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ZWISCHEN DEN RILLEN VONELISABETHELEONOREBAUER

Manchmal hatten wir zuwenig davon, meistens eher zu viele, dann wieder ging der Text perdu oder die Musik reichte nicht aus, und es schien geboten, noch ein Schwänzlein hinten anzuhängen. Kurz: Oft genug wußten wir Deutschen nicht einmal, was wir überhaupt singen sollten. „Welche Hymne?“ fragen wir uns augenblicklich wieder einmal, fragte im Juni dieses Jahres auch die 'Zeit‘ — und an den vielerlei verschiedenen Antworten, die sie zusammentrug, läßt sich ermessen, wie groß die Konfusion selbst unter den Dichtern und Denkern in diesem unseren Lande ist, wenn es um die heikle Hymne geht. Dabei ist das Problem längst gelöst, die musikalische Wiedervereinigung der deutschen Nation hat ganz im Stillen schon stattgefunden. Hiermit sei der taz zuallererst und exklusiv angezeigt: DER DRITTE OKTOBER IN POP & CLASSIC. Eine Schallplatte der Spandauer Auvicom Verlag GmbH.

Da singen und spielen Rundfunkchor und -orchester aus Ost-Berlin, dem drohenden Ruin zum Trotze, noch einmal aus vollen Rohren. Da intoniert die Schlagersängerin Anke Lautenbach mit Inbrunst und großer Begleitung eine bislang unerhörte, die erste allgemein- und endgültige Nationalhymne. Sie fängt an mit Westmusik und Osttext und geht weiter mit Musik (Ost) und Text (West) — das Arrangement ist angefertigt worden von Dietmar Püschel, seines Zeichens Chef der Auvicom. Das Gute daran ist, daß uns die vertrauten Melodien wohl erhalten bleiben — der gemütvolle Haydn gleichwie der weihevolle Eisler —, daß aber die peinlichen Textpassagen — die großmannsüchtigen von Hoffmann von Fallersleben ebenso wie die kleinkarierten Bechers — umstandslos weggelassen sind. Vor allem aber kann nach dieser neuen Hymne unseren älteren Mitbürgern nicht mehr automatisch etwas wie die Fortsetzung des Horst-Wessel-Liedes in den Ohren hängen bleiben. Das neue Lied der Deutschen ist also rundherum auf der Höhe der Zeit. Ein echter Ohrwurm, oder, um es in Püschels eigenen Worten zu sagen: Das „schmust sich so richtig ein.“

taz: Wann und wie sind Sie auf die Idee gekommen, Herr Püschel?

Dietmar Püschel: Das war schon 1988, da hörte ich im Radio kurz nach 24 Uhr die Nationalhymne der DDR und gleichzeitig lief das Fernsehen, weil ich ein etwas medienüberfütterter Mensch bin. Da wurde die Nationalhymne der BRD abgespielt, und ich spürte, daß beide Melodien gewisse Gemeinsamkeiten haben. Ich habe dann mit befreundeten Künstlern eine Musterschallplatte gepreßt damals und an Erich Honecker geschickt.

Wie hat Honecker darauf reagiert?

Er selbst gar nicht, nur jemand mit unleserlicher Unterschrift aus der Dienststelle des Staatsrates, der teilte mir kurz und bündig mit, daß sie dieses Vorhaben nicht unterstützen wollen.

Was haben Sie dann mit der Musterschallplatte gemacht?

Gewartet auf den 9. November. Das mußte ja so kommen, das war doch ganz klar, nur eine Frage der Zeit.

Sicher. Wer zu früh kommt, der wird ja auch nicht immer gleich belohnt von der Geschichte. Sie haben bestimmte Textzeilen weggelassen in Ihrer Bearbeitung?

Wissen Sie, so eine Hymne ist etwas Überparteiliches. Die sollte doch von Sprache und Gefühl her alle Deutschen ansprechen. Und was glauben Sie, nutzt da etwa so eine Zeile wie die von Becher: „Wenn wir uns einen, schlagen wir des Volkes Feind“? Wo ist denn der Feind des Volkes? Da müßten wir uns ja wieder einen neuen backen?

Sie haben auch die Musik gekürzt, vor allem fehlt dieser herrliche B-Teil, der Marsch, den Eisler so hübsch in die Mitte der DDR- Hymne montiert hat. Warum?

Der fehlt doch gar nicht, den hat nur der Arrangeur so geschickt versteckt.

Am dritten Oktober vorm Reichstag werden die Politiker wieder die BRD-Hymne anstimmen, obgleich ja die offizielle Hymne der wiedervereinigten Deutschen von Amts wegen noch gar nicht festgelegt worden ist. Haben Sie Ihre Version schon eingereicht in Bonn?

Noch nicht. Das geht so auch nicht. Denn eine Hymne geht übers Gefühl. Die muß sich erst verankern und kann nicht von ein paar Politikern einfach beschlossen werden. Wir haben dieses Lied jetzt erstmal in die Welt gesetzt. Wenn es gefällt und auch gesungen wird — wir werden sehen. Schließlich: Wenn Politiker vernünftig sind, machen sie ja dann doch, was die Leute am liebsten wollen.

Was halten Sie von der Konkurrenz? Von der „Ode an die Freude“ zum Beispiel? Die ist ja immerhin von Beethoven.

Na ja. Daß die Menschen sich freuen sollen und immer nur freuen, und die Freude ist ein Gottesgeschenk, nicht wahr, das ist ja gut so, aber doch ein bißchen zu passiv. Das reicht mir nicht aus.

Herr Püschel, warum, glauben Sie, brauchen wir Deutschen überhaupt eine Nationalhymne?

Augenblicklich brauchen die Deutschen eine Nationalhymne, um auch gefühlsmäßig zusammenzufinden. Daß man auch das Positive sieht, daß man die anderen nicht diskriminiert. Und dazu gehört dann eben, daß man gemeinsam singt.

Für die neue Schallplatte wurden jetzt verschiedene Versionen eingespielt, eine Rock- und eine Swing-Version, kurz, mehrere Fassungen in englischer Sprache. Ist das ein Abschiedsgeschenk an unsere Besatzungsmächte?

Ach, Sie meinen, nach dem Motto: Good bye Jonny? Na ja, vielleicht ist das ja wirklich ein Geschenk an die befreundeten Mächte... Ich sehe das aber eher so: Die Epoche der Nationalstaaten, in der ja die meisten Nationalhymnen entstanden sind, ist vorbei. Wenn man heutzutage eine neue Nationalhymne macht, dann muß die schon ein bißchen international sein.

Herr Püschel, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Das Lied der Deutschen kostet inklusive musikalischer Rückschau mit insgesamt zehn Titeln als LP 15,—DM und als CD 20,—DM.

Es kann bestellt werden unter der Nr. AV 300/90 oder direkt bei Auvicom, Eiswerderstr.18, 1000 Berlin 15

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