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Der „Schupo“ als Polizist der 90er Jahre

Grüne fordern eine Diskussion zur Neubestimmung polizeilicher Aufgaben, Strukturen und Befugnisse/ Nach zwanzig Jahren Aufrüstung der Polizei ist die Frage nach dem Erfolg dieses Konzepts überfällig/ Zurück zu dezentralen Strukturen  ■ Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) — Am 4. Oktober wächst auch zusammen, was nicht zusammengehört: Die bundesdeutsche beziehungsweise Westberliner Polizei wird sich mit dem Problem konfrontiert sehen, Tausende bisherige Volkspolizisten in ihre Reihen zu integrieren. Im Gegensatz zur Armee, die auf äußeren Druck erheblich reduziert wird, kann die Polizei auf satte Zuwachsraten setzen. Spätestens aus diesem Anlaß drängen die Grünen nun auf eine generelle Überprüfung der bisherigen polizeilichen Arbeit in der Bundesrepublik, mit dem Ziel, die vielbeschworene demokratische Polizei tatsächlich an diesem Anspruch gemessen zu organisieren.

Gestern präsentierte in Berlin eine Autorengruppe eine Vorlage für die Bundestagsfraktion der Grünen, in der die Polizeiarbeit der letzten 20 Jahre einer kritischen Würdigung unterzogen wird und Grundzüge einer durchgreifenden Polizeireform entwickelt werden. Im Gegensatz zum radikalen Flügel der Partei, der nach wie vor von der polizeilosen Gesellschaft träumt, sind sich die Autoren um Wolf-Dieter Narr und aus der Redaktion der Fachzeitschrift 'CILIP‘ durchaus der Notwendigkeit einer staatlichen Zwangsinstanz bewußt. „Auch eine Reform der Politik der sog. inneren Sicherheit muß anerkennen, daß unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen auf eine gesellschaftliche Zwangsinstanz, die physische Gewaltsamkeit monopolisiert, nicht verzichtet werden kann.“ Übersehen werden darf dabei allerdings nicht, „daß die Instrumente der Sicherung häufig zu neuen Quellen der Gefährdung wurden“. Diese Gefahr zu minimieren ist der Anspruch, an dem die Arbeit der Polizei gemessen wird und an dem sich die zukünftige Organisation orientieren soll.

Ihr Hauptaugenmerk legen die Autoren dabei auf die sukzessive Ausdehnung polizeilicher Aufgaben in den letzten Jahrzehnten, durch die scheinbar Probleme gelöst, tatsächlich jedoch nur politisches oder soziales Versagen auf die Polizei geschoben wurde. Dies steht in krassem Widerspruch zu dem, was die Polizei tatsächlich leisten kann, denn: „sie kann keine Probleme lösen, sondern nur bestimmte Handlungen durch ihren gewaltsamen Eingriff aktuell unterbinden. Ihr Handeln bleibt damit immer ursachenabstrakt“. Fazit dieser Rahmenbestimmung: Je mehr sich die Polizei von der Abwehr konkreter Gefahren entfernt und vorbeugende Verbrechensbekämpfung als Ersatz für die Regulierung sozialer Probleme leisten soll, „desto mehr wird sie selbst zum Sicherheitsproblem“.

Entlang dieser Maxime orientieren sich die Vorschläge zur Demokratisierung des Polizeiapparats. Die Polizeireform der 70 Jahre, hauptsächlich durch die SPD betrieben, hat die Zentralstellen, wie beispielsweise das BKA, entscheidend gestärkt. Das Ergebnis ist eine Polizei, die sich immer weiter als autonom gegenüber der Gesellschaft versteht. Diesen Trend gelte es umzukehren. Ziel sei es, eine Polizei zu schaffen, die es zuläßt, daß ihre Aufgaben und Funktionen außer durch abstrakte Rechtssätze auch durch gesellschaftliche Mitentscheidungen auf lokaler Ebene definiert werden. Dies sei nur durch eine weitestgehende Dezentralisierung des Apparats zu erreichen. Voraussetzung ist eine Besinnung auf die eigentliche Funktion der Polizei, dem Bürger zur Verfügung zu stehen und bei alltäglichen Straftaten und lokalen Konflikten tätig zu werden. Konkret bedeutet dies die Wiederherstellung kleiner, ortsnaher Reviere, gekoppelt mit einer Stärkung des einzelnen „Schupo“ im Außendienst. Denn, so die Autoren, trotz ausufernden kriminalistischen Spezialistentums hängt der polizeiliche Aufklärungserfolg auch heute noch zu über 90Prozent von den Informationen der Opfer und Zeugen ab.

Auf der anderen Seite gelte es überall dort, wo die Polizei als Politikersatz auftritt, massiv abzurüsten. Dazu gehört die Entrümpelung des Strafrechts mit dem Ziel der konsequenten Rehabilitierung der Begriffe der konkreten Gefahr und des konkreten Strafverdachts als einzig legitime Voraussetzung für polizeiliche Eingriffe. Statt kasernierter Polizei, den gesichtslosen Hundertschaften des kleinen Bürgerkriegs, schlagen die Autoren vor, zu einem traditionellen Mechanismus der Polizei zurückzukehren. Bei Bedarf gibt es Alarmpläne, nach denen Alarmhundertschaften aus dem polizeilichen Einzeldienst gebildet werden können. Dieses Polizeiverständnis müsse bereits mit der Ausbildung anfangen. Die Ghettoisierung und Abschottung von der Gesellschaft in der polizeilichen Ausbildung sei abzuschaffen, die Kasernierung der Polizei ganz aufzuheben. Der gehobene Polizeidienst kann dann an normalen Fachhochschulen oder Universitäten absolviert werden. Wie sonst sollte eine Reintegration der Polizei in die Gesellschaft möglich sein?

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