„Bagatellen“ - Alte Mimen

Lebens-Geschichten von Ernestine Zielke, Bremer Schauspielerin / Bisher unveröffentlichte Auszüge / taz-Sommer-Serie, Folge 7  ■  hierhin bitte

die Alte

auffem Sarg

Ernestine Zilke, Jahrgang '23, streitbare Schauspielerin von Einfrau-Programmen, schreibt seit einiger Zeit an ihren Erinnerungen. Eine Autobiographie soll es eigentlich nicht sein. Es ist ein Abenteuer, sagt sie, sich in diesem Alter noch einmal darauf einzulassen, ICH zu sagen. Die hier veröffentlichten Auszüge sind Geschichten, die jede für sich stehen kann und soll.

ICH empfinde alles auf eine erschreckende Weise unverändert, wie vor 40 Jahren. Die Schülerinnen und Schüler der Schauspielschule waren alle hungrig nach Brot und Liebe, damals 1946 und die Lehrer spielten die Rolle der Weisen, der Allesverstehenden, der Allesverzeihenden. Hoppla, das Leben geht weiter. Und über die Einsicht, daß nichts mehr weitergeht, retteten sie sich mit einem Zynismus sondergleichen. Diese alten Mimen waren clever, die Zusammenlegung vonSchauspielschule und Theater geradezu genial, wie sie es selbst nannten. Ein paar alte Mimen, die gleichzeitig Lehrer/innen waren, genügten, ein Theater zu gründen. Die meisten Rollen wurden mit Schülern besetzt, ebenso Technik, Souffleuse, Inspizient, Bühnenarbeiter, undsoweiter.

Stipendien mit Spielverpflichtung und diejenigen, die Schuld zahlen konnten, wollten natürlich auch spielen, ohne Gage: Mensch werde wesentlich! Im übertragenen Sinn, Haustochter schlicht um schlicht ohne Taschengeld mit Familienanschluß. Familienanschluß war überhaupt das Wichtigste. 'Wer in die Bühnengenossenschaft geht, bekommt von mir keine Rolle, weder auf der Bühne noch in meinen Filmen, die ich sicher bald wieder drehen werde.‘ Und - 'Ein Schauspieler hat seinen Text zu sagen und sonst gar nichts. Die Verantwortung trage ich.‘ Es hat sich nichts geändert. Die Regisseure merken nicht, daß sie komische Figuren sind. Die hierarchische Struktur täuscht sie darüber hinweg.

In der Schule fand ich damals den Familienanschluß nicht. Hilfe kam von ganz anderer Seite. Ein jüdischer Kollege, mit dem ich mich angefreundet und eine Lesung der verbrannten Dichter gemacht hatte, gab mir eine Bescheinigung für den Entnazifizierungsausschuß, in der stand, daß ich mich im sozialen Bereich engagiert hätte. Ich wollte diese Bescheinigung nicht annehmen. 'Ich will keine Lüge.‘ 'Du wirst hoffentlich begreifen‘, sagte er mit einer nicht verletzenden Ironie,'daß Theaterspielen immer in den sozialen Bereich gehört. Wenn Dir unsere gemeinsame Arbeit nicht reicht für die Bescheinigung, nimm die Aussage darin als Auftrag.‘ - Richtig begriffen habe ich das erst sehr viel später. !!!!