piwik no script img

Die „Ritter der Wüste“ kämpfen ums Überleben

Zwischen den Tuareg der Sahara und den Regierungen in Mali und Niger ist ein offener Konflikt aufgebrochen/ Bis zu 1.700 Tote in Niger/ Halb Mali unter Ausnahmezustand/ Augenzeugen berichten von schweren Menschenrechtsverletzungen/ Weiterhin BRD-„Ausstattungshilfe“ an Nigers Armee  ■ Von Georg Klute

„Man muß alle Tuareg zählen und sie dann vernichten“: Dies sagte der Präsident des UNC (Union Nationale des Cooperatives) von Niger während einer Sitzung im Mai dieses Jahres, glaubt man einem Flugblatt der nigerischen Schülerunion. Die Schüler und Studenten sprechen im Zusammenhang des Vorgehens der Regierung und der Armee gegen die nomadischen Tuareg im Norden des Sahara-Landes von „Völkermord“. Sie berichten von Massakern, Folterungen und Vergewaltigungen. Auch im benachbarten Mali ist die Welt der „Ritter der Wüste“ schon lange nicht mehr in Ordnung. Die malische Regierung hat über die Regionen von Gao und Timbuktu — die gesamte nördliche Hälfte des Landes — den Ausnahmezustand und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Während uns die Tuareg allenfals als exotische — und fotogene — „Ritter der Wüste“ bekannt sind, die mit ihren Kamelen von einer Weide zur nächsten ziehen, spielt sich weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit in den Sahara-Regionen Nigers und Mali ein Drama ab. Die Ursachen dafür sind in den Sahel-Dürren der 70er und 80er Jahre zu finden, die aus den Tuareg-Nomaden Flüchtlinge machte. Früher waren die „Freien Männer“, wie sie sich selbst nennen, als Krieger, Räuber und Sklavenhändler gefürchtet und von vielen auch gehaßt. Die französische Kolonialmacht beraubte sie der Kontrolle über den Transsaharahandel, den sie jahrhundertelang kontrollierten. Mit der Entkolonialisierung wurden die Tuareg zudem auf die jeweiligen nationalen Territorien beschränkt und durch bürokratische Kontrollen in ihren Weidewanderungen behindert; hohe Zollabgaben erschwerten den ehemals weitreichenden Karawanenhandel immer mehr. Schon zu Anfang der 60er Jahre kam es deshalb zu einer zweijährigen Rebellion der Tuareg in Mali, unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Landes. Die damalige „sozialistische“ Regierung von Modibo Keita konnte den Aufstand in der Wüste blutig unterdrücken.

Infolge den großen Dürren der 70er Jahre schließlich flohen viele Tuaregfamilien, die ihre Tiere verloren hatten, an den Rand der Städte im Süden Malis und Nigers, wo sie von der internationalen Nahrungshilfe leben mußten. Seit dieser Zeit bestehen mitten in der Sahara, im Niemandsland zwischen Algerien, Mali und Niger, große Flüchtlingslager, in denen Tausende zum Nichtstun verurteilt auf ihre tägliche Lebensmittelration warten. Wieder andere zogen in die Städte des algerischen und libyschen Südens und suchten dort ihr Auskommen als Gelegenheitsarbeiter.

Algerien versucht schon seit Mitte der 80er, diese Dürreflüchtlinge loszuwerden. Als Grund werden die eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten angegeben, vor allem aber soll der Schmuggel subventionierter Grundnahrungsmittel aus Algerien in die südlichen Anrainerstaaten gestoppt werden. Zunächst fing die algerische Polizei die illegalen Wanderarbeiter ab, fuhr sie auf LKWs über die Grenze und setzte sie in der Wüste ab. Nach internationalen Protesten gegen diese Praxis sollten in diesem Jahr Auffangstrukturen für die Rückkehrer in ihren Heimatländern Niger und Mali geschaffen werden. Mit Hilfe der UNO und des Roten Kreuzes sollten Zelte und Lebensmittel bereitgestellt, Brunnen gebohrt und Tiere verteilt werden. Viele Tuareg folgten dem Ruf ihrer Regierungen, allein nach Niger sollen dieses Jahr 18.000 zurückgekehrt sein. Tatsächlich fanden die Rückkehrer aber wenig Hilfe: Gelder wurden veruntreut, bereitgestellte Zelte wurden auf dem Markt der Hauptstadt Niamey zum Kauf angeboten.

Im Frühjahr kam es daher in Niger zu Protesten der zurückgekehrten Tuareg, auf die die Behörden mit harter Hand reagierten: 380 namentlich bekannte, möglicherweise jedoch weit mehr Tuareg wurden verhaftet, zum Teil auch gefoltert. Nach Angaben der nigerischen Regierung soll eine Gruppe von ihnen einen Aufstand vorbereitet und unter andererm geplant haben, die Uranminen von Arlit in die Luft zu sprengen — hier werden Ängste wach, die Nomaden könnten von Gaddafi als „islamische Kolonne“ zur Destabilisierung der Sahel- Staaten eingesetzt werden.

