„Machen Sie aus Lodsch eine deutsche Stadt“

Deutsche Stadtplaner im Dienste der nationalsozialistischen Ostkolonisation Bericht einer Spurensuche in den Bauverwaltungsakten der polnischen Stadt Lódź  ■ Von Niels Gutschow

Im Februar 1940 wurde im polnischen Lódź, das erst im November 1939 dem „Warthegau“ zugeschlagen worden war, das erste Getto eingerichtet, im Januar 1942 begann im nahen Kulmhof die gezielte Vernichtung der Juden — Heydrich hatte soeben auf der berüchtigten „Wannsee-Konferenz“ seinen Plan zur „Endlösung der Judenfrage“ vorgestellt. Schon vorher waren im Keller des Anatomischen Instituts der „Reichsuniversität Posen“ von der Gestapo erschossene Polen verbrannt worden. Der Leiter des Instituts vermerkte in seinem Tagebuch: „Das polnische Volk muß ausgerottet werden, sonst gibt es hier keine Ruhe im Osten.“

Deutsche Ärzte töteten 200.000 als „lebensunwert“ klassifizierte Psychiatriepatienten. Dazu dienten 1940 vor allem die Krankenhäuser im besetzten Großpolen, dem alten Kerngebiet des polnischen Staates, das unter dem Namen „Warthegau“ dem Deutschen Reich einverleibt worden war.

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„Machen Sie aus Lodsch eine deutsche Stadt“ — so der Auftrag des soeben eingesetzten deutschen Oberbürgermeisters von Lódź an Wilhelm Hallbauer, der aus Wilhelmshaven in den Osten geeilt war, um mitzuwirken an der großen „Friedensoffensive“, die der „Schärfe des deutschen Schwertes“ folgen sollte. Es galt, „nach Jahrtausenden unaufhörlicher Wanderungen und Grenzbewegungen und nach fünfhundertjährigem Kampf gegen den slawischen Nachbarn die deutsche Ostmark zum ehernen Bollwerk des Dritten Reiches auszubauen“. So jedenfalls formuliert es 1940 Hans Martin Pfannschnidt als Raumplaner anläßlich seines Habilitationsvortrages in Königsberg.

Sein Kollege Ewald Liedecke, seines Zeichens Landesplaner von „Danzig/Westpreußen“ (polnisch: Gdańsk), formulierte die neue Aufgabe weitaus aggressiver, wenn er erklärte, die Prägung des „neuen deutschen Ostens als deutschen Raum“ solle „ebenso zielbewußt und kurzfristig gelöst werden wie etwa die Aufrüstung“. Für ihn gab es keine polnische Kultur, die räumlich Gestalt gewonnen hätte, denn der „Osten zeige sich völlig formlos“. Der Neuaufbau habe also „unter Beseitigung des Bestehenden“ zu geschehen — eine Aufgabe, die für Liedecke zu den „erfreulichsten für einen Planer und Städtebauer“ gehörte.

Derartige Zitate ließen sich beliebig viele anführen: die für den Nationalsozialismus typische Ämterkonkurrenz sorgte dafür, daß die verschiedenen Behörden sich in ihren Formulierungen geradezu überboten und dabei immer neue Vokabeln erfanden. Doch handelt es sich nicht um saloppe oder gar zynische Übertreibungen, sondern um die Beschreibung von Arbeitsperspektiven, die tatsächlich mit Hoffnung verbunden waren. „Gestaltung von Raum“ wurde als eine deutsche Eigenart empfunden, die mit missionarischem Eifer gen Osten getragen wurde. Für jene Stadtplaner, die im Aufwind des Nationalsozialismus neue Aufgabenfelder und völlig ungeahnte Machtbefugnisse erlangt hatten, setzten Träume von einer Zukunft den Fortbestand der „Volksgemeinschaft“ als Basis voraus.

So standen sie dann bereits im Oktober 1939 im „Warthegau“ an ihren Reißbrettern bereit, die Forderungen nach „Rückdeutschung“, „Eindeutschung“ und „Verdeutschung“ in die Sprache von Architektur und Städtebau zu übersetzen. Zweifel jedenfalls sprechen nicht aus den überlieferten Schriftsätzen und auch nicht aus der privaten Korrespondenz.

