: Der sozialisierte Rehrücken
■ Partyschrecks beendeten linke Geburtstagsfeier
Charlottenburg. Das kalte Buffet vom KaDeWe ist angeliefert, der Prosecco wartet im Kühlschrank, die Blumen sind arrangiert, und die Lebensgefährtin des Gastgebers legt letzte Hand an sich. Dessen 50. Geburtstag soll gefeiert werden, und Gäste haben sich viele angesagt, denn Hans-Uwe (Name v. d. Red. geändert) ist in der linken Szene kein Unbekannter. Der Jubilar ist C3-Professor an der Freien Universität, bewandert in Kritischer Theorie bis revolutionärer Praxis, die ersten Mikrophonerfahrungen hatte er im guten alten SDS gemacht. Aber das ist lange her, ein Dauerauftrag an das Netzwerk und Solidaritätsunterschriften unter irgendwelche Aufrufe sind übriggeblieben vom langen Marsch durch die Institutionen. Jetzt, an diesem Septemberabend, sollen alte Begegnungen wiedererlebt werden — eine Erinnerungsreise durch drei Dekaden.
Aber den Professor holt die Gegenwart ein. Gegen 19 Uhr klingelt es an der gepflegten Altbauwohnung am Savignyplatz. Fremde Gäste begehren Einlaß. Hier solle doch die Geburtstagsfeier vom »Genossen Hans-Uwe« gefeiert werden, da wolle man nicht fehlen, er solle ihnen doch schon einen Schluck eingießen. Hans-Uwe ist irritiert, die jungen Männer scheinen keine Studenten von ihm zu sein, aber vielleicht ist auch nur das Gedächtnis schwächer geworden. Er bittet die vier herein, die Kleidung spricht nicht gegen die unbekannten Gäste. Diese wandern zielsicher in die Küche. Dort werden Plastiktüten über Plastiktüten aus den Jacketts und Hosentaschen gezerrt und vor den Augen des Geburtstagskindes alle Kostbarkeiten eingesackt. Hummerkrabben, Avocadosalat, Entenbrüstchen und Rehrücken verschwinden samt KaDeWe-Leihgeschirr in endlos vielen Aldi-Tüten. Der lautstarke Protest des düpierten Gastgebers ist vergeblich, mit nackter Gewalt wird er in die Besenkammer abgedrängt. »Hindere du uns nicht an der Sozialisierungsaktion«, hört er noch. Fünfzig Jahre konsequenten »no sports« verhindern jeglichen bemerkenswerten Widerstand. Vergeblich auch das Hoffen auf kraftvolle Solidarität der Lebensgefährtin. Sie steht nur kichernd in der Ecke. Bei den lukullischen Diebes-Häppchen bleibt es nicht, die Partyschrecks räumen mit gleicher Gründlichkeit die Sektvorräte ab, zusätzliche Träger lauern hinter der Eingangstür. Nach fünf Minuten ist alles zu Ende. Die ungebetenen Gäste sind verschwunden, die Küche leer und der Professor aus der Besenkammer befreit.
Die wenig später eintreffenden Geburtstagsgäste tragen wenig dazu bei, den ausgeraubten Gastgeber aufzuheitern. Was nützt einem das beste Geschichtchen, wenn nichts mehr da ist, um es zu begießen. Keiner der sensiblen Freunde hört mehr zu, jeder muß jetzt seine eigenen Opfer-Stories zum besten geben: »Als ich mal in der Fußgängerzone in Rom ... oder im Bungalow in Spanien...«. Der Professor kommt nicht mehr zu Wort. Wohin nun mit seinen Rachephantasien: nicht einmal ein Bekennerschreiben blieb zurück.
Nachtrag: Übrigens kommt es am gleichen Abend zu einer ähnlichen Tat. Bei einer Zuhälterparty in Schöneberg sahnten fünf schwerbewaffnete Gangster ordentlich ab. Doch sie ließen die Naturalien auf den Tellern und nahmen lediglich den Damen des Haus Schmuck im Wert von über 40.000 Mark ab. Anita Kugler
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