In der Nacht vom 7. zum 8.Mai — so die nigerische Regierung — versuchte eine Gruppe von Tuareg, Verhaftete aus dem Gefängnis von Tchin- Tabaraden im Nordwesten von Niger zu befreien; dabei kam es zu Toten und Verletzten. Die Tuareg selber stellen die Sache anders dar: sie hätten ihren Verwandten im Gefängnis Essen bringen wollen, es sei zu einem Handgemenge gekommen, bei dem ein Gendarm erschossen worden sei. Die herbeigerückte Armee habe bei ihrer Suche nach den Angreifern ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung der Umgebung angerichtet. Der Pariser 'Monde‘ berichtete am 15.Juni von mehreren hundert Toten.

Nach diesen Ereignissen flohen viele Tuareg aus Niger: einige gingen zurück nach Algerien, andere flüchteten nach Mali. Von diesen wurden etwa zehn im Gefängnis von Menaka um Osten Malis eingesperrt. Ende Juni beschaffte sich eine Gruppe von Tuareg Waffen bei einem Militärposten und Fahrzeuge bei einer Entwicklungshilfsorganisation und besetzte den Ort.

Seither häufen sich militärische Aktionen organisierter und bewaffneter Tuareg-Gruppen, die inzwischen auch von amnesty international bestätigt und von Augenzeugen ausführlich dokumentiert wurden. In Niger starben bisher nach einigen Angaben zwischen 200 und 600 Menschen; nach Berichten einer französischen Ethnologin, die kürzlich die Region bereiste, sollen es sogar bis zu 1.700 sein. Die Bilanz der Auseinandersetzungen in Mali soll sich auf 155 Tote auf Seiten der Armee und 125 auf Seiten der Zivilbevölkerung belaufen; Verluste der Rebellen sind in diesen Zahlen nicht enthalten.

In ihrem Guerillakrieg wenden die Tuareg traditionelle Listen des Wüstenkrieges an: Sie umwickeln Steine mit Turbanen und plazieren sie auf Dünenkämmen, um herbeirückende Armee-Einheiten zu täuschen. Bei einem dieser Hinterhalte mußte die malische Armee nach offiziellen Angaben den Verlust von hundert Soldaten und mehreren Schützenpanzern beklagen. Der seither verhängte Ausnahmezustand im Norden Malis reflektiert die zunehmende Schärfe der Auseinandersetzungen.

Die internationale Aufmerksamkeit für die Zustände in der Wüste wächst nur langsam. In Mali werden Ausländer werden vor dem Betreten der Regionen Gao und Timbuktu gewarnt, seitdem drei Leichen einer französischen Familie nur 60 Kilometer nördlich von Gao gefunden wurden. Ein französischer Tourist berichtete unlängst von öffentlichen Hinrichtungen, die er in Gao erlebte: elf verhaftete Tuareg wurden erschossen, ein Panzer soll über die Leichen gerollt sein und sie zerstückelt haben. Die Leichenteile seien dann vor die Häuser der noch in der Stadt lebenden Tuareg geworfen worden. „Auf alle Tuareg wird geschossen“, berichtet ein noch in Mali lebender Tuareg. „Die Armee hat die Kontrolle über sich selber verloren. Sie hat ganze Familien lebend verbrannt.“

Währenddessen geht weiterhin bundesdeutsche Militärhilfe an die Armee von Niger: Auf eine „Kleine Anfrage“ der Grünen im Bundestag antwortete die Bundesregierung am 31.Juli, es würden „keine Waffen oder Rüstungsgüter an den Niger geliefert“, Hilfe erfolge nur in Form von „Ausbildung und Ausstattung der nigrischen Armee für den Bau von Straßen, Brücken, Flugzeugen und andere Vorhaben der staatlichen Infrastruktur... Es ist nicht beabsichtigt, die Ausstattungshilfe an den Niger einzustellen“.

Die Regierungen der Region beginnen nun, ihre Aktivitäten gegen die Tuareg zu koordinieren. Zum ersten Mal trafen sich am vergangenen Wochenende im südalgerischen Dhanet die Staatschefs von Algerien, Libyen, Mali und Niger, um — so das algerische Fernsehen — über „eine Strategie zur Entwicklung der Grenzregionen“ zu beraten. Am Montag meldete die algerische Nachrichtenagentur, die Präsidenten Chadli, Gaddafi, Traore und Saibou hätten sich darauf verständigt, die „notwendigen Anstrengungen“ zu unternehmen, um die Grenzen zwischen ihren Ländern zu kontrollieren und den Kampf gegen „illegale Einwanderer“ zu verschärfen.

Wie könnte das aussehen? Zumindest die Regierung Malis zielt darauf, die Tuareg in Städten und Dörfern anzusiedeln, um sie besser kontrollieren zu können. Nach unbestätigten Angaben von in Algerien lebenden Flüchtlingen soll seit kurzem ein Präsidialdekret in Kraft sein, wonach nach Ablaufen einer Frist alle Gebiete, in denen sich noch Nomaden befinden, zu Unruhegebieten erklärt werden können. Dies würde der Armee freie Hand geben, offensiv gegen die Rebellen vorzugehen, wie es auch in Niger geschieht. Die Zivilisation der Tuareg wäre damit der endgültigen Auslöschung nahe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen