: Behutsame Rückzieher des Irak
■ Ausreise der Frauen und Kinder soll heute beginnen / Grundnahrungsmittel im Irak rationiert Noch keine Entspannung im Botschaftsstreit / Diplomatische Bemühungen in Paris und Amman
Bagdad/Washington (afp/ap/adn/dpa) - Die irakischen Behörden haben gestern offenbar damit begonnen, den seit Wochen im Land festgehaltenen ausländischen Frauen und Kindern Ausreisevisa auszustellen. Ihre Ausreise wird jedoch, wie ein irakischer Sprecher in Bagdad mitteilte, erst heute beginnen. Er sagte, die Entscheidung des irakischen Präsidenten Saddam Hussein vom Dienstag betreffe alle „Frauen und Kinder aus den Vereinigten Staaten, den westlichen europäischen Ländern und aus Japan“. Die Frauen und Kinder sollen auf dem Landweg über die Nachbarländer des Irak - Jordanien, die Türkei und den Iran - ausreisen, da der internationale Flughafen von Bagdad für den Flugverkehr gesperrt sei.
Ab Samstag sollen im Irak die Grundnahrungsmittel für die knapp 18 Millionen Einwohner rationiert werden. Wie gestern in Bagdad offiziell mitgeteilt wurde, wird dann der Konsum von Reis, Mehl, Zucker und Speiseöl „unter hoher Überwachung“ stehen. Mit der Ausgabe von Lebensmittelkarten wurde bereits begonnen. Das gegen Bagdad verhängte Embargo scheint damit zunehmend Wirkung zu zeigen.
Unterdessen hat sich die Auseinandersetzung um die diplomatischen Vertretungen in Kuwait-City weiter verschärft. Nach wie vor ist eine ganze Anzahl ausländischer Missionen in Kuwait-City - teilweise oder ganz - von der Energie- und Wasserversorgung abgeschnitten. China und die Türkei haben unterdessen das gesamte Personal ihrer Botschaften nach Hause zurückgerufen. Auch Jordanien hat sein Botschaftspersonal zurückbeordert. Jordanien, das sich immer noch in enger Zusammenarbeit mit der PLO um eine arabische Lösung des Konflikts bemüht, hat sich unterdessen dem von der UNO verhängten Irak-Embargo angeschlossen und Bagdad davon unterrichtet, daß mit diesem Schritt alle beiderseitigen Geschäfte eingestellt werden. Zugleich hat Kronprinz Hassan jedoch davor gewarnt, die von Saddam Hussein erklärte Verhandlungsbereitschaft als reine Propaganda abzutun. Er betonte, es komme nun darauf an, „die Tragödie einer Eskalation der Gewalt“ zu verhindern.
Nichtangriffsgarantie
als Voraussetzung für
Freilassung der Geiseln
Wie der irakische Botschafter in Paris gestern im französischen Fernsehen betonte, verlange sein Land eine Nichtangriffsgarantie der UNO und der EG als Voraussetzung für die Freilassung der als Geiseln festgehaltenen Ausländer. „Wir fürchten einen militärischen Angriff auf den Irak, und wir halten die Ausländer zurück, um eine Katastrophe zur vermeiden“, sagte er. Er bestätigte zugleich, daß Präsident Saddam Hussein einen Erlaß unterzeichnet habe, wonach Frauen und Kinder unbehindert ausreisen dürfen.
Ungeachtet dessen wird der Militäraufmarsch in der Region fortgesetzt. Der sich gegenwärtig auf einer Nahostreise befindende britische Verteidigungsminister King teilte mit, daß ein weiterer britischer Zerstörer ins Krisengebiet beordert wird. Washington hat seinerseits dem Flaggschiff der 7. amerikanischen Flotte den Befehl zum Auslaufen aus dem japanischen Hafen Yokosuka in Richtung Golf gegeben.
Die Kosten für die militärischen Operationen der USA am persisch-arabischen Golf sind vermutlich doppelt so hoch, wie zunächst vom US-Verteidigungsministerium angenommen wurde. Pentagon-Sprecher Williams teilte mit, die Ausgaben für die Operation „Wüstenschild“ würden sich statt der geschätzten 1,3 Milliarden Dollar (etwa 2 Milliarden DM) bis Ende September wahrscheinlich auf 2,5 Milliarden Dollar (etwa 3,9 Milliarden DM) belaufen. Der Anstieg der Kosten sei vor allem auf zusätzliche Ausgaben durch die Einberufung von Reservisten und die verstärkten Schiffs- und Flugzeugbewegungen zurückzuführen.
Notstandsregierung
in Israel?
Bezugnehmend auf entsprechende Gerüchte bestritt der israelische Ministerpräsident Schamir, daß Israel versuche, die USA zu einem Angriff auf den Irak zu bewegen. Über die Lieferung amerikanischer Waffen an Saudi-Arabien äußerte sich Schamir besorgt. Damit würden „perfektionierte Waffen an ein Land geliefert, das keine Beziehungen zu Israel“ unterhalte. Er erinnerte daran, daß ein ähnliches Arsenal kürzlich an Kuwait verkauft worden sei und sich jetzt in den Händen des Irak befinde. Sollte sich „die Situation“ wesentlich ändern, zöge er die Möglichkeit in Betracht, zwei Mitglieder der oppositionellen Arbeitspartei ins Kabinett aufzunehmen. Eine ähnliche Maßnahme wurde auch vor dem Sechs -Tage-Krieg vom Juni 1967 unternommen.
Währenddessen gehen die Bemühungen um eine politische Lösung der Krise weiter. In Paris wurde noch im Laufe des Mittwoch PLO-Chef Arafat zu Gesprächen mit Premierminister Rocard erwartet. Der außerordentlichen Sitzung des Ministerrates der Arabischen Liga, die heute in Kairo tagt, bleibt die PLO aber wie der Irak, Jordanien, Libyen und der Sudan fern. Bei dem Treffen wird über die Anwendung der am 10. August beim Arabischen Sondergipfel verabschiedeten Resolution beraten, mit der die irakische Invasion Kuwaits verurteilt werden soll. Zudem sollte damit die saudische Bitte um Hilfe ausländischer Truppen unterstützt werden. Ebenfalls heute findet in Amman das mit Spannung erwartete Treffen zwischen UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar und dem irakischen Außenminister Aziz statt.
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