: London: EWS-Beitritt zum Wahlkampfauftakt
Großbritannien tritt heute dem Europäischen Wechselkursmechanismus bei (EWS)/ Das schafft ein günstiges Klima für den Tory-Parteitag, der morgen beginnt/ Die Labour-Linke verliert bei ihrem Parteitag weiter an Einfluß ■ Aus London Ralf Sotscheck
Der Wahlkampf in Großbritannien hat begonnen. Am Wochenende gab Finanzminister John Major in London bekannt, daß Großbritannien am heutigen Montag dem Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) beitreten wird. Gleichzeitig kündigte er eine Senkung der Zinsrate um ein Prozent auf 14 Prozent an — eine Nachricht, auf die Industrie und Hausbesitzer seit langem gewartet haben. Großbritanniens Beitritt zum Wechselkursmechanismus wurde von der europäischen Finanzwelt, allen voran Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl, begrüßt. Pöhl sagte: „Dieser Schritt ist ein wichtiger Beitrag im Rahmen der ersten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.“ Die Aktienwerte an der Londoner Börse schossen noch am Freitag abend um 22 Milliarden Pfund in die Höhe.
Die Maßnahmen der britischen Regierung deuten darauf hin, daß Premierministerin Margaret Thatcher den Weg für Parlamentswahlen schon im nächsten Jahr — möglicherweise bereits im Juni — ebnen will. Sie kann den Wahltermin nach Belieben festlegen und den für die Torys günstigsten Zeitpunkt abpassen. Der Wechselkursmechanismus des seit 1979 bestehenden EWS soll die starke Fluktuation der EG-Währungen untereinander verhindern. Allerdings handelte London einen Kompromiß aus: Während die anderen Währungen — bis auf die spanische Peseta — lediglich einen Spielraum von zwei Prozent haben, kann das Pfund Sterling um sechs Prozent schwanken. Damit behält London eine größtmögliche Kontrolle über die Währungspolitik. Das Pfund tritt zum Kurs von DM 2,95 bei.
Großbritanniens Beitritt kommt überraschend, hatte Thatcher doch immer darauf bestanden, zunächst die britische Inflationsrate, die zur Zeit gut zehn Prozent beträgt, auf europäisches Niveau zu senken. Nun reicht laut Major jedoch die „Prognose eines Abwärtstrends der Inflation“, um den Beitritt zu rechtfertigen. Das sei keineswegs eine Abkehr von Prinzipien. Die Oppositionsparteien warfen der Regierung dagegen vor, den Zeitpunkt für die Maßnahmen lediglich aus politischen und nicht aus ökonomischen Gründen gewählt zu haben. Paddy Ashdown von den Liberalen Demokraten sagte, es gehe den Torys darum, ein günstiges Klima für ihren Parteitag zu schaffen, der morgen in Bournemouth beginnt. „Man muß schon rührend naiv sein, wenn man glaubt, daß der Tory- Parteitag nichts mit den Maßnahmen zu tun hat“, sagte John Smith, Finanzminister des Labour-Schattenkabinetts. Der stellvertretende Labour-Vorsitzende Roy Hattersley wies darauf hin, daß die Konservativen vor drei ihrer letzten vier Parteitage die Zinsrate gesenkt haben. Hattersley wiederholte die Botschaft des Labour-Parteitages, der am Freitag in Blackpool zu Ende ging: „Wir haben uns seit langem auf die Möglichkeit früher Parlamentswahlen vorbereitet. Sie können gar nicht früh genug für uns kommen.“
Majors Schachzug hat dem Labour-Parteitag in den britischen Medien die Schau gestohlen. Dabei war der Parteitag selten so glatt verlaufen wie in diesem Jahr. Die Parteilinke ist vollkommen in die Ecke gedrängt. Ihr Antrag, einen militärischen Einsatz im Golf von einer UN-Entscheidung abhängig zu machen, wurde glatt abgebügelt. Die Befürworter eines Boykotts der umstrittenen Kopfsteuer, deren Einführung im vergangenen April Straßenschlachten ausgelöst hatte, wurden lauthals ausgebuht. Die Labour-Führung kann es sich inzwischen auch leisten, Umweltgruppen zu verprellen: Das Versprechen, den Bau der gigantischen Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield und den Import von Atommüll zu stoppen, wurde sang- und klanglos aus dem Labour-Programm gestrichen.
Wie sehr die Labour-Linke an Einfluß verloren hat, zeigt Kinnocks Reaktion auf den Antrag, den britischen Verteidigungshaushalt dem Niveau anderer EG-Staaten anzupassen: Zwar wurde er durch Handzeichen angenommen, doch Kinnock verhinderte ein Votum per Stimmkarten, was der Resolution mehr Gewicht verliehen hätte. So sagte er nach der Abstimmung selbstsicher: „Diese Resolution wird keinesfalls Politik einer Labour-Regierung sein.“ Noch vor wenigen Jahren wären einem Labour-Führer diese Worte zum Verhängnis geworden. Labour ist eine Partei der Mittelklasse geworden. Ob das jedoch ausreicht, um die nächsten Wahlen zu gewinnen, ist zweifelhaft. Nach den neuesten Umfragen britischer Sonntagszeitungen hatte die Labour Party gestern zwar einen Vorsprung von acht bis zehn Prozent vor den Torys, doch Thatcher ist clever genug, um im entscheidenden Moment Prinzipien über den Haufen zu werfen, wenn das kurzfristig Erfolg verspricht. Und sie hat einen wichtigen Vorteil: Sie bestimmt den Wahltermin.
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