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Kapitalistische Nachhilfe für DDR-Bürger

■ Steuerberatung ist das Zauberwort für hoffnungsvolle DDR-Beamtennachkommenschaft / Finanzen versprechen Erfolg

Jeanette Choisi und Petra Keiß

Allfinanz heißt die Zauberformel, die seit dem 9. November mit magischen Kräften die Kassen der DDR-Bürger füllen soll. Durch „objektive“ Vermögensberatung wird der Traum von einem Luxusleben made in (West-) Germany auch in die DDR -Wohnstuben getragen. Die OVB (Objektive Vermögensberatung) ist mit einem Jahresumsatz von 4 Milliarden DM und über 10.000 Mitarbeitern der größte Finanzdienstleister in der BRD. Das Unternehmen arbeitet mit rund 40 Partnern im In und Ausland zusammen, darunter der Deutsche Ring, die Überseebank Zürich, die Iduna-Versicherungsgruppe, der Hanse -Merkur, die Deurag, die Londoner Equity and Law, der Ferienclub International, die Bayrische Hypobank und die Gold-Treuhand Zürich.

Sach- und fachkundige Berater sollen den ahnungslosen DDR -Kunden um die Klippen der Vermögensbildung schiffen. Die OVB will „aus Geld mehr Geld machen“ und verspricht, ein „maßgeschneidertes Anlagekonzept“ für jeden Geldbeutel zu erarbeiten. Wenn Finanzierungshaie es auf die Sparkonten des deutschen Nachbarn abgesehen haben, da hilft nach persönlicher Empfehlung der „objektive Geist“ von OVB. Wie es um diesen „Spirit of OVB“ (O-Ton Werbefilm) bestellt ist, haben wir am eigenen Leib in Schulungen für angehende Mitarbeiter erfahren können.

Die OVB verspricht eine steile Karriere „ohne Risiken, ohne Kosten“, dies sogar in der Freizeit. Ein dynamischer Schulungsleiter erklärt nach dem obligatorischen, frauenfeindlichen Eingangswitz (hä, hä), über den so keine(r) richtig lachen will, zuerst die Kleiderordnung eines OVBlers. Die Herren im dunklen Anzug, die Damen in dezentem Kostüm. Gehobenes Parfum und bloß kein Knoblauch essen. Immer nett und adrett, denn dafür werden Sie ja schließlich bezahlt. Keep cool, keep smiling und think positive, das ist hier die Devise. Weiter geht's mit einem Videofilm. „Kein Porno“, wie uns der Jungdynamische versichert, ein Werbefilm. Von sachlichen Informationen ist da keine Spur. OVB verspricht Karriere, Geld und schöne Frauen, Urlaub, Sonne und Geselligkeit. Mit den Worten „Erfolg kann man lernen, dabei kommt es nicht auf Wissen an“, soll eine unkomplizierte Lebensqualität suggeriert werden. Doch nicht nur das, es ist auch ein „geistiges Vergnügen, OVB-Mitarbeiter zu sein, denn OVB gibt Lebensart und neue geistig-kulturelle Werte.“ Auch die Aussage, „ein typischer Charakterzug unserer Zeit heißt Veränderung“, ist mehr als unterschwellig auf die unsichere Situation der DDR -Bürger gemünzt. „Im Leben gibt es nur einen Weg, den nach oben; Anpassung ist out, Individualismus ist in, und wir sind alle stolz darauf, freie Bürger in einem freien Staat zu sein.“

Doch nicht nur das Outfit des Referenten ist mittelmäßig, sondern auch die Schulungsräume passen nicht zum Selbstbild dieser noblen Firma. Im Vorraum quellen die schmutzigen Aschenbecher über, die leeren Cola-Dosen stapeln sich neben dem Mülleimer, der Teppichboden ist voller Flecken und über der Eingangstür hängen die Abdeckplatten der Installationsanlagen gefährlich lose herunter. Doch zurück zum Kursgeschehen. Wir lernen jetzt, mit unserem ersten Kunden umzuspringen. Wir läuten normal und stecken kein Streichholz in die Klingel (hähä). Dann begrüßen wir den Kunden höflich, schaffen lächelnd Persönlichkeit und setzen uns mit dem Rücken zur Wand rechts neben den Kunden. Wir ordern einen Drink und beraten unseren Kunden ohne Fachwissen preiszugeben. O-Ton-Ende. Woher sollten wir dieses auch haben?

O-Ton: „Es gibt drei Arten von Kunden: Dr. Müller, Hans Müller und Hänschen Müller. Bei Dr. Müller versuchen wir, kompetent zu wirken, mit Hans Müller sind wir eher kumpelhaft und Hänschen Müller erzählen wir von schweinegeilen Finanzierungsmöglichkeiten. Wir sind locker ohne verkrampft zu sein, denn ein Kunde kauft zu 1/7 aus rationalen und aus 6/7 aus emotionalen Gründen.“ O-Ton -Ende.

DDR-Bürgern wird in diesen Seminaren der schnelle Zugriff zum großen Geld versprochen. Dabei werden nur unvollständig und ungenau sachliche Informationen über die zukünftige Tätigkeit im Rahmen dieser Firma geliefert. Die Bezahlungsmodi bleiben undurchsichtig und mit psychologistischer Gesprächsführung soll der DDR-Bürger zu Leistung ohne Wissen und zum Handeln ohne Denken im Sinne des Unternehmens verleitet werden. Die Seminarleiter nutzen die momentane unsichere wirtschaftliche und persönliche Situation vieler DDRler fast schon schamlos aus. Mit Überheblichkeit und schulmeisterlichem Gehabe, wird den „unterentwickelten DDRlern“ Nachhilfeunterricht im erstrebenswerten, leistungsorientierten BRD-Verhalten eingebleut. So jedenfalls kommt es uns vor. Ein dumpfes Gefühl beschleicht uns, daß hier billige Arbeitskräfte gesucht werden, um den brach liegenden Finanzmarkt in der DDR auszukundschaften. Dabei wird die mangelnde Erfahrung der DDR-Bürger in kapitalistischen Geschäftsgebaren rücksichtslos ausgenutzt. Dies ist im Prinzip zwar nicht illegal, zeigt jedoch, was sich in Wirklichkeit so manch einer unter deutsch-deutscher Zweisamkeit vorstellen mag.

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