gerade dann ist es wichtig, daß sie drin bleibt und neues Selbstbewußtsein gewinnt“, erklärt Trainerin Birgit Heuser.

Sie selber hat jahrelang leistungsmäßig Volleyball gespielt und ist mit unsinnigen Strafaktionen bestens vertraut. Voraussetzung für die neue Methode ist, nicht um jeden Preis gewinnen zu wollen. „Uns ist wichtiger, daß harmonische Gruppenaktionen entstehen. Wenn keine Auswechslungen drohen, entspannt sich das Spiel und gewinnt an Qualität.“ Außerdem sei der Ton ein angenehmerer.

Auslöser für die Vereinsgründung war zunächst, Frauen bessere Hallen und Plätze zu organisieren, um nicht auf die Überbleibsel von Landessportbund (LSB), Bezirksämtern und Universität angewiesen zu sein. Inhaltlich entscheidender ist jedoch, daß sich Frauen, insbesondere lesbische, offen zu ihrer Sexualität bekennen und sich nicht länger verschämt in Heterogruppen verstecken. „Bei Seitenwechsel können wir wir selbst sein, Selbstbewußtsein tanken und eigene Positionen entwickeln“, so Birgit. Noch ziert sich der LSB, den Klub aufzunehmen. Doch im Volleyballverband gab's, nicht zuletzt durch die Vorarbeit des Schwulenklubs Vorspiel (s. Kasten) keine Probleme.

Natürlich versteht sich der Frauen/Lesbensportverein politisch. Raus aus der Isolation und zeigen, daß Frauensport etwas anderes sein kann als Sport für Frauen, um für Männer attraktiv zu sein. 60 Seitenwechslerinnen sind momentan bei den von ihnen und dem Berliner Schwulenklub „Vorspiel“ mitorganisierten III. Gay Games in Vancouver, dem internationalen Schwulen- und Lesbensportfest, daß weltweit zur Akzeptanz der Homosexuellen beitragen soll.

Viele der Übungsleiterinnen sind Sportlehrerinnen, was sich auf die Qualität des Trainings auswirkt. Ohne Vereinsmuff werden neue Erkenntnisse schnell umgesetzt. So wird bereits über ein Bewegungsinstitut nachgedacht, in dem Trainerinnen Trainerinnen ausbilden, wo frauenparteilicher Sport entstehen soll und wo frau Bewegungsangebote genießen kann, ohne von Männern bewertet zu werden.

Dennoch: Hierarchien gibts auch hier. Ein Vorstand organisiert den Sportbetrieb der nun ca. 150 Sportlerinnen. Grundsätzliche Entscheidungen werden jedoch immer vom Gesamtplenum entschieden. Außer Volleyball wird Badminton, Kickboxen, Tanzen, Handball, Fußball, Karate, Marathon, Schwimmen, Frisbeespielen, Jiu-Jitsu und Turnen angeboten. Gehaltsabhgängige Beiträge zwischen zwölf und zwanzig Mark garantieren eine angemessene Entlohnung der Übungsleiterinnen. Die jüngste Seitenwechslerin ist 18 Jahre alt, die ältesten um 35. „Es dauert, bis frau merkt, das sie lesbisch ist. Und bis zum Coming Out, bis frau sich dies öffentlich eingesteht, geht wieder Zeit ins Land“, erklärt Birgit die ungewöhnliche Altersstruktur. Doch mit Öffnung der DDR rechnet der Klub mit einem Zuwachs, denn auch in Ost -Berlin gibt es eine Frauen- und Lesbenszene, die bei Seitenwechsel gern gesehen ist. Birgit Heuser: „Willkommen ist alles außer Männern“.

miß

SEITENWECHSEL, Frauen/Lesben-Sportverein Berlin/W. e. V., c/o Conny Schälicke, Urbanstr. 51, 1000 Berlin 61, Tel. 691 65 21