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Im Stande hergestellter Unschuld

■ „Haitianische Malerei“ zwischen Projektion und Wirklichkeit im Gehag-Forum

In Haiti gibt es etwa fünfhundert Maler. Sie haben keinen Status als Hoflieferanten für höhere Beamte und öffentliche Gebäude, werden nicht mit Staatsgeldern gestützt und arbeiten wie Handwerker auf dem freien Markt. Das Angebot regelt die Nachfrage. Der feudale Schick der Arrivierten hat nichts für die Kunst aus dem eigenen Land übrig. Geschäftsleute ziehen Tafelbilder aus dem Ausland vor. Bleiben die Touristen. Haitianische Tafelmalerei wirkt weniger auf die Köpfe der Haitianer als auf die Handelsbilanz. Malerei ist ein Exportartikel - wie Kaffee, Kakao, Textilien.

Aber haitianische Malerei ist nicht gleichbedeutend mit haitianischer Kunst. Skulpturen sind jedoch auf dem europäischen Kontinent kaum bekannt. Dabei sind gerade sie es, die sich im zeitgenössischen Kunstkontext sehen lassen könnten: Gebilde aus Benzinfässern, Stahlplatten, Industrieabfällen ebenso wie in Stein gehauene Figurationen, geschmiedete Eisenskulpturen, ziselierte Schattenrisse in Blech; Assemblagen aus Holz, Glas, Tuch mit Federapplikationen; Installationen, in denen sich das funktional Entfernteste durch den organisierenden Zugriff eines einzelnen zusammenfindet. Die produktive Kraft (oder Zwang aus Passion) ist auch nach jahrzehntelanger Diktatur, nach intellektueller Zermürbung durch Zensur und sinkenden Lebensstandard nicht erschöpft. Folter ist an der Tagesordnung; das Pro-Kopf-Einkommen beträgt etwa 400 Mark jährlich, aber nur wenige der Bauern - und das sind 90 Prozent der Bevölkerung - verdienen mehr als 200 Mark pro Jahr; ein Viertel der Menschen sind Analphabeten. Wie sieht Malerei aus solch einem Land, unter solchen Bedingungen aus?

Eine Ausstellung im Gehag-Forum zeigt einen Querschnitt der dritten Generation haitianischer Maler. Sie sind fast alle nach 1950 geboren; junge Maler also, die ihre ästhetische Sensibilität und Verfahrensweise innerhalb der Möglichkeiten einer Diktatur entwickelt haben. Einige haben Malerei als Handwerk von ihrem Vater gelernt, der es von seinem hatte (Cassimir, Joseph, Obin); einige besuchten das 1943 gegründete Centre d'Art in Port-au-Prince. Es ist Kunstschule, Galerie, Vertriebszentrale in einem und für die haitianische Malerei stilbildend geworden.

Als Andre Breton dieses Kunstzentrum 1945 besuchte und dort den „üppig wuchernden Sur-Naturalismus“ zu erkennen meinte, ließ er sich zu der Bemerkung hinreißen, die haitianische Malerei würde „das Blut des Phönix trinken“ und „frischen Wind“ in die Malerei der Welt bringen. Was afrikanische Skulpturen für den analytischen Kubismus waren, das glaubte er in der haitianischen Malerei wiederzuerkennen: Visuelle Wahrnehmung und Einbildungskraft sind nicht getrennt; zum Bild wird das Sichtbare ebenso wie die nicht sichtbaren Dinge. Breton traf auf die erste Generation der Maler Haitis und sah eine transatlantische Entsprechung zur surrealistischen Bewegung und deren Vorstellungen. Er achtete ihre Andersheit, begrüßte aber emphatisch ihre Ähnlichkeiten. Das Uralte schien neu. Und es war naiv, primitiv, spontan, instinktiv - ursprünglich sowieso. Die dritte Generation schulte sich an den Alten, kennt überregionale Malerei, Fernsehen, Kunstkataloge und bezieht die Erwartungen der Touristen in die Malweise mit ein. Naiv wäre es zu glauben, diese Malerei sei naiv. Die Maler wissen, welches Genre sie bedienen, und verfügen über mehrere Stile - auch über den, der unter dem Label „naiv“ figuriert. Ebenso sind die Themen von den alten Meistern Philome Obin, Bigaud, Hyppolite, Benoit vorgegeben. Die jungen Maler orientieren sich weitgehend daran, wagen sich kaum auf neues Terrain und haben sich auf exportierfähige Genres verlegt - schließlich müssen sie leben davon.

