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„Man spürt stärker, daß man unerwünscht ist“

■ Für die rund fünf Millionen AusländerInnen in der BRD ist der 3.Oktober alles andere als ein Feiertag/ Sie bleiben bei der Wiedervereinigung auf der Strecke/ Sorge um Arbeitsplatz und Wohnung/ Angst vor einem neudeutschen Nationalismus und der Welle von Fremdenhaß aus der DDR

Der 19jährige Kemal bringt es auf die einfachste Formel: „Eine schöne Scheiße ist das, das Ding mit der Wiedervereinigung!“ Sicher, daß „die drüben nun auch Freiheit haben“, finden er und seine Kreuzberger Kumpels okay. Dennoch: „Die haben einen großen Fehler gemacht, daß sie die Mauer aufgemacht haben“, und am besten wäre es, die Grenze wäre wieder dicht. Andere AusländerInnen umschreiben ihre Empfindungen und Erfahrungen mit gemäßigteren Worten: Man fühle sich ausgeschlossen aus all diesem Taumel um die Wiedervereinigung, man spüre jetzt stärker, daß man nicht dazugehört zu diesen Deutschen. Man höre an allen Ecken und Enden im Alltag, daß man letztendlich doch als Mensch hier nicht erwünscht sei. Und einige, wie Mahmut in seinem Kreuzberger Imbiß, malen angesichts der deutsch-deutschen Entwicklung der letzten Monate ganz düstere Visionen: „Du wirst sehen: In ein paar Jahren wird es hier keine Ausländer mehr geben. Wenn du mich fragst, die werden alle zurück in ihre Heimat gehen.“

Aber wer fragt einen Mahmut, einen Kemal oder eine Fathma nach ihrer Meinung zur Wiedervereinigung? Das „Deutschland einig Vaterland“ — der Name sagt es doch wohl deutlich genug — ist eben allein Sache der Deutschen. Was geht das auch die an, für die weder das eine noch das andere Deutschland Vater- oder Mutterland ist, dafür aber längst eine Wahlheimat? Nun, Mahmut z.B. geht das eine ganze Menge an: er überlegt seit dem 9.November öfter, ob es nicht besser wäre, mit der Familie zurück nach Kurdistan zu gehen. Und angesichts von schwarz- rot-goldenen Fahnen und „Deutschland, Deutschland“-Trunkenheit wünschen sich auch andere Immigranten lieber woanders hin, als in dieses wiedervereinigte, mächtige Land. Denn je näher die deutsch- deutsche Vereinigung in den letzten Monaten rückte — und praktisch auch schon gelebt wurde — desto deutlicher spürbar wurde für die ausländische Bevölkerung in der BRD, daß sie zu den sozialen und politischen Verlierern dieses Vereinigungsprozesses gehören werden.

Sicher, es gibt auch sie: diejenigen, die sich vorbehaltlos „für die Deutschen freuen“. Und natürlich ist vielen AusländerInnen das ganze „einfach egal“, weil das Politik ist, und mit der hat man ohnehin nichts zu tun. Doch insgesamt rangieren mittlerweile Zukunftsangst und Pessimismus auf dem Stimmungsbarometer der ausländischen Minderheit ganz oben. Immer wieder, so berichtet eine türkische Sozialarbeiterin, fragen ihre Landsleute jetzt in der Beratungsstelle an, ob der eigene Aufenthaltsstatus nun auch weiterhin gesichert sei und was mit ihrer Arbeit sei, wenn die Grenze offen ist.

Dabei, so berichtet die Westberliner Ausländerbeauftragte Barbara John, habe es in den ersten Tagen nach der Grenzöffnung auch unter den AusländerInnen beinahe „enthusiastische Reaktionen“ gegeben. Die neuen Nachbarn aus dem Osten wurden zum Tee eingeladen, von türkischen Gemüsehändlern mit den so kostbaren exotischen Bananen beschenkt. Doch diese „sichtbare Mitfreude“, beobachtete Frau John, „ist innerhalb kurzer Zeit Ängsten und der Skepsis gewichen, daß Ausländer nun in eine Randlage kommen und für längere Zeit deutsch-deutsche Probleme die politische Tagesordnung diktieren“.

