: Die Linke und der Sozialstaat
■ Die Linke Liste/PDS fand eine Kompromißformel zum Kapitalismus
Es war eine schwere, anstrengende Geburt. Nun ist das Kind da, nicht perfekt, aber die Eltern mögen es: Das Wahlprogramm der Linken Liste/PDS, im Grundsatz schon auf dem Berliner Kongreß vor einer Woche verabschiedet, wurde in den letzten Tagen endgültig formuliert. Kein vergnüglicher Lesestoff, aber doch lohnend für diejenigen, die über die Absichten und den Stand der Selbstreflexion dieser neuen Formation mehr wissen möchten.
Im ersten Entwurf wollte die Linke Liste/PDS (LL/PDS) noch an „den in der Bundesrepublik erkämpften sozialstaatlichen Kompromiß kritisch anknüpfen“. Sozialstaatlicher Kompromiß im Kapitalismus? Die Formulierung versetzt die westdeutsche Linke, zumal deren ökosozialistische Vertreter, regelmäßig in höchste Alarmbereitschaft, signalisiert sie doch eine schlimme sozialdemokratische Infektion.
Kein Wunder also, daß der Hamburger Christian Schmidt, früher selbst SPD-Mitglied, dann im Bundesvorstand der Grünen gegen den sozialdemokratischen Sumpf kämpfend und jetzt eine neue Heimat suchend, eine „Globalalternative“ formulierte: „Ohne soziales Eigentum an Produktionsmitteln, ohne Demokratie in Betrieben und Verwaltungen kann es keine grundlegende Beseitigung“ von Armut, Massenarbeitslosigkeit und globaler Umweltzerstörung geben. Warum im Schmidt-Papier vom „sozialstaatlichen Kompromiß“ nicht mehr die Rede war, hat niemand besser als Jutta Ditfurth, einstige Weggefährtin von Schmidt, in ihrer Gastrede auf dem Berliner Programmkongreß auf den Punkt gebracht. Dem ursprünglichen Entwurf hielt sie eine „Fehleinschätzung“ der BRD- Wirklichkeit vor: „Es gibt keinen ,sozialstaatlichen Kompromiß‘, an den eine Linke Liste/PDS anknüpfen könnte. Eine linke Liste, die die Ideologie von der Sozialpartnerschaft neu auflegt ... wäre keine linke Liste. Kapital und Arbeit sind im Kapitalismus nicht zu versöhnen, und der dringende Wunsch, das so sehen zu können, treibt — ob mensch will oder nicht — perspektivisch nach rechts.“
Die „soziale Marktwirtschaft“, so formulierten Ost- und West-Linke gemeinsam in einem Kompromißentwurf, „ist weder sozial noch trägt sie den ökologischen Verbesserungsnotwendigkeiten Rechnung“. Doch dieser Kompromiß war keiner, jedenfalls nicht für die Linkssozialisten im Bündnis, vor allem aus dem Umfeld der „sozialistischen Studiengruppen“ (SOST). Gregor Gysi selbst — das Scheitern des Bündnisses vor Augen — sprang den Bedrängten bei. Für eine Stunde wurde der Kongreß unterbrochen, dann stand der neue Kompromiß: „Auch die sogenannte ,soziale Marktwirtschaft‘ ist für viele Menschen nicht oder nicht ausreichend sozial; sie trägt den ökologischen Notwendigkeiten nicht angemessen Rechnung. Der nur durch massive Kämpfe der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung erreichte ,sozialstaatliche Kompromiß‘, den Teile von uns kritisch als Ausgangspunkt unserer Bemühungen sehen, ist ständig in Gefahr, abgebaut zu werden. Die Linke Liste/PDS stellt sich dieser Tendenz entgegen. Wir verstehen uns als eine antikapitalistische Bewegung mit sozialistischen Zielsetzungen.“ Neben „von uns akzeptierten Formen privaten Eigentums“ wird „ein starker Sektor gesellschafteten Eigentums“ gefordert. Damit war der Berliner Friede wiederhergestellt.
Deltev Pracht, einst bei den Grünen im Koordinierungsausschuß des „Linken Forums“, sieht in der Formulierung „keinen Formelkompromiß, sondern eine wirklich tragfähige Basis für die Zukunft“.
Auch der Dissens über den zeitlichen Rahmen des Ausstieges aus der Atomenergie fand Eingang ins Wahlprogramm. Die einen fordern „sofortigen Ausstieg“, die anderen wollen einen „schrittweisen, sozial abgefederten“ Ausstiegspfad.
Aber daß die neue Partei nichts zum wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen sagt, also zu der Frage, ob die — wie auch immer verfaßten Einzelunternehmen — mittels eines Planes oder über den Markt koordiniert werden sollen, kann sie sich nur erlauben, weil sie sich geistig auf die Oppositionsrolle eingestellt hat. Kann sich ein sozialistischer Gestaltungsentwurf damit bescheiden? Walter Jakobs
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