Entsprechend sind die Bilder, die fast alle im Kofferformat in den Fluren und Foyers der Gehag hängen. Sie bewahren gehorsam das Erlernte; die Bemühung der Maler geht offenbar dahin, das Bisherige zu perfektionieren. Keines der für den Kontinent ausgewählten Bilder zeigt eine Hinwendung zum modernen Leben Haitis - weder in der Bilderfindung noch in der Bildwürdigkeit von Gegenständen noch im Gestus. Die Härte und Verknapptheit, mit der in Port-au-Prince gesprochen wird, die Lakonie der Statements, die sich mit blumigen Floskeln abwechseln, und die schwindelnde Schwebe zwischen Ironie und Ernst finden formalästhetisch in diesen Bildern kein Äquivalent. Oder es ist so feinnervig, daß es für unseren Blick hier unkenntlich ist. Dafür aber sieht man viele Varianten ländlichen Lebens. Gärten und Märkte und Frauen sind erwartungsgemäß bunt und prachtvoll. Die subtilen Formen affirmativer Kritik, Subversion, Chiffrierung, wie Hyppolite, Obin, Rigaud sie in den 40er und 50er Jahren für die Malerei entwickelten, fehlen. Repression, Märtyrer, Folter, Göttermasken, Voodoozeremonien, die die Gegenwartsthemen der ersten Generation waren und es durch den Gang der Geschichte blieben, sind inexistent. Dafür investieren die jungen Maler ihr ganzes Können darein, das Bild einer Malerei im Stande der Unschuld zu präsentieren. Gemessen an diesen Bildern ist die Malerei unter doppeltem Druck: dem der staatlichen Gewalt und dem der Erwartungshaltung der Touristen, die durch ihre Ankäufe diktieren, was geht und was nicht.

Was sind die Qualitäten dieser inszenierten Naivität? Welchen Kosmos entwerfen die Veranstalter des Gehag-Forums, um haitianische Kunst so vorzustellen, daß interessierte Haitianer in Berlin nicht beleidigt werden? Was Merkmal der alten Meister war: überhaupt nicht naiv zu sein, sondern ironisch, anspielungsreich oder frappierend direkt, klar in der Komposition, kodiert in Farbe und Gegenständen, aber flüchtig oft im Farbauftrag und in der Ausführung bisweilen unbeholfen, scheint sich verkehrt zu haben. Alle Macht den Farben, dem Auftrag und dem Rhythmus der Kontraste anhand von vorgegebenen Bildfindungen. Bien-Aime, Jean-Pierre, Joseph und Cassimir junior haben sich die Form- und Farbvorgaben von Cassimir senior angeeignet und bringen das Erlernte mit jedem Bild erneut zur Geltung. Die eingeführte Komposition ist stark genug, Variationen zu erlauben, ohne die Erwartungen der Käufer zu düpieren, die erfahrungsgemäß auf Bewährtes setzen. Tropische Landschaften, schlaraffenlandähnliche Gärten, stille Dörfer mit Fluß, Baum und Frau, menschen-, früchte-, gemüseüberquellende Märkte - es ist, als ob sie mit jedem Bild behaupten, es sei alles anders, könnte anders sein. Chronische Unterernährung gibt es nicht, sollte es nicht geben.

Wer diese Ausstellung sieht und haitianische Kunst auch nur ein wenig kennt, muß zwangsläufig reaktionär werden und die alten Meister hochhalten: Damals, ja damals waren die Maler noch erfindungsreich, realitätsbesessen, ironisch und todernst. Jedes Bild ein Fest für Dechiffrierungskartelle und Eingeweihte und für die Arglosen ein Augenschmaus. Aber heute, heute ist aus dem einst erhellenden Blick der Maler, der Vorstellung und Sichtbares ins Bild bringt, ein obskures Geschäft geworden. Der Reaktionär vergißt, daß es weniger um ästhetische als um existentielle Anstrengungen geht. Es wäre ja auch möglich, daß diese Maler ihre Bilder nicht veräußern können, weil die Veranstalter der Ausstellung sie nicht haben wollten und sich auf den sicheren Boden der Konvention stellten.

Alle, die exotische Illusionsmalerei mögen, werden schwelgen. Und wenn in Berlins Imagegalerien ein Fetzchen Karton mit ein bißchen Farbe drauf, Postkarten mit einem Kugelschreiber - Pfeil: ich bin da! - und verschmierte Farbsoßen als Kunst durchgehen, dann diese Ausstellung junger haitianischer Maler allemal. Und wenn es nur deshalb wäre, weil die Kunst nicht ohne den Markt gedacht wird.

Peter Herbstreuth

Haitianische Malerei. Gehag-Forum, Mecklenburgische Straße 57, Berlin 33. Mo. bis Fr. von 10 bis 16 Uhr, bis 14. September.

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