Auch die Ausländerbeauftragte des Bundes, Lieselotte Funke, registriert eine „gewisse Beunruhigung“ innerhalb der ausländischen Bevölkerung. Sie höre jetzt öfter, daß ausländische Eltern sich manchmal nicht mehr trauten, ihre Kinder in die Schule zu schicken, und vor allem ausländische Frauen wagten sich abends nicht mehr auf die Straße. Während kürzlich die Kirchenspitzen beider deutscher Staaten angesichts der Wiedervereinigung und ihrer sozialen Probleme eindringlich vor einer zunehmenden Radikalisierung gegenüber AusländerInnen warnten, findet Frau Funke aber eher milde Worte. Begründet nämlich, so beschwichtigt sie, seien die Ängste vor einem Anstieg des Fremdenhasses nicht. Auch wenn die AusländerInnen es anders empfänden, habe sich in den letzten Monaten zumindest in der Bundesrepublik das Verhältnis zu der ausländischen Minderheit „im wesentlichen nicht verschlechtert.“

Auch die Hauptsorge vieler AusländerInnen, die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, sei — so beschwichtigt Frau Funke — glücklicherweise haltlos. Schließlich seien die Firmen an eingearbeiteten Arbeitskräften interessiert und könnten auch aus juristischer Sicht nicht einfach einen ausländischen Mitarbeiter auf die Straße setzen, um ihn gegen einen Deutschen zu ersetzen. Ausländischen Jugendlichen in Kreuzberg, Altona oder Stuttgart, die vergeblich auf eine Arbeits- oder Lehrstelle warten, hilft die Rechtslage jedoch wenig.

Und auch gegen einen anderen Trend hilft die formale Absicherung wenig: Arbeitgeber, Vorarbeiter oder Meister ausländischer Beschäftigter drohen immer häufiger mit dem Arbeitslosenheer in der DDR, um das Arbeitstempo zu erhöhen, Löhne zu drücken oder Krankmeldungen zurückzuweisen.

Ausgrenzender Nationalismus im Alltag

Konkret zu fassen sind jedoch die Veränderungen, die die nahende deutsch-deutsche Vereinigung für die ausländische Minderheit mit sich bringt, bisher nur in den seltensten Fällen. Es ist eher eine atmosphärische Frage, ein rauheres politisches Klima, das im Alltag spürbar wird, wenn auf der Straße im Vorübergehen jemand sagt: „Haut ab hier, jetzt ist kein Platz mehr für euch!“ Und es ist dieses „Deutschland, Deutschland über alles“, das Angst macht, weil dieser Nationalismus sich automatisch gegen diejenigen abgrenzt, die keine Deutschen sind. Erste Vorbote dieser Abgrenzung haben viele AusländerInnen schon einige Zeit vor der Wende in der DDR gespürt: Als deutschstämmige AussiedlerInnen aus Osteuropa, denen die Bundesrepublik und deren Sprache häufig viel fremder waren als vielen AusländerInnen, mir nichts dir nichts als gleichberechtigte BundesbürgerInnen aufgenommen wurden. Gut, diese Art der Diskriminierung war man aus der Vergangenheit gewohnt. Das eigentliche Schockerlebnis kam dann für viele Ausländer im November 89 bei den ersten Begnungen mit den neuen deutschen Nachbarn aus der DDR. Eine Welle von ungebrochenem, durch keinerlei moralische Bremsen oder Ansprüche von Weltoffenheit getrübtem Fremdenhaß und Gewalt schwappte durch die offene Grenze.

Mittlerweile bemühen sich viele AusländerInnen mit beinahe rührender Verständnisbereitschaft die feindseligen Reaktionen der DDR- Bürger zu erklären: Hussein tippt darauf, daß es die „Weiber“ sind. Die DDR-Männer hätten Angst, daß die Ausländer ihnen die Frauen wegnehmen — dabei sei es doch wirklich deren Sache, mit wem sie gehen. Mahmut, in seinem Imbiß, hat wiederum eine andere Theorie: „Die Leute können nicht ertragen, daß wir Daimler-Autos fahren“ — und mit dieser Theorie liegt er nicht einmal so falsch. Tatsächlich scheinen viele DDR-BürgerInnen es als besondere Demütigung zu empfinden, daß ihnen selbst die Unteren auf der sozialen Stufenleiter der Bundesrepublik, die Ausländer, materiell überlegen sind und sich darüber hinaus noch mit den Gepflogenheiten und Kniffen des neuen, ach so bewunderten Systems auskennen. „Die sind das eben nicht gewohnt, mit Ausländern zu leben“, meint dagegen ein libanesischer Flüchtling in West-Berlin, „wenn die uns kennenlernen, werden sie auch anders zu uns sein“. Doch die ersten Versuche, ein solches Sich-Kennenlernen zu organisieren, endeten meist im Fiasko. Lehrer aus Westdeutschland berichten von vorzeitig beendeten Klassenreisen in die DDR. Sie mußten die Fahrt abbrechen, um ihre ausländischen SchülerInnen vor Beschimpfungen und Angriffen zu schützen. Und in diesem Sommer endete in der Nähe von Berlin ausgerechnet eine Jugendbegegnung zum Thema „Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ mit einem gewaltsamen Überfall auf die türkischen und arabischen Teilnehmer. Viele Ausländer in Berlin und anderen grenznahen Städten haben daher entschieden, vorerst auf das neue Land im Osten zu verzichten. Für sie hat der Fall der Mauer eine neue Mauer errichtet. Früher, so berichtet eine türkische Sozialarbeiterin, sei sie öfter in Ost-Berlin gewesen. Seit der Maueröffnung war sie kein einziges Mal „drüben“, denn um diese Konfrontation zu ertragen, „muß ich mich innerlich erst einmal stark genug fühlen, daß ich mich dann auch wehren kann, wenn mich jemand blöd anmacht“.

