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Hofstaat am Berge

Roche Solutré — der Fels in Frankreichs Staatsschauspiel/Bergpredigt zu Pfingsten, wenn der Präsident mitsamt Gefolge auf den Gipfel wandert/Mitterrands alte Résistance-Gefährten bleiben neuerdings zu Hause  ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk

Seit der Jungsteinzeit war auf dem Roche Solutré, jener 400 Meter hohen Erdbeule in Sichtweite der Autobahn bei Macon, nichts nennenswertes geschehen. Damals hatte, so entnehmen wir dem kleinen „Larousse“, die Technik des Feuersteinspitzens hier eine frühe Hochblüte erreicht, weshalb auch eine Periode des Jungpaläolithikums „Solutreen“ genannt werde.

Doch die Geschichte des Solutré als weltlich-heiliger Berg französischer Staatsinszenierung begann erst an jenem Tag unter der deutschen Besatzung, als sich — so die Legende — ein Widerstandskämpfer namens Francois Mitterrand vor seinen Häschern versteckte und feierlich gelobte, im Falle seiner Rettung jedes Jahr auf den Berg hinaufzupilgern. Mitterrands Versteck bei Burgunder Bauern erwies sich als unaufspürbar, und so trat der Solutré ein zweites Mal in die Historie des Homo sapiens:

Jeden Pfingstsonntag macht sich eine nach strengsten Kriterien auserwählte Gruppe aus Präsident (inklusiv Pilgerstab aus Apfelholz), Anverwandten, Kurtisanen und Hofberichterstattern auf den Weg in Richtung Solutré-Gipfel, und jeden Pfingstsonntag lauscht die Nation aufmerksam den „petites phrases“ ihres Chefs, jenen in ihrer Bedeutung der Bergpredigt vergleichbaren Sätzchen, mit denen die höfische Macht im fernen Paris angeblich neu verteilt wird.

So ist es kein Wunder, daß die Reihenfolge des Aufstiegs von der anwesenden Journaille mit derselben Aufmerksamkeit kolportiert wird, wie einst die Hofordnung des Sonnenkönigs vom Grafen Saint-Simon. Zunächst der Präsident, der den steilen Pfad zügig hinaufklettert wie in seinen besten Tagen und damit — Körper des Prinzen und Staatskörper in perfekter Symbiose! — die Gesundheit des Gemeinwesens symbolisiert. Dann die Familie und der innerste Zirkel der Getreuen, zu dem sich die Minister Jack Lang und Roland Dumas, Ex-Berater Attali sowie der schauspielernde Präsidenten- Schwager Roger Hanin zählen dürfen.

Die mit größter Delikatesse ausgeführten Rempeleien zwischen Lang und Attali um die Nähe zum präsidialen Ohr erlangten dabei legendären Ruhm. Zuletzt dann die Journalisten selbst, denen später am Fuße des Berges einiges in die Federn diktiert wird — heißt es doch, daß sich den Erdenbürgern Pfingsten der Heilige Geist offenbare. Die alten Résistance-Gefährten dagegen, die noch bis 1981 mitgeklettert sind, bleiben angesichts des Rummels inzwischen zu Hause.

Unter Kennern gilt es als ratsam, sich mittels botanischer Standardwerke auf etwaige Fragen des Pflanzenfreunds Mitterrand vorzubereiten, um sich etwa in der Bestimmung eines Lippenblütlers oder Frauenschuhs nicht bis auf die Socken zu blamieren. Der Präsident höchstselbst dagegen zeigte sich diesen Pfingstsonntag recht sauer darüber, daß seine meditative Pilgerei auf den Solutré zum Staatsakt ausgeartet sei. Ein Satz, der sogleich mit Sorgfalt gedeutet wurde: Sollte Mitterrand etwa amtsmüde sein?

Nichts ist unschuldig, alles ist Zeichen in einem Staat, der früher als andere zur Republik wurde und in dem vielleicht deswegen der höfischen Inszenierung von Politik mehr Wichtigkeit zugeschrieben wird als anderswo.

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