: Von Gorbatschow lernen
■ Die Supermächte nach dem Gipfel in Helsinki
Knockout für den Kalten Krieg. Die Supermächte lassen sich vom Schiedsrichter Welt zum gemeinsamen Sieger erklären, der Kalte-Kriegs-Teufel liegt ihnen zu Füßen, endgültig besiegt. So die Karikatur, die Gorbatschow seinem neuen Partner auf dem Gipfel in Helsinki überreichte.
Doch ein neuer „Teufel“, Saddam Hussein, ließ Bush und Gorbatschow nicht viel Zeit zum Zelebrieren. Sieben Stunden konferierten sie über die erste Herausforderung in der soeben eingeläuteten „neuen Ära“. Sie wollen eine politische Lösung des Konflikts am Golf versuchen. Doch was — so lautet die auf dem Gipfel öffentlich nicht beantwortete Frage — machen beide Supermächte, wenn Saddam Hussein nicht nachgeben sollte?
Schon in der vergangenen Woche war die Kriegsrhetorik der USA merklich zurückgefahren worden, die Sowjets hatten verstärkt politische Gespräche anvisiert. Zuallererst, so Moskau, solle das Embargo gegen Irak wirken. Wenn das nichts fruchte, dann sollten militärische Aktionen unter UNO-Kommando erfolgen und der Militärrat des Sicherheitsrates reaktiviert werden. Das letzte, was Moskau will, ist eine Weltpolizei USA. Der US-Aufmarsch in der Region wird zwar als notwendig akzeptiert. Die Äußerung Bushs auf dem Gipfel, man werde nur solange in der Region bleiben, „bis die Sicherheitsinteressen dieser Region gewahrt“ seien, bezeichnete Gorbatschow — eben wegen der darin enthaltenen zeitlichen Begrenzung — als „sehr wichtig“. Der Wille der Sowjetunion zu einer Neubestimmung internationaler Politik scheint auch im Golf ausgeprägter als bei den USA, die sich bekanntermaßen als Sieger im Kalten Krieg sehen.
So wie Moskau in Europa auf die KSZE-Karte setzt, so will man nun den UNO-Rahmen stärken und plädiert für eine „arabische“, längerfristig für eine regionale Lösung im Mittleren Osten, die auch Israel einbezieht. Stets haben Berater Gorbatschows diese von Moskau schon länger entwickelten Vorstellungen wiederholt. Zuletzt sprach Schewardnadse von einem Dreistufenplan: Golfkrise — Israel/Palästinenser — Libanon. Und genau dies haben die Hardliner in Washington bisher zu verhindern gesucht und stattdessen als Äquivalent zur Nato von „Gulfo“ geträumt. Ein pro-amerikanisches Bündnis, das die Gräben in der arabischen Welt vertiefen und die militärischen und politischen Konstellationen des Kalten Krieges so einfach nach Süden verlagern würde. Genau dieses Problem beginnt man, wenn auch langsam, in Washington zu begreifen.
Der Einmarsch irakischer Trupen in Kuwait hat die politische Topographie der Region nachhaltig erschüttert. Eine Herstellung des Status quo ante ist undenkbar. Der UdSSR muß es letzlich gelingen, die USA zu einer neuen Verantwortlichkeit zu bewegen, die nicht eine Politik der „eisernen Faust“ bedeutet. Dies würde eine völlig neue Kooperation der beiden Ex-Antagonisten im Rahmen der UNO bedeuten: für eine gemeinsame Sache, Frieden anstatt Krieg. Andrea Seibel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen