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Schreiben über Island

■ Kalle Grude im Markovic Laboratorium

Neben Wolfgang Müller mit seinem Land ohne Eisenbahn in der Galerie Zwinger denken noch andere Künstler über Island nach. Am vergangenen Freitag begann im „Markovic Laboratorium“, einem Schuppen im Hinterhof des R.A.M.M.-ZATA -Theaters, das Projekt Prenna III.

Die Zahl drei zieht sich als roter Faden durch die Konzeption. Drei KünstlerInnen, zwei NorwegerInnen und eine Berlinerin, verbrachten drei Monate in Island, an drei verschiedenen Orten. Nun stellen sie drei verschiedene Interpretationen dreier Landschaftsformen der Insel mit drei verschiedenen künstlerischen Mitteln in drei Ausstellungen in drei verschiedenen Ländern vor. Drei Jahre sind dafür angesetzt. Prenna I wurde im direkten Anschluß an den Island-Aufenthalt im „Nordischen Haus“ in Reykjavik im Herbst 1988 gezeigt; im Sommer 1989 folgte Prenna II in Oslo, im „Henie-Onstadt-Kunstzentrum, Hövikodden“. Nun also in Kreuzberg. Nur bei den Unterstützern versagt die Zahlenmagie: Es zeichnen als Wohltäter das norwegische Kulturministerium, das Goethe-Institut in der isländischen Hauptstadt, die „Sculpture Union“ von Island, die „Association of Norwegian Visual Artists“ und der DAAD.

Bei so viel gewichtigem Hintergrund verwundert die Wahl des kleinen Raums in der Fidicinstraße. Prompt kamen zur Performance von Kalle Grude am Montag abend nur die Freunde des Künstlers und die Freunde der Freunde. Organisatorische Probleme hatten im letzten Moment noch einmal zur Improvisation gezwungen - man ist mit dem versteckten Ort nicht so recht zufrieden. Doch abgesehen davon, daß man isländische Kunst hinter der Theaterhalle vermutet, haben die Räumlichkeiten der Wirkung Grudes Maleraktion nicht geschadet.

In dem hermetisch abgedunkelten Raum leuchteten einige rote Lampen und ließen gerade noch eine Kunstlackfolie hinter einem Malergerüst erkennen. Auf dem Boden erstreckte sich eine Schiene von dem Gerüst zur gegenüberliegenden Wand. Vier Rotstrahler, je zwei gegeneinandergerichtet, schienen sich in ihrer Wirkung wechselseitig aufzuheben. Doch im Hintergrund waren noch Kameras zu erkennen. Die benötigten das Rotlicht. Der Schuppen hatte sich in ein Fotolabor verwandelt.

Der Sinn der Verdunklung zeigte sich, als Kalle Grude mit Hilfe eines Berliner Kollegen begann, vom Gerüst aus die Wand zu besprühen. Zunächst ein Unterfangen, das Fragen aufwarf, tat sich doch gar nichts. Doch mit den Minuten schrieben sich aus der Dunkelheit, schwarz auf weiß, von außen nach innen, Zeichen auf die Wand. Aus den Zeichen formten sich schablonierte Buchstaben, lateinische und kyrillische, aus den Buchstaben Wörter und aus den Wörtern schließlich der Text, unvermittelt rechts und links beschnitten, dort, wo die Entwicklerflüssigkeit aus den Blumensprenklern nicht mehr auf Grundierung traf. Was so entstand, verblüffte, weil es, altbekannt, so vertraut erschien: „You are entering the American Sector/ carrying weapons off duty is forbidden/ obey the traffic rules“.

Fremd stand die ins Überdimensionale entwickelte Erinnerung an die kleinen weißen Schilder an der Ziegelwand, hier noch mehr jedes Sinnes enthoben als in irgendeiner Landschaft. Als plötzlich ein Scheinwerfer aufflammte, wurde die Sinnentleerung noch verdoppelt. Die gegenüberliegende Wand spiegelte den Entwurf als Negativ, mit weißen Lettern auf schwarzem Untergrund. Noch einmal vervielfältigt wurde sie in der Kamera, die ohne Ende ein Bild nach dem anderen schoß. Unter dem Spülstein fanden sich schließlich Polaroids, „teststripes“ der Performance. Mit jeder Vervielfachung wurde die Vorstellung eines echten Textes in einer echten Landschaft trotz des Allgemeinwissens - Island ist Nato-Mitglied, auf Island stehen amerikanische Stützpunkte - immer unmöglicher.

Grudes Performance ist einmalig. An jedem ihrer Aktionsorte überdachten Elisabeth Jarstö, Nicola Schröder und Kalle Grude ihre Verarbeitung der isländischen Eindrücke neu. Zwei Monate bereiteten Jarstö und Grude im Markovic Laboratorium ihre Präsentationen vor (Nicola Schröder reiste nach Island ab). Was Grude auf der weißen Fotowand entwickelte, verschwindet, wenn Elisabeth Jarstö ihre monumentalen Skulpturen zeigen wird. Ihre Vergänglichkeit macht die von Grudes stiller Aktion ausgelöste Irritation noch größer.

Claudia Wahjudi

Kalle Grude ist noch bis zum 2.9., täglich von 12 bis 18 Uhr, in der Fidicinstraße 40.

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