: „...Und erhalte ihnen ihre Kinderkrippen...“
■ Die Diskussion um den §218 verdrängt die Frage nach der Zukunft der Kinderbetreuung in der DDR
DEBATTE
Keine öffentliche Maßnahme, auch nicht die Einführung eines §218 brächte so einschneidende Veränderungen für die Lebenspläne und -chancen von Frauen in der DDR, für den Kinderalltag, wie die Schließung vieler Horte, Kindergärten, Krippen.
Dennoch war, bei gleicher Gefährdung, das politische Frauenbewußtsein in den letzten Monaten ganz auf den Paragraphen 218 ausgerichtet. Das liegt sicher daran, daß sich hier eine reale Durchsetzungschance abzuzeichnen schien, während frau bei den großen Maßnahmen den Rotstift, die Ohnmachtsgefühle oft schon selbst im Kopf trägt.
Doch noch mehr spielt eine Rolle: Die Frauenbewegung ist aus der Kritik an der klassischen Frauenrolle, des Mutterseins und seiner Tücken, erwachsen. Die Verweigerung von Zwängen in dieser Richtung ist - zu Recht - ihr stärkster Motor gewesen. Bis heute hat sie nicht gelernt, die positive Gestaltung des Lebens mit Kindern wirklich zu einem zentralen Inhalt ihrer Kreativität und ihres Mutes zu machen. Lippenbekenntnisse genügen. Es ist kein Zufall, daß Alice Schwarzer (auch in der taz) nur zum Paragraphen 218 schreibt und den Bogen nicht zur Lebenssituation der Frauen mit Kindern in der DDR schlägt. Es ist auch kein Zufall, daß Waltraud Schoppe, stets der Muttertümelei bezichtigt, die Initiative für die Kindergärten allerdings in letzter Minute eingeleitet hat.
Doch das große Zögern der West-Frauen in dieser Frage (jenseits allgemeinen Solidaritätsgedusels), hat noch mehr Gründe: Viele Frauen, denen das konkrete Zusammenleben von Müttern, Kindern, Vätern ein wichtiges Anliegen ist, haben große innere Vorbehalte, wenn sie an das Betreuungssystem der DDR denken. Ein Lebensmodell für Erwachsene und Kinder, das auf weitgehender Trennung der Generationen, auf Freisetzung von Frauen und Männern für die (in der DDR oft besonders absurde) „Produktion“ beruht; Einrichtungen, die Kindern wenig Freiheit geben, wenig auf ihre Individualität achten. Eine völlige äußere Angleichung der Frauen an die Männerbiographie (statt umgekehrt) - das alles sehen viele westdeutsche Frauen mit Bangen und Unbehagen... Die Hinterlassenschaft des Sozialismus ausgerechnet im diffizilen Bereich der „Vergesellschaftung“ der Pflege und Betreuung von Kindern zu verteidigen, scheint ihnen aus ihrer Sicht ein politischer Anachronismus.
Diese Zwiespälte in den beiden großen frauenbewegten Subkulturen der Bundesrepublik verhindern, bei aller Sympathie für die DDR-Frauen, bisher eine durchgängige Aktivierung in Sachen Kinderbetreuung. Dazu treten noch einige simple, aber politisch höchst bedeutsame Dinge, vor allem der Neid.
Angesichts der extremen Unterversorgung mit Kinderbetreuung in der Bundesrepublik fällt es vielen Frauen schwer, sich für die DDR-Frauen stark zu machen, ohne auf diesen Gebieten für sich selbst Forderungen zu stellen. StellvertreterInnenkämpfe, die letztlich vielleicht sogar gegen die eigenen Interessen gehen, sind letztlich kaum erfolgreich durchzustehen - das hat die Frauengeschichte nun allemal gelehrt.
Soll dennoch das Frauennachtgebet: „Erhalte ihnen ihre Kinderkripen“ langfristig durch die West-Frauen laut und deutlich vertreten werden, so bräuchte es folgendes: Auch die Frauen, die der Ansicht sind, daß in der DDR der Umbau des Systems, vielleicht sogar seine behutsame Abschmelzung im Kleinkindbereich, seine Ergänzung durch Elterninitiativen, durch eine neue Pädagogik, vordringlich sind, müßten jetzt den Erhalt dieser Struktur verteidigen. Denn: Reformen sind auf einem hohen Besitzstandsniveau leichter einzuführen als unter Mangelbedingungen. Was jetzt zerstört wird, läßt sich nicht mehr reformieren.
Gerade die Frauen, denen das Lebensmodell: Vollerwerb plus (hochwertige) institutionelle Betreuung unproblematisch scheint, sind jetzt besonders gefordert. Im politischen Machtfeld richtet sich dies besonders an die Frauen der SPD in Kommune, Land und Bund. Ist die Kinderbetreuung in der DDR einmal in der DDR gesichert, so läßt sich diese Frage auch im Westen neu aufrollen.
Es besteht nun die Gefahr, daß die Regierungschefs und Bürgermeister der gebeutelten Länder und Kommunen, die SPD -Länder voran, neidvoll eine Absicherung durch den Bund in der DDR verhindern. Es besteht dabei leider auch die Gefahr, daß die kämpferischen SPD-Damen sich dann, wie so oft, letztlich den Prioritäten „ihrer“ Männer unterordnen - und die liegen nicht in Kindergärten.
Die Kampagne zum §218 war und ist aus den eigenen Interessen der westdeutschen Frauen, nicht nur aus Liebe zur DDR gespeist. Diejenige zur Kinderbetreuung ließe sich ebenfalls mit eigenen Anliegen verbinden: auch in der Bundesrepublik gilt es, den dringend benötigten Ausbau von Babygruppen, Kindergärten, Schülerhorten innovativ, kreativ wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Aber nicht in pseudoradikaler Manier (jetzt, gleichzeitig mit der DDR), denn dann ist für beide Seiten nichts gewonnen. Es liegt an uns Frauen selbst, ob wir die Einigung gerade - wenn wir ihr skeptisch gegenüberstehen - als Opfer erleben oder sie uns in kluger Weise zum Ausbau unserer Strategien zunutze machen. Der Paragraph 218 hat gezeigt, daß das möglich ist. Ein Bündnis in Fragen Kinderbetreuung verlangt noch mehr Toleranz für unterschiedliche Lebensanschauungen unter Frauen - und wäre gerade deswegen besonders reizvoll und nicht einmal aussichtslos. Denn, das sei zum Trost der Zaghaften gesagt: eine starke Männerfraktion hier wie dort weiß, daß die Frauenlöhne in der DDR für den Familienunterhalt nötig sind.
Gisela Anna Erler
Die Autorin ist Familienforscherin, Publizistin und Mitautorin des „Müttermanifests“ der Grünen. Sie lebt in Bonn.
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