Liedecke vertrat in Westpreußen die Landesplanung im Auftrage der damals allerdings schon entmachteten „Reichsstelle für Raumordnung“, die 1935 zur Sicherung des Landesbedarfs der Wehrmacht gegründet worden war. Im „Warthegau“ war nämlich inzwischen dem Planungsamt Himmlers, des „Reichskommissars zur Festigung des deutschen Volkstums“, alle Planungshoheit und Vollzugsgewalt zugesprochen worden. Hinzu kam schließlich auch noch die „Planungsabteilung des Reichsheimstättengesetzes der Deutschen Arbeitsfront“. So sahen sich die aus dem „Altreich“ herbeigeholten kommunalen Beamten einer aufgefächerten Zuständigkeit gegenüber. Das verminderte keineswegs ihren Eifer, an der planerischen Aufrüstung mitzuwirken.

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Bereits im Januar 1940 legte Hallbauer in Lódź eine Denkschrift vor, die den Weg weist zu einer wirksamen „Reinigung“ der Kernstadt von „fremdem Volkstum“ und zur „Eindeutschung“ der Vorstädte. Nur durch diese „volkstumsmäßige Besetzung“ des Gesamtraumes sei „die politische Ruhe im Innenraum jederzeit zu sichern und zu beherrschen“. Die „dauernde Eindeutschung“ von Lódź sei nicht durch die Abschaffung polnischer Beschriftungen und durch Aufenthaltsverbote für Juden erreicht. Denn: „Eine Stadt ist entweder von innen heraus deutsch oder sie ist es nicht.“ Schließlich verlange die „Eindeutschung“ eine gründliche Neuordnung, und das „bei den Menschen wie bei den Sachen“.

Im Klartext heißt das, daß die polnische Intelligenz und 300.000 Juden aus dem inzwischen eingerichteten Getto „abgeschoben“ werden sollen. Die übrig bleibenden 300.000 polnischen Industriearbeiter jedoch stellten „brauchbare Arbeitskräfte“ dar, die für die Produktion nach wie vor gebraucht wurden. Die „Zellgarn A.G.“ etwa wollte dieses Sklavenheer nicht umsiedeln lassen und verlangte zudem von der Stadt 700 neue Wohnungen für die Verwaltungsangestellten, die die polnischen Arbeitskräfte mit „klarem, festen Willen“ führen sollten. Die Wehrmacht erklärte, sie brauche 500 Wohnungen und so traten für die eifrigen Stadtplaner verschiedene „Bedarfsträger“ auf.

Im Rausch des Sieges hatten forsche Gutachter aus dem Umkreis von Albert Speer noch im Herbst 1939 kurzerhand den Bau einer „rein deutschen Stadt“ gefordert. Nachdem sich der Plan jedoch als undurchführbar erwiesen hatte, mußte man sich damit zufrieden geben, die Stadt des 19.Jahrhunderts zu „sanieren“. Das hieß in der Sprache der Bauverwaltung, daß allein im Jahre 1940 8.000 Wohnungen instandgesetzt und „für deutsche Menschen nach deutschen Begriffen bewohnbar gestaltet werden“ mußten. So sollten zügig „die asiatischen Erbteile mit Stumpf und Stiel ausgerottet“ werden.

Der Stadtoberbaudirektor überschlägt sich 1941 geradezu in Vollzugsmeldungen, wenn er nach Berlin mitteilt, die intensive Arbeit der Verwaltung „habe das Gesicht der Innenstadt derart entscheidend verändert, daß nicht mehr von einer polnischen Stadt gesprochen werden kann“.

