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Blonde Anna kann nicht tanzen 1

■ Brian Reffin Smith mit »Souvenirs From The Future 1

Der SS-Schütze Karl Bauer 0kennt zwei Mädchen. Die 0eine heißt Anna. Sie wohnt in 0seinem Dorf. Ihr Vater ist Dorftisch0ler. Er ist arm. Anna ist hübsch und 0gesund. Sie hat blaue Augen und 0blonde Haare. Sie ist groß. Ihre Haut 0ist rein, und ihre Lippen sind rot. Sie 0ist fleißig und klug. Sie ist immer hei0ter und manchmal sehr lustig. Sie hat 0eine gute Stimme und singt oft 0schöne Lieder. Anna hat deutsche El0tern. Alle Vorfahren sind deutsch0.Das andere Mädchen heißt Maria. 0Ihr Vater ist Gastwirt. Er ist kein 0Deutscher. Seine Vorfahren stam0men aus Polen. Maria ist fünf Jahre 0älter als Karl Bauer. Auch sie hat ein 0hübsches Gesicht, und sie ist reich. 0Sie ist klein und zierlich, und sie kann 0gut tanzen. Aber sie ist nicht gesund. 0Sie wird oft krank.1Welches Mädchen soll Karl Bauer 0heiraten?1«Dieses Zitat findet sich in einem 0Deutschlehrbuch für SS-Rekruten in 0den annektierten Gebieten. Brian 0Reffin Smith, ein Engländer, der in 0Frankreich Computerkunst lehrt und 0in Berlin lebt, fand es vor zwei Jahren 0auf einem Weddinger Flohmarkt. In 0seiner Ausstellung variiert er die 0zum Zitat gehörende Abbildung der 0drei LehrbuchprotagonistInnen. 0Computerkunst — er haßt das Wort 0— will er als Konzeptkunst verstan0den wissen. Er sagt: »I'm not strong 0enough to fight the Nazis.« Statt des0sen kämpft er mit seinen Mitteln, mit 0einer Kunst, die sich ausdrücklich als 0politisch versteht und so nicht im Cy0berspace, wie er sagt, verlorengeht. 0Durch Vergrößerungen und Ver0schiebungen gelingt es ihm in einer 0Zeit, in der nicht nur der Rechtsradi0kalismus zunimmt, sondern auch ge0nuin faschistische Gegensatzpaare 0vermehrt und besinnungslos ver0wendet werden, entscheidende Teile 0nationalsozialistischer Ideologie 0herauszustellen. Der Computer, so 0sagt er, sei nicht nur ein Informati0onsprozessor, sondern auch ein »Ab0bildungsprozessor. Man steckt Ab0bildungen hinein, tut etwas damit 0und erhält veränderte Abbildungen.« 0Der Computer zerstückelt das Origi0nal und setzt es verschoben neu zu0sammen. Er ordnet den Figuren cha0rakteristische Farben zu: Maria trägt 0ein rotes Kleid — Lippenstift, Sex 0oder Blut — und hat schwarze Haare, 0Anna trägt einen grünen Rock — Na0tur usw. — und hat blonde Haare wie 0der SS-Mann.5Unter dem »Lehrstück« werden 0die zu lernenden Wörter zusammen0gefaßt: »Arm/reich, hübsch/häß0lich, gesund/krank, fleißig/faul, 0rein/schmutzig, klug/dumm, lu0stig/traurig, jung/alt.« Die Adjekti0ve sind der deutschen Anna und der 0undeutschen Maria zugeordnet. Die 0dunkelhaarige Maria trägt nicht nur 0zufällig einen jüdischen Namen. Die 0Gegensatzpaare unter dem Text tau0chen nicht alle in der kleinen Ge0schichte auf, sondern stehen da, um 0ihren Sinn zu verdeutlichen. Auf der 0rechten Seite steht das, was vernich0tet werden soll: das Reiche, Häßli0che, Kranke, Faule, Schmutzige, 0Dumme, Traurige, Alte; auf der lin0ken das, was gezüchtet werden soll.5Im Bild der beiden Frauen, zwi0schen denen sich der SS-Schütze ent0scheiden soll, erscheinen weitere 0Gegensätze: Die Deutsche steht or0dentlich, tumb und bäuerlich da; ihre 0Arme hängen fast leblos (oder solda0tisch), in jedem Fall züchtig