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Traue nicht den Danaern...

■ Katzenjammer in Athen nach der Entscheidung des IOC, die Olympischen Spiele 1996 nach Atlanta zu vergeben/ Während Georgias Hauptstadt frohlockt, rüsten die Unterlegenen für das Jahr 2000

Berlin (taz) — Die griechische Kirche mag ja noch so orthodox sein, aber mit dem Glockenläuten hat sie nicht die mindesten Probleme. Überall im Lande standen am Mittwoch nachmittag die Küster bereit, um bei der sichergeglaubten Nachricht von der Vergabe der Olympischen Spiele 1996 nach Athen auf der Stelle in wüstes Gebammel auszubrechen. Um so größer war die Enttäuschung, als der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Juan Antonio Samaranch bei der Verkündigung des Siegers den verhaßten Namen „Atlanta“ aussprach.

Der „Geist der Olympischen Spiele“ sei verflogen, zürnte ein aufgebrachter Radioreporter, es würde auf allen olympischen Traditionen herumgetrampelt. Ex-Monarch Konstantin, für den das Sportspektakel ein Sprungbrett zum Königsthron sein sollte, war „tief enttäuscht“, entdeckte aber überraschend sein Herz für die Demokratie: „Wir müssen uns der demokratischen Entscheidungsfindung beugen.“ Gefaßt zeigte sich auch das griechische IOC- Mitglied Nikos Filaretos, der Atlanta gratulierte und die Unterstützung Griechenlands zusagte.

Damit wird einer ganz sicher nicht einverstanden sein: Spyros Metaxas, der Vorsitzende des Athener Bewerbungskomitees. Dem Brandy-König warfen IOC-Mitglieder vor, daß er sich vor der Entscheidung „regelverletzend“ verhalten, dadurch die Olympier gegen sich aufgebracht und damit die Niederlage Athens besiegelt habe. Metaxa soll Samaranch sogar damit gedroht haben, im Falle eines Mißerfolgs das olympische Feuer nicht herauszugeben, das im antiken Olympia gehütet wird.

„Traue nicht den Danaern, wenn sie mit Geschenken kommen“, dachten sich also beim fünften Abstimmungsdurchgang, als es zwischen Athen und Atlanta um die Wurst ging, 51 IOC-Mitglieder und votierten für die Amerikaner, während Athen nur 35 Stimmen erhielt — ein Sieg des Geldes über die Tradition. Während Athen außer dem 100jährigen Jubiläum der neuzeitlichen Spiele, die 1896 just dort aus der Wiege gehoben wurden, nur Unwägbarkeiten und die Opposition von Ökologen und Städteplanern zu bieten hatte, winkte Atlanta mit den Dollars von Coca-Cola, das seinen Hauptsitz in der Hauptstadt Georgias hat, mächtigen Sponsoren und gewaltigen Fernseheinnahmen. Auch Infrastruktur und Sportstätten existieren bereits zum großen Teil, nur ein Olympiastadion, ein Schwimm- und ein Radsportkomplex fehlen noch.

Obwohl Fachleute versuchten, die Euphorie zu dämpfen und prophezeiten, daß die Stadt gerade mal ohne Verlust über die olympischen Runden kommen werde und keineswegs mit solch horrenden Gewinnen wie Los Angeles 1984 rechnen kann, war die Begeisterung fast ungeteilt. Nur wenige Bewohner murrten, daß man das Geld in der Stadt mit einer der höchsten Kriminalitätsraten der USA doch lieber für soziale Projekte und die Sanierung heruntergekommener Wohngebiete verwenden sollte.

Der Rest feierte bei Sekt und Feuerwerk den Triumph, um den sich vor allem Ex-Bürgermeister Andrew Young verdient gemacht hatte. Der frühere UN-Delegierte hatte, um der Häme aus Athen einen Riegel vorzuschieben, ebenfalls einen „Geist“ beschworen, und zwar den des ehemaligen Atlanta—Bürgers Martin Luther King. Young schreckte nicht einmal davor zurück, die 2,7 Millionen Stadt, einst im amerikanischen Bürgerkrieg immerhin Zentrale der Sklavenhalter-Armee aus dem Süden, als „Hauptstadt der Menschenrechte“ anzupreisen.

Den Ausschlag gaben aber wohl doch die Dollars. Kostbare Geschenke für die einzelnen IOC-Mitglieder sind mittlerweile an der Tagesordnung, sollen allerdings künftig vom IOC auf den Wert von 200 Dollar pro Präsent beschränkt werden. Die Zuwendungen haben sich Gerüchten zufolge jedoch nicht darauf beschränkt. Rund 200.000 Dollar soll eine IOC-Stimme bei der Bewerbung 1996 gekostet haben, wurde in Tokio gemunkelt. „Wir sind kein CIA oder FBI“, sagte IOC-Generaldirektor Carrard zu diesem Thema mit einer gewissen Hilflosigkeit.

Die Entscheidung von Tokio erfreute aber nicht nur Atlanta, sondern insbesondere auch Berlin, das sich nun gestiegene Chancen für die Spiele des Jahres 2000 ausrechnet. Ein Problem dabei hat allerdings schon Manfred von Richthofen, Präsident des Landessportbundes Berlin, scharfsichtig erkannt: „Berlin wird sich an Atlanta messen lassen müssen.“ Und Andrew Young hat immerhin angekündigt, daß seine Stadt „die größten Spiele in der olympischen Bewegung“ ausrichten werde. Gigantomanie ist also auch für die Zukunft vorprogrammiert, und es ist kein Wunder, daß angesichts der sportstättenmäßig desolaten Situation Berlins, auch die anderen, gescheiterten Bewerber keineswegs klein beigeben wollen.

Für die Engländer, deren Kandidat Manchester im zweiten Durchgang scheiterte, möchte Olympiasieger Sebastian Coe, mittlerweile konservativer Politiker, am liebsten London ins Rennen schicken; und Australiens Premierminister Bob Hawke, der extra nach Tokio gereist war, um die Kandidatur Melbournes zu unterstützen, hat als ernstzunehmenden Rivalen für Olympia 2000 lediglich Peking auf der Rechnung. Er wisse jedoch, so Hawke, „aus sicherer Quelle“, daß Melbourne diese Spiele schon so gut wie in der Tasche habe.

Athen indes will sich erst im Jahre 2096 wieder bewerben. Matti Lieske

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