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Mit dem Stehauffrauchen Thatcher in die 90er

Vor surrenden Kameras präsentierten sich die britischen Konservativen in altem Gewand/ Doch hinter dem populistischen Gepolter steht die Frage, ob die Konservativen nochmals ihre Wirtschaftspolitik den WählerInnen verkaufen können  ■ Von Ralf Sotscheck

Die Parteitage der britischen Konservativen sind traditionell langweilig. Seit das Fernsehen die „Debatten“ 1954 zum ersten Mal live übertragen hat, sind sie immer mehr zu einer werbewirksamen Selbstdarstellungs-Show verkommen. Wer kann es den Tories verdenken, daß sie die Sendezeit zum Wahlkampf nutzen. Selbst die Labour Party hat es inzwischen gelernt: Kritische Punkte, wie etwa die Debatte über Rechte für Schwule und Lesben, werden immer dann behandelt, wenn sich das Fernsehen gerade ausgeschaltet hat und einen Kinderfilm überträgt. Die Konferenzen der beiden großen britischen Parteien unterscheiden sich kaum mehr.

Die Tories gehen allerdings noch einen Schritt weiter. Bereits 1986 wurde der Parteitag von der Werbeagentur „Saatchi and Saatchi“ organisiert, die sogar einen Teil der Reden schrieb. Und von den 10.000 TeilnehmerInnen am diesjährigen Parteitag, der gestern in Bournemouth zu Ende ging, waren genau die Hälfte Medienleute. Bei dieser günstigen Relation hat auch ein unbekannter Hinterbänkler die Chance, ein wenig Publizität zu erhaschen. Dagegen scheinen linke Organisationen und Bürgerinitiativen das Interesse an dem Spektakel verloren zu haben: Die bisher üblichen Demonstrationen vor dem Konferenzgebäude blieben in diesem Jahr aus. Vielleicht lag es an den Sicherheitsvorkehrungen. Bournemouth glich einer belagerten Stadt. So nahm die Show denn völlig ungetrübt von der Realität ihren Lauf.

Das Problem der Obdachlosigkeit bekamen die Tories durch einen einfachen Trick in den Griff. Wohnungsminister Michael Spicer gab bekannt, daß sein Ministerium den Terminus „Obdachlosigkeit“ neu definiert habe, so daß die Zahlen — die sich offiziell seit 1979 auf 119.000 verdoppelt haben — drastisch gesenkt werden können. Widerspruch rührte sich auch nicht, als Staatssekretär Michael Portillo die heftig umstrittene Kopfsteuer als „Wahlgewinner“ bezeichnete. Ebenso nahmen es die Delegierten hin, daß ihnen die Regierung, die das Land seit immerhin elf Jahren regiert, weismachte, andere hätten Schuld am desolaten Zustand der Wirtschaft und des Bildungswesens, an der Rekordarbeitslosigkeit und der höchsten Verbrechensrate der britischen Geschichte.

Doch es ging nicht alles so glatt, wie es sich die Tories erhofft hatten. Während Innenminister David Waddington am Donnerstag den Delegierten versprach, britische Straßen von „betrunkenen Strolchen“ zu säubern, wurde auf einer dieser Straßen in Bournemouth Staatssekretär Patrick Nicholls wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet und vier Stunden auf dem Polizeirevier festgehalten. Nicholls ist ausgerechnet Koordinator der Tory-Kampagne gegen Alkohol am Arbeitsplatz. Das Ende einer Karriere.

Waddington erhielt stehende Ovationen für seine Forderung, die Todesstrafe für „besonders verabscheuungswürdige Verbrechen“ wiedereinzuführen. Aus gut informierten Kreisen war zu erfahren, daß er Trunkenheit am Steuer nicht dazu rechnet. Ovationen erhielt auch Frauenministerin Angela Rumbold. Sie bezeichnete die Labour Party als „familienfeindlich“, weil die von Labour kontrollierten Bezirksverwaltungen von Haringey und Lambeth eine Viertelmillion Pfund (circa 750.000 Mark) für Schwulen- und Lesbenorganisationen zur Verfügung gestellt haben. „Die Feinde der Familie sind die Feinde der Konservativen Partei“, sagte Rumbold. Konferenzleiterin Margaret Fry dankte ihr dafür, daß sie in einer „Welt von Schurken, Homosexuellen und Perversen“ so normal sei. Der Antrag für eine Gesetzgebung, die arbeitende Mütter mit finanziellen Einbußen bestrafen soll, wurde einstimmig angenommen.