herun0ter; ihr ganzer Körper ist dem SS-0Schützen zugewandt; Maria dage0gen, die Gastwirtstochter, ist kokett; 0die rechte Hand auf der Hüfte betont 0den Po, in der linken Hand hält sie ein 0kleines Täschchen. Schminkutensi0lien, die ihr wahres Gesicht verdec0ken (und so ihr Alter) werden darin0nen sein oder die Geldbörse. Anna 0trägt flache Bauernschuhe, Maria 0trägt Stöckelschuhe; Annas Bluse ist 0zugeknöpft; die von Maria hat einen 0Ausschnitt. Anna singt und kann 0nicht tanzen. Sie wird charakterisiert 0oder bestimmt durch ihre Stimme 0(die befiehlt oder das Eigentliche an0sagt). Unverfälscht steht sie für das 0unverstellte Sein, wie es sich fürs 0Dritte Reich gehört. Maria dagegen 0kann tanzen; das lockende Bild, die 0Oberfläche, der Schein stehen im 0Vordergrund. Doch unter der Ober0fläche lauert die (ansteckende) 0Krankheit. Nicht umsonst wendet sie 0als städtische Prostituierte Karl loc0kend ihre Hüfte zu. Sie geht rechts 0aus dem Triptychon und sucht ihn mit 0sich zu ziehen; in die Kneipe, wo dem 0braven SS-Mann seine Unschuld ge0nommen werden soll. Aufrichtig da0gegen bietet sich die arme, ehrliche, 0solide Anna an, als Tochter des Dorf0tischlers verspricht sie ein boden0ständiges Heim mit vielen gesunden 0Kindern. 5Die Welt von Maria wird gleich 0mehrfach als eine Welt der Entwur0zelung dargestellt: Stöckelschuhe, 0sexueller Reiz, das Handtäschchen 0und die polnischen Vorfahren stehen 0allesamt für städtische Dekadenz, 0die Propagandaminister Goebbels 0nicht müde wurde zu bekämpfen. 0Die Uneigentlichkeit des flachen As0phalts steht in der Naziideologie ge0gen die eigentliche Tiefe der frucht0bringenden Erde. Und als Paris steht 0der SS-Schütze wie weiland Heideg0ger in der Enscheidung. Der ländli0che Philosoph beschreibt in einem 0Kitschaufsatz, wie ihm die Wahl, an 0eine großstädtische Universität zu 0gehen oder im ländlichen Todtnau0berg zu bleiben, leichtgemacht 0wurde. Er fragte einen Bauern, und 0der Bauer schüttelte nur bedeutsam 0den Kopf. Auch der SS-Mann wird 0nur schweigend den Kopf schütteln, 0das Eigentliche wählen und an der 0Vernichtung des Uneigentlichen teil0haben.5Brian Reffin Smith arbeitet mit 0Computern und entgeht so der Ge0fahr, die politische Kunst so leicht 0zur marktgängigen, selbstzufriede0nen und sinnlos akklamatorischen 0Veranstaltung gerinnen läßt. Nur 0manchmal, vielleicht um als Person 0noch Stellung beziehen zu können, 0steckt er Nadeln in Füße, Hände und 0den Bauch des SS-Schützen. Den 0Rest macht der Computer: Er ver0vielfältigt Karl Bauer zur Armee, 0läßt die Gruppe als Höhlenrelief er0scheinen, macht aus dem Text sinn0lose Hieroglyphen. Indem er eben0falls auf dem Flohmarkt gefundene 0alte Metallbaukästen verwendet, 0verlängert Smith das »Spiel« mit den 0Bildern in die dritte Dimension. 5Computer haben den Vorteil, nie 0sentimental sein zu können. Entstan0den sind so »böse Spielzeuge« (Pres0seinformation) oder eine Kunst, wie 0Reffin Smith sagt, die von IBM und 0Nixdorf nicht bezahlt werden würde. Detlef Kuhlbrodt11Brian Reffin Smith: Souvenirs 0From The Future, Premonitions 0From The Past. Noch bis zum410. November in der Zwinger Ga0lerie; Dresdener Straße 125, Berlin 036. Öffnungszeiten: Mi. bis Fr. 0von 15 bis 19 Uhr, Sa. von 11 bis 414 Uhr.1

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