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„Alle wissen, schuld sind die Amerikaner“

Trotz erster Versorgungsengpässe steht die Bevölkerung in Bagdad weiterhin zum Regime/ Noch sind allerdings die Auswirkungen des Boykotts kaum zu spüren/ Eigene Landwirtschaft soll verstärkt produzieren  ■ Von Thomas Dreger

Bagdad (taz) — Der amerikanische Fernsehkorrespondent ist genervt. Einen Vormittag lang ist er mit seinem Team und einem Führer des irakischen Informationsministeriums durch die Märkte Bagdads gestiefelt, immer auf der Suche nach den Auswirkungen der Blockade. Das Ergebnis seiner Recherchen ist sichtlich unbefriedigend. Die Antworten, die er von Bagdader Bürgern erhält, ähneln sich alle: „Es gibt jetzt weniger Gemüse, aber es ist noch genug zu essen da. Ein Süßwarenhändler sagt, daß es auf dem Markt bald keine ausländischen Produkte mehr gebe, „dann verkaufe ich halt nur noch einheimische Süßwaren. Eines aber wird von fast allen Passanten entrüstet erklärt: „Es gibt nicht genug Milch für die Kinder. Die Amerikaner schneiden unseren Kindern die Milchzufuhr ab. Wir Erwachsenen können schon irgendwie mit der Blockade leben, aber die Kinder brauchen die Milch zum Überleben!“

Auf den ersten Blick merkt man in Bagdad wenig von einer Lebensmittelknappheit. Einige Geschäfte sind sogar voller als vor zwei Monaten. Auf den Märkten liegen große Haufen von Wassermelonen, Äpfeln und Südfrüchten. Ein Verkäufer auf dem Markt ist allerdings skeptisch, wie lange die Lage so bleiben wird: „Im Moment gibt es mehr Obst und Gemüse als vor der Blockade, aber das liegt daran, daß Ernte ist. Ich weiß nicht, wie es hier in einem Monat aussieht.“

Bemerkbar macht sich die Blockade zunächst vor allem bei den Preisen. Manche Produkte sind bis zu 60 Prozent teurer geworden. Den Rekord in Sachen Preissteigerung hält Zucker. Vor der Blockade kostete das Kilo 0,150 Dinar, jetzt müssen Iraker dafür 3 Dinar bezahlen. Die irakische Regierung versucht, dem Problem durch eine geregelte Verteilung zu begegnen. Seit dem 15.September gibt es einige Waren nur noch gegen Bezugsschein: Sechs Kilo Mehl bekommen die Iraker pro Monat, 1,5kg Reis, 1 kg Zucker, 100 Gramm Tee, 1/2 Kilo Öl, 3 Packungen Babymilch und ein Stück Seife. Einen optischen Eindruck von der Krise vermitteln die Warteschlangen vor den Brotbäckereien. In zwei geordneten Reihen — eine für Frauen, eine für Männer — stehen Irakerinnen und Iraker um das Grundnahrungsmittel Brot an. „Samun“ nennen sie die kleinen, rautenförmigen Brote, von denen jedes etwa den Sättigungswert von eineinhalb deutschen Brötchen hat. Drei Stück davon darf jeder Iraker pro Tag kaufen.

Ein Bäcker erklärt, daß seine Kunden zur Zeit etwas über eine Stunde anstehen müssen. Dennoch komme kein Ärger auf: „Die Leute warten geduldig auf ihr Brot. Sie wissen, daß die Amerikaner schuld sind an der Knappheit, nicht ich.“ Während Brot knapp ist, gibt es in großen Mengen Fleisch und Geflügel. Diese Kombination führt teilweise zu absurden Situationen. Ein Hamburger- Verkäufer kann nicht mehr verkaufen, obwohl er noch genügend Hackfleisch hat. Ihm fehlen die Brötchen, die die Frikadellen zum Burger machen. Ähnliche Probleme haben Schawarma- und Falafel-Verkäufer. Schawarma, das irakische Döner Kebab, und die aus Kichererbsen hergestellten Falafel-Kugeln werden normalerweise in einem aufgeschlitzten Samun-Stück serviert und auf der Straße gegessen.

Ein libanesischer Besitzer eines Mittelklasserestaurants sieht allerdings durch die Blockade seine Existenz gefährdet. Die irakische Regierung hat angeordnet, daß nur noch die kleinen Straßenrestaurants und die großen Hotels vollständige Mahlzeiten servieren dürfen. Die einen für Ausländer, Journalisten und reiche Iraker, die anderen für das einfache Volk.

Im irakischen Fernsehen laufen seit Wochen Spots, die zu Sparsamkeit und möglichst intensiver Ausnutzung der Landwirtschaft aufrufen. Bauern sind zum Teil vom Militärdienst freigestellt. Ähnlich dem antiken Mesopotamien soll der moderne Irak weitestgehend landwirtschaftlich autark werden — ob das in dem Wüstenstaat möglich ist?

Das amerikanische Fernsehteam hat sich auf dem Land umgeschaut. „Wir leben von Öl und Industrie, aber zuallererst kommt die Landwirtschaft. In kurzer Zeit werden wir von der Außenwelt unabhängig sein“, erklärt ein Bauer den staunenden Journalisten, und eine Frau, die gerade bei der Feldarbeit ist, sagt mit trotzigem Blick in die Kamera: „Ich arbeite sieben Stunden auf dem Feld und sechs Stunden zu Hause bei der Familie, aber wenn es sein muß, werde ich noch mehr arbeiten.“

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