Der wahre Parteitag fand in Bournemouth hinter verschlossenen Hoteltüren statt. Das ging aus einem Geheimpapier hervor, das der Labour Party zugespielt wurde. Das Papier enthält Notizen des Gesundheitsministers Kenneth Clarke über seine Verhandlungstaktik gegenüber Staatssekretär Norman Lamont, der für die Zuteilung der Haushaltsgeldern zuständig ist. Aus den Aufzeichnungen geht hervor, daß Clarke bereit ist, viel größere Abstriche an seinem Budget zu machen, als er bisher zugab. Lamont freute sich über die Vorabinformation und erfüllte ruhigen Gewissens den Wunschhaushalt des Verteidigungsministers Tom King. So werden die Extrakosten für die Stationierung der britischen Truppen am Golf nicht dem Verteidigungshaushalt zugeschlagen. Außenminister Douglas Hurd wiederholte seine Warnung, daß Großbritannien Gewalt anwenden werde, falls der Irak sich nicht freiwillig aus Kuwait zurückziehe. Auf einen Zeitpunkt wollte Hurd sich jedoch nicht festlegen.

Die außenpolitische „Debatte“ geriet zu einer Demonstration des Triumphs britischer Politik. Ein Werbefilm, in dem Thatcher mit Havel, Kohl, Walesa und Gorbatschow gezeigt wurde, sollte beweisen, daß die Premierministerin persönlich das Ende des Kalten Kriegs herbeigeführt habe. Als Zeugen hatten die Tories osteuropäische Prominenz aufgeboten: Joszef Antall, Sabine Bergmann-Pohl, Dasha Havel und Andrzej Zawilska, die einmütig die Bedeutung britischer Politik für die Revolutionen im ehemaligen Ostblock hervorhoben. Eine Nebenrolle in der geschickten Inszenierung spielte Volker Rühe, der aus Bonn angereist war.

Margaret Thatcher, deren politisches Ende seit fast zwei Jahren prophezeit wird, sitzt fester im Sattel denn je. Zwar sind laut Meinungsumfragen 60 Prozent der Bevölkerung mit der Regierungspolitik unzufrieden, doch diese Zahl entspricht exakt dem Stand von 1986. Allerdings lag damals die Inflationsrate bei nur drei Prozent, die Arbeitslosenzahlen begannen zu sinken, und die Zahlungsbilanz war nahezu ausgeglichen. Für die Tories hängt alles von der wirtschaftlichen Entwicklung im nächsten halben Jahr ab — oder besser: wie der Öffentlichkeit die Wirtschaftsentwicklung verkauft werden kann.

Obwohl Thatcher in ihrer Partei zur Zeit unumstritten ist, wären die Tories gut beraten, den Wahlkampf nicht zum persönlichen Zweikampf zwischen ihr und Labour-Führer Neil Kinnock zu machen. Seit Juni 1989 hinkt ihre Popularität nämlich hinter der ihrer Partei deutlich hinterher. Umfragen haben ergeben, daß die Konservativen mit einem anderen Kandidaten zwei Prozent zulegen könnten. Und das linke Schreckensbild, das Thatcher von der Labour Party malt, zieht bei den WählerInnen spätestens seit dem ungewohnt harmonischen Parteitag vor einer Woche nicht mehr. Der britische Dramatiker Trevor Griffiths steht mit seiner Meinung nicht alleine. Er antwortete auf die Frage, welche Maßnahme seine Lebensqualität entscheidend verbessern würde: „Der simultane Erstickungstod der gesamten britischen Regierung.“

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