Wenn die Ameisen vor Wut zerplatzen

■ Die Vielgestaltigkeit des Zusammenlebens zwischen Pflanzen und Ameisen — Eine Ausstellung im Frankfurter „Palmengarten“

Sie kriechen müde vor sich hin und verspritzen bei Gefahr eine besonders hochkonzentriert ätzende Säure. Es sind malaisische Ameisen, die den Frankfurter „Palmengarten“ bevölkern, jedenfalls den ersten Schaukasten einer Ausstellung über die sechsbeinigen, staatenbildenden Krabbeltiere.

Auch das, was afrikanische KollegInnen von sich geben, hat sich für Mensch und Tier als ausgesprochen schmerzhaft erwiesen. Die Ameisen tun das nicht ohne Grund. Spezialthema der Ausstellung ist die „faszinierende und kaum glaubliche Vielgestaltigkeit des Zusammenlebens von Ameise und Pflanze“.

Die besonders große afrikanische Ätzerin der Gattung Pachysima bewohnt mit ihrem Völkchen ausschließlich zwei Baumsorten. Ihr Stich schreckt blätterrupfendes Großwild ebenso ab wie Menschen, die auf die Idee kommen, einen solchen Baum etwa roden zu wollen. Die Ameisen und die Pflanzen haben also eine Schutz- und Trutzgemeinschaft gebildet.

Sie bieten den Ameisen im Gegenzug dafür, daß diese Feinde abschrecken, pflanzliche und tierische Parasiten vertilgen oder auch nur die Samen „ihrer“ Pflanze verbreiten, allerlei. Sie bauen den Ameisen Wohnungen in vielgestaltiger Form. Die Ameisenakazie schafft Platz in ihren hohlen Stacheln, andere bilden Kammern in Knollen, Blattstielen, Stämmen.

Manche produzieren sogar für ihre Wächterkolonien außer den für ihre eigene Vermehrung notwendigen Blüten und Samen eine gesonderte Ameisenkost in Form von sogenannten Nektarien, nachgerade kleinen Honigtöpfchen, und Fraßkörpern, einer hochwertigen Eiweiß- und Kohlenhydratediät. Eben deshalb heißen sie Ameisenpflanzen oder, unter Fachleuten, Myrmekophyten (griech.: myrmex = Ameise, phyton = Pflanze).

Richtig sympathisch werden die Krabbler der Betrachterin vor Schautafeln mit so schönen Sätzen wie dem über die Bulldoggenameise: „Männchen treten nur zeitweilig auf.“ Oder nebenan: „Eine Arbeiterin einer tropischen Roßameise trägt ein Männchen zum neuen Nest.“

Die „kaum glaubliche Vielgestaltigkeit“ ergibt sich schon aus der Anzahl der rund 15.000 verschiedenen Arten, die nicht nur in der Marmelade auf dem Campingplatz herumkrabbeln — nur die Arktis ist ameisenfrei. Und sie tun das, wie Funde im Ölschiefer der Grube Messel belegen, seit über 40 Millionen Jahren. Damals allerdings brachten sie es noch auf die stolze Größe von sieben Zentimetern.

Die Varietäten haben so beruhigend zuverlässige Mundwerkzeuge wie Schnappfallen-, Säbel- und Pinzettenkiefer. Mit denen gehen sie auch untereinander nicht zimperlich um. Da ist zum Beispiel der Sklavenraubzug der Knotenameisen zu sehen. Die ganze Bande zieht mit Arbeiterinnen und SoldatInnen aus, überfällt ein Nachbarvolk und klaut die Brut. Die wird dann herangezogen und zur Sklavenfron eingesetzt.

Treiberameisen jagen in breiter Front. Ein besonders hinterhältiges Tier ist die „sozialparasitäre Schuppenameise“. Sie nistet sich in fremden Bauten ein, krabbelt unter die viel größere Königin und tötet sie „durch langsamen Kehlbiß“. Deren eigenes Volk füttert dann die Brut des Eindringlings groß und wird nach und nach von dieser verdrängt.

Ihren Meister finden die Ameisen in einem dicken schwarzen Käfer mit schauspielerischen Qualitäten. Der Glanzkäfer hockt sich an die Ameisenstraßen und bettelt, ganz in der Gestik, mit der sich Ameisen durch Fühlerbewegungen und Laufschritte untereinander verständigen, um Futter. In einem der Schaukästen zerschnipseln Blattschneideameisen unermüdlich einen Strauß hellrosa Rosen in kleinste Fitzelchen. Sie fressen das Zeug nicht etwa, sondern schleppen es in ihren Bau, um darauf eine Pilzkultur zu züchten, von der sie sich ernähren.

Ameisen sind nicht nur artenreich und effizient. Sie sind auch kleine „chemische Fabriken“ mit einer Vielzahl von Drüsen, deren Sinn und Funktionsweise längst nicht umfassend erforscht ist. Bei einer asiatischen Sorte fanden sich 30 verschiedene Hauptdrüsen. Sie stellen in ihren Körpern die verschiedensten Duftstoffe her. Manche davon dienen als Duftspuren, manche signalisieren eine Beute, manche sind einfach Stallgeruch, Nährsekret, Alarmsignal, reinster Speed bei Gefahr und Kampfmittel gegen Feinde. Dann verwandeln sich die Tiere in regelrechte „chemische Keulen“. Die meisten Arten haben ihren ursprünglichen Giftstachel in flächendeckendere Sprühdosen umgewandelt. Damit kleben, leimen, lähmen und töten sie ihre Angreifer.

Manch eine schäumt regelrecht vor Wut. Am radikalsten sind die Arbeiterinnen einiger südostasiatischer Camponotus-Arten. Sie lassen sich einfach zerplatzen und überschwemmen ihre Feinde dabei mit einer Giftbrühe. Da ist eine Eigenart lateinamerikanischer Ameisen doch wesentlich sympathischer. Sie legen in den Gipfeln der Bäume Gärten an, indem sie die Samen verschiedener Pflanzen regelrecht „aussäen“ und dann zwischen ihnen nisten.

Die Aussteller wenden sich folgerichtig gegen die Zerstörung der tropischen Regenwälder. Ameisenpflanzen sind „in ihrer höchsten Ausbildung tropische Wundergeschöpfe, die mehr sind als Tiere und Pflanzen, Symbiosewesen, total aneinander angepaßt und allein nicht lebensfähig“, schreibt Ulrich Maschwitz in seiner Einführung in einer Begleitbroschüre der Ausstellung, die noch bis zum 16.September zu sehen ist. Heide Platen