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Traurige Alpen

■ Dem österreichischen Blatt 'AZ‘ droht die Schließung

Die Pressekonzentration im Alpenland wird damit noch höher

Von Hazel Rosenstrauch

Sozis und Linksliberale und überhaupt Menschen, die noch lesen in Österreich, werden voraussichtlich um eine Zeitung ärmer: Mit 1. September, so hieß die überraschende Meldung Ende August, muß die 'AZ‘ schließen.

Daß die beiden Buchstaben Arbeiterzeitung meinten, war aber übrigens schon länger nicht mehr wörtlich zu nehmen. Aus dem Zentralorgan der Sozialistischen Partei Österreichs war vor einem Jahr eine „Unabhängige Tageszeitung“ geworden. Die Partei konnte sich den Zuschußbetrieb - in dem viel zu lange Parteitreue geübt werden mußte - nicht mehr leisten. Mit neuem Konzept, engagierten Journalisten und einem Chefredakteur, der seines Gesichts wegen eingekauft worden war, aber vom Handwerk nichts verstand (er war Nachrichtensprecher im österreichischen Fernsehen, unpolitisch bis naiv und symbolisierte gerade deshalb die Trennung von der Partei) hatte der Besitzer einer Werbeagentur aus dem biederen Parteiorgan im 100. Jahr seines Bestehens ein modernes Blatt machen wollen. Ob es ein aufgeklärtes Boulevardblatt oder ein linksliberales Organ nach dem Vorbild von 'Liberation‘ 'Republica‘ und 'El Pais‘ werden sollte, blieb strittig - seine Leser waren eine Mischung von deren Zielgruppen - Arbeiter, die mit der SPÖ und damit auch der 'AZ‘ großgeworden waren, „Linke“, Intellektuelle, sogenannte fortschrittliche Menschen, die in der hiesigen Zeitungslandschaft keine große Auswahl haben.

Auch Nicht-'AZ'-Leser und Leute, die nur gelegentlich wegen eines Kommentars oder Artikels der profilierten Redakteure zu dem Blatt griffen, reagierten auf den Einstellungsbeschluß erschrocken. Die Zeitung war, trotz vieler Schwächen und dem Schlenkerkurs des letzten Jahres, ein aufklärerischer Gegner jenes „gesunden Volksempfindens“, das sich vor allem im „Staberl“, der Meinungskolumne der 'Kronenzeitung‘ artikuliert. Die billige - und für deutsche Verhältnisse oft unvorstellbar rassistische - Skandalpresse hat in der österreichischen Medienlandschaft längst das Monopol. Mittlerweile gibt es nur noch einen großen Konzern, seit dem Einstieg der westdeutschen 'WAZ‘ heißt er „Mediaprint“ und gebietet über die zwei größten Boulevardzeitungen 'Kurier‘ und 'Krone‘ - im Vergleich zur 'Krone‘ ist die 'Bildzeitung‘ geradezu seriös - das Spiegel -Imitat 'profil‘, die Wirtschaftszeitschrift 'Trend‘, die 'Wochenpresse‘, stramm konservativ, 'basta‘ als alpenländisches Zeitgeist-Magazin mit entsprechend dörflichem Einschlag, den 'Rennbahn-Express‘ als Fachzeitschrift für Pferde und seit neuestem auch den Orac -Verlag. Auch über die einst sozialistische Vorwärts -Druckerei, in der die 'AZ‘ gedruckt wird, gebietet „Mediaprint“.

In Wien können Informationsbedürftige, die über weltbewegendes mehr als fünf Zeilen lesen wollen, noch zur 'Presse‘ greifen, die der Bundeswirtschaftskammer gehört, im Westen Österreichs gibt es noch unabhängige Zeitungen wie die Oberösterreichischen und die 'Salzburger Nachrichten‘. Auch für die interessiert sich bereits deutsches Kapital.

Mit der 'AZ‘ sterben auch ihre Regionalausgaben, das Oberösterreichische und das 'Salzburger Tagblatt‘. Also planen zwei führende Chefs des Gewerbes, einst Partner und jetzt nicht nur Konkurrenten sondern auch Feinde, 'Kronenchef‘ und Mediaprint-Miteigentümer Dichant einerseits und 'Ganze-Woche'-Chef Falk für 1991 zwei weitere „ganz billige“ Boulevardzeitungen.

„Österreich“, schreibt das subventionierte Szene-Blatt 'Falter‘, „hat einen Grad an Pressekonzentration erreicht, den man selbst in Zentralafrika nicht alle Tage findet“.

Ironie der Geschichte: Die wenigen Leser, die sich nach dem 1. September noch wirklich in einer einheimischen Zeitung informieren wollen, hoffen nun auf den Springer-Konzern. Der finanziert den vor zwei Jahren hochgekommenen 'Standard‘ (und ist auch bei der 'Tiroler Tageszeitung‘ eingestiegen), relativ lesbar und einigermaßen demokratisch, eine Art Kreuzung aus 'FAZ‘ und 'Tagesspiegel‘. Bisher, behaupten die Kollegen, würden die Berliner Geldgeber nicht reinreden. Die Abo-Kartei der 'AZ‘ sollte an den 'Standard‘ verkauft werden.

100 Millionen Schilling, das sind 15 Millionen DM, fehlten der 'AZ‘, im wesentlichen Anzeigen-Erlöse, auf die man gehofft hatte. „Wäre die 'AZ‘ vor zwei Jahren privatisiert worden, dann hätten wir vielleicht noch eine Chance gehabt, jetzt kommt uns auch die Geschichte in die Quere“, kommentiert ein Redakteur die Auswirkungen der Weltgeschichte auf die ehemalige 'Arbeiterzeitung‘. Verhandlungen mit ausländischem Kapital waren nämlich erfolglos geblieben: Die Deutschen interessieren sich nun für die DDR, die Amerikaner schielen, wenn, dann nach Ungarn und in die Tschechoslowakei.

Die Auflage betrug zuletzt 80.000, das sind 221.000 Leser, davon 60.000 Abonnenten, eine für das kleine Land ansehnliche Zahl. Aber die Anzeigenkunden warten schon auf die neuen farbigen Boulevardblättchen zu 3,- Schilling (50 Pfennige), und ohne Anzeigen läßt sich keine Redaktion mehr finanzieren. Daß sich hierzulande keine Rest-Öffentlichkeit bilden kann, liegt nicht nur daran, das Österreich so klein ist. Es fehlt, nicht zuletzt aufgrund der relativ weitreichenden Verstaatlichung, das einheimische Kapital, eine liberale Mittelschicht, Finanziers und Interessenten, die in den Zwischenräumen einer offen ausgetragenen Politik der Gegensätze Einfluß suchen könnten. Durch die Politik des Aushandelns zwischen SPÖ und ÖVP, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, hat es trotz der desolaten Situation am Zeitungsmarkt noch keine Anstrengungen gegeben, Medienpolitik zum Gegenstand demokratischen Streits zu machen. Es gibt in Österreich bisher auch kein Medienkartellrecht, nicht einmal eines, das wenigstens schlecht wäre.

So sah es noch Ende voriger Woche aus. Nachdem die Todesanzeige überall erschienen und auch dieser Artikel bereits gesetzt war, kam eine für alle Beteiligten überraschende Wendung: Das drohende Aus mobilisierte Kräfte, an die in Österreich kein Mensch mehr geglaubt hat. Innerhalb von drei Tagen waren Leser und Freunde bereit, zwölf Millionen Schilling (knapp 1,8 Millionen DM) zu investieren, damit die Zeitung weiter erscheinen kann. Aus der Redaktion wurde die Organisationszentrale für den für österreichische Verhältnisse kühnen Versuch, die kritische liberale Stimme im schwarz-braun-blauen Blätterwald, zu sichern. Natürlich reichen die 1000- oder 5000-Schilling -Anteile, die offensichtlich nicht zum geringsten Teil von treuen Lesern, Rentnern, kleinen Leuten kommen, nicht aus. Aber die starke Leserbindung und das Engagement von geübten Geldbeschaffern (Andre Heller, Johannes Mario Simmel) ist offenbar zum Signal für Großanleger geworden, die noch überlegen, ob sie mit dem nötigen großen Geld einsteigen.

Die letzte Meldung heißt, daß die 'AZ‘ noch bis zur dritten Septemberwoche erscheinen wird. Bis dahin muß klar sein, ob eine Absicherung auf einige Jahre möglich ist. Die Suche nach Kooperationspartnern, Anteilseignern und Verlagen (gerne auch deutschen) geht weiter.

Sollte dieses Experiment gelingen, so würde nicht nur die Zeitungslandschaft, sondern die gesamte politische Kultur in Österreich kurz vor ihrer Verschlampung doch wieder anders aussehen.

Die Autorin war zuletzt Redakteurin des 'Wiener Tagebuch‘, das im Dezember vorigen Jahres schließen mußte.

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