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„Ich dachte, ich bin im falschen Film“

OstberlinerInnen nach der Randale und ersten Erfahrungen mit Reizgas/ Ärger über Polizisten/ Kaputte Scheiben begehrtes Fotomotiv  ■ Aus Berlin Christel Blanke

Berlin (taz) — Aus »technischen Gründen« geschlossen steht an der Eingangstür eines Buchladens am Alexanderplatz in Berlin-Mitte. Nur, bis auf die Tür ist am Donnerstag — einen Tag nach der Randale in Ost-Berlin — in dem Geschäft alles offen. Von den Fensterscheiben hängen nur noch Splitter in den Rahmen.

Dem Platz selbst ist auf den ersten Blick kaum noch etwas anzumerken. Hauptattraktion sind wieder die Hütchenspieler. Handwerker bauen die Stände des Volksfestes ab, die Stadtreinigung fegt den Dreck weg. Aber hinter zwei Imbißwagen steht ein ausgebrannter Barkas, eine Art Ost-VW-Bus. Zwei Polizisten auf Streife wollen nicht sagen, ob der in der vorhergehenden Nacht gebrannt hat. Sie sind sauer. „Wir waren nicht dabei, sondern mußten uns raushalten. Wir sind ja noch die alte Stasi“, sagt einer mit wütender Ironie, und zu seinem Kollegen: „Komm, wir hauen ab“.

Eine Angestellte des Hotels Stadt Berlin, das genau im Zentrum der Ausschreitungen war, will nicht über die letzte Nacht nachdenken, so sauer ist sie. Sie kann ihre Wut und Fassungslosigkeit nur mühsam unterdrücken: „Wir sind zum ersten Mal mit Reizgas außer Kraft gesetzt worden.“ Und das, als sie verletzten Menschen helfen wollte.

Auch die Buchhändlerin kocht. Ihre Empörung trifft vor allem die Westberliner Polizei. Anstatt sie und ihren Laden zu beschützen, hätten die Beamten draußen im Auto gesessen. „Immer wenn ich einen Stein gerade herausgeworfen hatte“, erzählt die Händlerin, „kam er wieder reingeflogen.“ Aus ihrer Sicht hätten die Ostberliner Polizisten nicht vom Alexanderplatz abgezogen werden dürfen. „Die kennen sich hier schließlich besser aus. Wenn das ein Feiertag ist“, schimpft sie, „dann pfeif' ich drauf“.

Der Zapfer in einem der Biergärten am Alex hatte „zum ersten Mal richtige Angst“ als die „Randalierer“ um die Ecke kamen. Sie hatten es zwar nicht auf ihn abgesehen — „Aber ick habe sofort meene Tasche jepackt und den Laden dichtjemacht.“

Daß die DemonstrantInnen die Scheiben des gegenüberliegenden Haushaltwarengeschäftes einschmissen, erscheint ihm sinnlos. Dazu habe es doch wohl vorgestern keinen Anlaß gegeben. „Sie haben Geräte rausjeholt und kaputt jemacht — klauen wollten die nich“, erzählt er. „Et war wie im Krieg, ick hab' jedacht, ick bin im falschen Film.“

Vor den eingeschlagenen Fenstern bleiben unterdessen immer wieder PassantInnen stehen, schütteln die Köpfe und fotografieren. „Die sollte man alle einsperren.“ „Aber wen“, fragt eine alte Frau. Sie war an dem Abend vor allem verunsichert. »Die Veranstalter der Demo hätten doch auf Mißstände aufmerksam machen und nicht randalieren wollen. »Man fühlt sich so rechtlos«, erklärt sie, und daß sie sich nie an so etwas gewöhnen wolle.

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