Gleichzeitig versprachen Sanierung und Umsiedlung fette Beute. Entsprechende Hinweise finden sich auch in den Akten der Bauverwaltung von Lódź: Von Posen aus dirigierte Gauleiter Arthur Greise souverän den Prozeß der Neuordnung — in Erfüllung seines „vom Führer erhaltenen Auftrages zur Verdeutschung der Stadt: Grundsatz bei der Sanierung und dem Neuaufbau von Litzmannstadt muß eine zügige Behandlung bei der Verteilung des anfallenden jüdischen und polnischen Vermögens sein. Bürokratische und rechnerische Einwändungen dürfen in keinem Falle dem geplanten Vorhaben hemmend im Wege stehen.“

Hallbauer wollte dieses Vermögen nicht als „Kriegskontribution“ ins „Altreich“ abgeführt wissen, sondern am Ort behalten, um mit einer aufstrebenden Industriestadt „dem Altreich einen neuen Stein in seiner Strahlenkrone zu schaffen“.

So bildeten sich 1941 merkwürdige Fronten: Die SS gegen die Industrie, Vernichter gegen Ausbeuter. Beide Parteien betrieben indessen ihr Geschäft unbeirrt weiter. Während im nahegelegenen Kulmhof im Jahre 1942 70.000 Juden aus Lódź in Gaswagen umgebracht wurden, forcierte das Stadtplanungsamt den Bau von Siedlungen. 1942 sind im Vorort „Stockhof“ (polnisch: Stoki) 700 Wohnungen im Bau und das in deutscher „Haltung“, wie sich von selbst versteht.

Was man im Bauen als „deutsch“ zu verstehen hatte, war bis 1942 durch die Arbeit des Reichsheimstättenamtes und im Zeichen der vom Reichsminister des Innern im Juli 1941 eingerichteten Wohnungs- und Siedlungsämter allemal klar: Es entstand das zweigeschossige Reihenhaus, dessen steiles Satteldach von der Steiermark bis nach Ostpreußen imaginäre Landschaftsgebundenheit symbolisieren sollte. Noch heute haben die in der Siedlung in Stoki lebenden Menschen die Vermutung, die Reihenhäuser seien nicht Wohnhäuser, sondern Kasernen gewesen.

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Dabei hatte Liedeke bereits im Dezember 1940 programmatisch und warnend festgestellt, daß es nicht darum gehe, im Osten „kleine, nette Siedlungen“ an die Stelle des „Mietskasernenbaus der Kapitalisten und Plutokraten“ zu stellen. Vielmehr sei die „Form der Siedlung aus dem politischen Leben heraus“ zu entwickeln und „nicht primär aus der Landschaft“. Nur den Träumern unter den Planern war offenbar nicht klargeworden, daß die Stadt der Zukunft die Struktur der NSDAP zu spiegeln hatte.

Der Luftkrieg hatte zudem die Forderungen des Städtebaus nach funktionaler Gliederung und nach einer Auflösung der Stadt in Zelleneinheiten bestätigt. Der Leiter des Stadtplanungsamtes von „Litzmannstadt“ bezeichnet deshalb eine Exkursion seines Amtes nach Warschau als wertvoll, weil sich dort „durch die Wirkung der Bombardierung die Notwendigkeit größerer städtebaulicher Zäsuren“ erwiesen hatte. Die organisatorische Gliederung der Partei und Erfahrungen mit dem Luftkrieg waren Grundlagen für die Präzisierung von Ideen zur Stadtgestaltung, die bereits 1940 in Hamburg, Stettin und Bremen diskutiert wurden.

So kam es, daß die Qualitäten der von den Städtebauern des „Altreichs“ beschworenen Idee der Stadtlandschaft auch am Stadtrand von Lódź Konturen gewann: Die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“, das städtebauliche Leitbild einer ganzen Generation von Städtebauern, wurde hier unter der Voraussetzung der räuberischen Aneignung eines als „leer“ empfundenen oder eben leer zu machenden Raumes verwirklicht.

Die Negierung jeglicher polnischer Überlieferung und die Unterwerfung dieses Volkes bildeten die geeigneten Voraussetzungen zur Herstellung jener tabula rasa, die die nationalsozialistische Neugestaltung und Planung verlangte. Die nationalsozialistischen Städtebauer betrachteten sich in dieser Situation als die Experten, ihr Handeln legitimierte der von der Volksgemeinschaft formulierte missionarische Auftrag. Mord und Vertreibung als Vorbedingung von Raumplanung am Reißbrett mußten nicht zur Kenntnis genommen werden, das schmutzige Geschäft besorgte die SS.

