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Aids: Deutliche Zunahme bei Heterosexuellen

Gesundheitsministerium in Großbritannien veröffentlicht neue Zahlen/ Stärkster Anstieg in der Allgemeinbevölkerung  ■ Von Ralf Sotscheck

London (taz) — In Großbritannien hat die Zahl der Aids-Erkrankungen unter heterosexuellen Männern und Frauen in den vergangenen zwölf Monaten stärker zugenommen als bei jeder anderen Risikogruppe: um 95 Prozent. Das gab das Londoner Gesundheitsministerium in dieser Woche bekannt. Demgegenüber erhöhte sich die Zahl der Aidsfälle bei homo- und bisexuellen Männern um 40 Prozent, bei Drogenabhängigen um 89 Prozent. Der Sprung der Aidsfälle ist für das Gesundheitsministerium Anlaß zu großer Besorgnis. Viele britische Tageszeitungen berichteten gestern in großer Aufmachung über die neuen Aidszahlen.

Insgesamt sind in Großbritannien inzwischen 240 heterosexuelle Personen an Aids erkrankt. Donald Acheson, Chefmediziner in Gesundheitsministerium, sagte: „Ich wäre überrascht, wenn dieser Trend sich in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht fortsetzen würde. Die Zahl hat sich innerhalb eines Jahres fast verdoppelt.“ Insgesamt sind allein im dritten Quartal dieses Jahres in Großbritannien 365 neue Aidsfälle aufgetreten. Das ist die höchste Zahl, die bisher innerhalb von drei Monaten gemessen wurde. „Es ist lebensnotwendig, daß sich auch heterosexuelle Menschen sichere Praktiken zu eigen machen“, sagte Acheson. „Das Kondom wird belächelt, und alle sagen, daß es platzen kann. Tatsache ist jedoch, daß es der bei weitem zuverlässigste Schutz ist, wenn man schon ein Risiko eingehen will.“

Auch bei der Zunahme der HIV- Infektionen liegen heterosexuelle Personen in Großbritannien inzwischen an der Spitze: Die Zahl ist in den letzten zwölf Monaten um 57 Prozent gestiegen, während bei homosexuellen Männern 41 Prozent mehr Fälle auftraten. Insgesamt sind in Großbritannien knapp 15.000 mit HIV-infizierte Personen registriert. Da viele Infizierte nicht zum Test gehen, schätzt Acheson, daß die tatsächliche Zahl bis zu fünfmal höher liegt. „Wir wissen, daß die HIV- Zahlen nicht das Gesamtbild widerspiegeln“, sagte er. Acheson wies auch darauf hin, daß der Anstieg der Gonorrhoe-Fälle Anzeichen für häufigen ungeschützten Partnerwechsel sei. Er sei bei den Heterosexuellen, besonders um die Frauen besorgt, da die Gefahr einer Ansteckung mit HIV durch vaginalen Geschlechtsverkehr bei ihnen viermal größer sei, als bei heterosexuellen Männern. Untersuchungen bei Schwangeren haben ergeben, daß eine von 2.000 Frauen in London bereits infiziert ist.

Nick Patrigde von der Aids-Hilfe- Organisation „Terence Higgins Trust“, sagte gestern der taz, daß diese Entwicklung schon lange erwartet worden war. Das eigentlich Deprimierende sei für ihn, daß die Öffentlichkeit jetzt völlig überrascht die neuen Zahlen zur Kenntnis nehme. Viel zu früh habe die britische Presse für die heterosexuelle Allgemeinbevölkerung Entwarnung gegeben. Die Zahlen zeigten die Notwendigkeit für einen neue Anti- Aids-Kampagne. Patrigde wies zugleich darauf hin, daß die neuen Aidsfälle unter Heterosexuellen in Wahrheit auf Infektionen Anfang der achtziger Jahre zurückgehe.

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