Jetzt Mehr- parteiendiktatur?

■ betr.: "Bleiben Sie stur, Herr de Maizi re!", "Orakel von Delphi läßt grüßen", taz vom 30.7.90

betr.: „Bleiben Sie stur, Herr de Maiziere!“, „Orakel von Delphi läßt grüßen“, taz vom 30.7.90

„Huckepackverfahren“ nennt man es. Es soll demokratisch sein. Demokratisch deshalb, weil dadurch die netten, aber im bundesdeutschen Parlamentarismus unerfahrenen, also ungefährlichen Leute von den Bürgerbewegungen und nebenbei auch noch die rechtsextreme (DSU) ins erste gesamtdeutsche Parlament einziehen können, die ach so fiese PDS jedoch draußen bleiben muß. Sie hat schließlich keinen starken Westrücken, der sie Huckepack ins Parlament trägt.

Da muß man nicht unbedingt Kommunist oder Linker sein, um sich zu fragen: Mit welcher Berechtigung soll diese Mehrparteiendiktatur errichtet werden? Wegen des traditionellen Kommunistenhasses der CDU/CSU? Oder weil Graf Lambsdorff die PDS für nicht koalitionsfähig hält (was ja sehr wichtig für seine Wendehals- und Steuerhinterzieherpartei ist)? Und weil sich seine DDR -Partnerin, die LDPD, doch so viel mehr gewendet hat als die PDS?

Würde die PDS ins Parlament einziehen, so müßte man laut Oskar Lafontaine sogar befürchten, daß „die Linke insgesamt ihre Situation neu überdenken“ muß.

Da stellen sich für Linke doch gleich die nächsten Fragen: Ob nämlich die SPD mit einem solchen Spitzenkandidaten noch wählbar ist und ob das „befürchtete“ Situationsüberdenken der Linken vielleicht nicht ganz angebracht wäre.

Als Gegenpol zu diesen wahltaktischen Streitereien, die im übrigen laut Emnid-Umfrage sowieso 48 Prozent der Bundesbürger als überflüssig erachten, hält als einziger Lothar de Maiziere die Stellung für „etwas mehr Demokratie“, wie Klaus Wolschner es in seinem Kommentar sehr treffend formulierte.

Das ist nicht verwunderlich, denn: „Bisher war ich auch sehr zufrieden damit, daß ich mich nicht nach den Kriterien der Wiederwahl oder Wahl für ein bestimmtes neues Amt zu richten hatte...“ Da kann es sich de Maiziere dann sogar leisten, über die ganze Angelegenheit lapidar zu sagen: „Das ist nicht mein Problem.“

Immer mehr „Volkspartei„-Verdrossene aber werden, falls sie denn überhaupt zur Wahl gehen, dieses Denken der Herrschenden quittieren wollen. Und mich würde es nicht wundern, wenn dabei nicht wenige den von Euch abgedruckten PDS-Slogan „Beschwer dich nicht über die Finsternis, zünd ein Licht an“ befolgen würden und Lafontaine sich auf der Oppositionsbank plötzlich neben „Gysi Superstar“ wiederfinden würde. You can never know!

Andre Anchuelo, Bremen (BRD