Was die Planer im „Warthegau“ als ihre Legitimation betrachteten, nämlich die „Ungestalt“ des Bestehenden, entstand im „Altreich“ erst später, ganz unerwartet und oft sogar willkommen: durch den Luftkrieg 1942 und 1943. Bomben löschten die eigene Überlieferung soweit aus, daß die topographischen Gegebenheiten erneut an der Oberfläche erschienen. Nach dem Krieg wähnten sich Städtebauer am Ziel ihrer Träume. Jetzt konnte eine bessere Welt in Gestalt „durchbauter Landschaft“ entstehen. Zerstörung und „polnische Ungestalt“ — beides prägte das Denken dieser Expertengruppe nachhaltig. Planung und Städtebau bleiben deshalb für eine ganze Generation von Architekten unauflöslich mit Kolonisation und Zerstörung verbunden.

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Ohne Zweifel haben die in Lódź tätigen Planer und Architekten die „Verdeutschung“ der Stadt zu „ihrer Sache“ gemacht. Sie waren nicht einfach hilflose Befehlsempfänger. Dafür sprechen die erhaltenen „Monats- und Lageberichte“ des Stadtplanungsamtes. Während unter der Überschrift „Stimmungsbild“ regelmäßig „Fehlanzeige“ vermerkt wurde, daß heißt kein Grund zur Berichterstattung, führte Hans Bartning, der Leiter des Stadtplanungsamtes, ohne jeden Zwang die Rubrik „politische Fragen“ ein, um von einem Erlebnis in der Stadt zu berichten.

Er verleiht darin seinem „starken Befremden“ darüber Ausdruck, daß im Januar 1941 in den Läden noch immer polnisch gesprochen wurde. In einem Bäckerladen hatte ihn alarmiert, daß ein Kunde auf polnisch Weizenbrot verlangte — damals eine begehrte Ware, die allein Deutschen vorbehalten war. Zur Rede gestellt, hatte der Kunde sich als Deutscher ausgewiesen und erwidert, er kaufe Brot in der Sprache, die ihm passe. Eine winzige Begebenheit, die durch das Protokoll Bartnings einen ungemein denunziatorischen Charakter erhält.

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In dem Maße, wie Himmler die Vernichtung des jüdischen Volkes betrieb, wurde das Bauen im „Warthegau“ langsam eingestellt und die Bauverwaltung zu einer lediglich ausführenden Ordnungsbehörde reduziert. Hans Bartning wurde eingezogen und fiel in Rußland. Sein Chef Hallbauer war nach dem Angriff auf die Sowjetunion der Truppe gefolgt, um im September 1941 die Planung in Lemberg (polnisch: Lwów) zu übernehmen.

In Lódź dagegen verwaltete das Stadtplanungsamt 1944 nur noch Abbruchmaterial aus dem Getto, durch das 300.000 Juden vor der Vernichtung geschleust worden waren. So verlangte etwa das Gartenamt aus den Beständen des Gettoverwalters zwanzig Quadratmeter Glas zur Reparatur der Frühbeetfenster. Gegen „entsprechende Berechnung“ natürlich, denn alle Transaktionen suggerierten nach wie vor Rechtmäßigkeit nach den Statuten einer deutschen Kommunalverwaltung. Gefolgschaftsmitglieder der Bauverwaltung erhielten zudem jeweils 500 Kilogramm Holz für zehn Reichsmark. Das Postverzeichnis der Bauverwaltung verzeichnet als letzten Eingang am 12.Januar 1945 die Rechnung eines Theodor Allgäuer für Tagelohnarbeiten im Getto. Wenige Tage später überschreitet die Rote Armee die Weichsel. Drei Monate später erreicht sie Berlin. „Litzmannstadt“ wird wieder Lódź, in „Stockhof“, nun wieder Stoki, wechseln die Bewohner.