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Wiedervereinigung auf Eis

■ Völlig unspektakulär hoben die Inuit von Alaska und Sibirien ihre Trennung auf

Endlich war es amtlich. Nach Jahrzehnten lähmenden Kalten Krieges durfte George Tagurnaaq seine Brüder und Schwestern im Osten besuchen — wiewohl dieser Osten für George und seine Leute eigentlich im Westen liegt. Unbeachtet, weil von den rasenden Entwicklungen im Ost-West-Verhältnis gänzlich überschattet, feierte sein Volk schon vor Wochen „Wiedervereinigung“. Es brauchte vor dem offiziellen Akt weder seine Regierung zu stürzen oder gar eine Mauer zu überwinden. Die Menschen des Landes „machten einfach rüber“, zu ihren Freunden und Verwandten auf der anderen Seite, so wie sie es über Jahrtausende getan hatten — sei es auch nur im Winter.

„Drüben“, das ist für die Inuit Sibirien, auf der anderen Seite der Beringstraße. Denn Georges Heimat ist Cape Prince of Wales, Alaska, eine „Eskimo“-Siedlung am arktischen Kreis und nur wenige Meilen vom sowjetischen Festland entfernt. Hoch oben am Eismeer, wo außer George und seinen Inuit nur noch Polarbären und Walrosse die Widrigkeiten des Klimas auf sich nehmen, versammelten sich in diesem Sommer die Blutsbrüder und —schwestern beider Seiten des arktischen Gewässers und feierten Wiedersehen.

Der Kalte Krieg war es, durch den die BewohnerInnen des alaskanischen Nordens auf Anordnung Washingtons getrennt wurden. Zunächst stellten die Behörden diesen Menschen, die seit Tausenden von Generationen den Polarbären über das Eis der Beringstraße nachgestellt und keinerlei Konzept von Grenzen hatten, Passierscheine für die Trips übers Eis aus. Anfang der Fünfziger dann konfrontierte die US-Regierung die Inuit mit dem ausdrücklichen Verbot, die Verwandten und Jagdgründe „drüben“ aufzusuchen. Radaranlagen, Satelliten und Jagdbomber waren die Gewähr dafür, daß nicht die flinken Schlittenhunde die installierten Frühwarnsysteme beider Supermächte durcheinanderbrachten. Mit der historischen „Öffnung nach Westen“ verfügte wieder einmal ein „großer weißer Vater“ im fernen Washington mit seinem Schriftzug, was ohnehin immer möglich war: Was zusammengehört, wird zusammenwachsen — so wie das erste Eis die Ströme der arktischen Gewässer zwischen Sibirien und Alaska zähmen wird. Henk Raijer/Gunda Schwantje

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