Besonders ausländische Jugendliche, für die die Bundesrepublik längst Geburtsland und Heimat ist, haben aber keine Lust mehr, immer nur zu verstehen. Sie wehren sich gegen Diskriminierung und gewalttätige Angriffe von DDRlern und geraten dabei selbst zunehmend in handgreifliche Konflikte. Na klar, er werde sich doch nicht von Skinheads verprügeln lassen, meint Hussein. Er sei schließlich in Deutschland geboren und habe auch seine Rechte. Und um die werde er kämpfen, am besten mit seiner Gruppe. Hussein sympathisiert mit einer der in Berlin mittlerweile zum Medienrenner gewordenen ausländischen Jugendbanden. Mit Besorgnis sehen Sozialarbeiter und Politiker im Augenblick, daß die berechtigte Gegenwehr gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus sich hier mit einer Lust auf Abenteuer und auf Randale vermischt, und etliche Jugendliche dabei gefährlich dicht am Rande zur Kriminalität tanzen.

Man mag die Ängste der AusländerInnen vor der Wiedervereinigung für Schwarzmalerei und für übertrieben halten. Nur, sind sie erst einmal da und überlagern das Lebensgefühl und die Zukunftsplanung der ausländischen Minderheit in diesem Großdeutschland, das sich so europäisch geben will und gleichzeitig seine Grenzen gegenüber Osteuropäern dicht macht, die ohne das „Gütesiegel“ deutsch Aufnahme oder auch nur Reisefreiheit suchen. Die Ängste lassen sich auch nicht mit beschwichtigenden Worten wegreden. Die Westberliner Ausländerbeauftragte, Barbara John, fordert deshalb von den Politikern „deutliche Signale in Richtung der ausländischen Minderheit“, um Ängste und absehbare soziale Spannungen abzubauen.

Rechtliche Gleichstellung als adäquate Reaktion

Konkrete Möglichkeiten dazu hätten die Politiker in Bonn zur Genüge, meint Barbara John: Eine verbesserte Einbürgerungspolitik müßte gerade den jungen Ausländern der zweiten und dritten Generation die rechtliche Gleichstellung sichern und auch über eine stärkere politische Beteiligung von AusländerInnen müßte jetzt dringend diskutiert werden. Optimistisch, daß diese Signale von ihren christlich-demokratischen ParteikollegInnen aus Bonn kommen, ist die Ausländerbeauftrage John allerdings nicht - im Gegenteil. Sie fürchtet — und das wohl zu Recht —, daß dringend benötigte Maßnahmen gegen die Diskriminierung der ausländischen Minderheit jetzt endgültig ans untere Ende der Prioritätenliste rutschen. Und auch die Gelder zur Finanzierung von solchen Maßnahmen werden angesichts der unübersehbaren Kosten der deutsch-deutschen Vereinigung kaum noch zu haben sein. Darüber hinaus hat die Regierungskoalition schon vor dem legendären November mit dem neuen Ausländergesetz die politischen Signale gerade demonstrativ in die umgekehrte Richtung gestellt. „Ich weiß wirklich nicht, wie ich jungen Ausländern das erklären soll, was die da in Bonn machen“, stöhnt die Westberliner Ausländerbeauftragte, „wie soll ich jemandem erklären, daß ein Aussiedler, dem ein türkischer Lehrer in der Volkshochschule Deutsch beibringt, nach kurzer Zeit deutscher Staatsbürger ist, während Ausländer selbst lange Jahre darum ringen müssen. Es gibt dafür keine Erklärung, außer der sehr unfreundlichen, daß Ausländer eben nicht deutscher Abstammung sind und deswegen als zweitrangig angesehen werden. Und diese Erklärung kann niemand akzeptieren.“ Die Bonner CDU-Fraktion offenbar doch. Ihre Ablehnung des kommunalen Ausländerwahlrechts begründete sie vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Hinweis, es „hindere das deutsche Volk daran, in der Wahl seine demokratische Identität zu finden“. Ve

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